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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der neu? Merlin.

heuern Schmerz, den er empfand, still i" sich und scherzte, daß er nun völlig
in deu Händen seiner Liebsten sei, daß nur sie seinem elenden Dasein noch Licht
geben könne, und legte flehend und hoffend sein Haupt in ihren Schoß. Vivicme
war aller guten Vorsätze voll und kam anfangs oft und lange zu dem einst
so Gewaltigen und nun so Elenden. Er träumte unablässig von ihr und nur
von ihr. Wenn der Hag im Morgengrau stand, fuhr er empor und begann
nach ihrem leichten Tritt zu lauschen, wenn die Mittagsstrahlen dnrch das Laub
drangen, wähnte er die Flimmer ihres Gewandes zu sehen, wenn der Abend die
Wipfel der Bäume rötete, flammte seine Hoffnung, sie zu sehen, wieder höher
auf. Bald, nur zu bald erschien Viviane seltener, schon lockte sie nicht mehr
die Minne, fondern nur ihr Schuldgefühl und ihr Mitleid zum Walde und zur
Weißdornhecke. Immer flüchtiger, kürzer wurden ihre Besuche, immer karger
die Blicke, die sie sür den armen, durch ihre Schuld Gefesselten hatte. Im
Walde Brezeliand ward es nicht Winter, aber Lenz und Herbst wechselten. Die
Wolken jagten über den Wipfeln hin, der Regen rauschte auf das Moos seines
Lagers und die Zweige zu seinen Häupten nieder. Sein Haupt ward rasch
grau und seine Augen funkelten aus geisterhaft bleichem und faltigem Antlitz
der Ersehnten entgegen. Sie aber kam seltener und immer seltener, in verzehrender
Sehnsucht zählte Merlin zuerst die Tage, die von einemmal zum andern pey
strichen, und darnach kam eine Zeit, wo er sie nicht mehr zählte und beinahe
nicht wußte, ob er ihr blühendes Antlitz im Wachen oder im Traum geschaut
habe. Aber jedes arme Wort, das sie ihm noch gönnte, blieb in seiner Seele,
und den Klang ihrer Stimme suchte er sich ins Ohr zu rufen, wenn die Bäume
wieder über ihm rauschten. Am Ende gingen Monde über Monde hin, ehe
Vivianes farbiges Gewand einmal wieder zwischen den Büschen leuchtete. Längst
war Merlin in der Welt, in der er geglänzt hatte, verschollen, und die Sage
erzählte, daß er mit den Genosse" der Tafelrunde auf dem Zuge uach Indien
verdorben und gestorben sei. Er aber lebte in dem Waldwinkel, über den der
Weißdorn bis zu den Eichenwipfcln emporwuchs, der Thau wusch sein Haupt
und bleichte sein Haar, er lauschte dem Sausen der Winde und hielt Zwie¬
gespräche mit Blättern und Blüten. Er harrte Vivianes noch immer, auch als
Jahre verstrichen und ihre Augen ihm längst zum letztenmal gelacht hatten. Er
wußte nicht, ob sie lebe oder tot sei, er vermochte nichts andres zu deuten, als
daß er sie erblicken werde, heute, morgen oder in vielen Tagen. Im wachen
Traum sah er die Sträuche grün und die Baumkronen rot werden, die wech¬
selnden Wolken über sich hinziehen, dichter wucherte das Moos um sein Lager
und wölbte sich fast zum Grabhügel über den Lebenden. Was er einst gelebt
und genossen, selbst was er gelitten hatte, seit ihn Vivianes Unbedacht an die
Weißdornhecke gebannt, war seinem Gedächtnis entschwinden; er rief sich die
längst nicht mehr geschauten Züge vor Augen, und der seit vielen Jahren nicht
gehörte Klang ihrer Stimme drang wie ferne magische Musik zu seinen Ohren


Der neu? Merlin.

heuern Schmerz, den er empfand, still i» sich und scherzte, daß er nun völlig
in deu Händen seiner Liebsten sei, daß nur sie seinem elenden Dasein noch Licht
geben könne, und legte flehend und hoffend sein Haupt in ihren Schoß. Vivicme
war aller guten Vorsätze voll und kam anfangs oft und lange zu dem einst
so Gewaltigen und nun so Elenden. Er träumte unablässig von ihr und nur
von ihr. Wenn der Hag im Morgengrau stand, fuhr er empor und begann
nach ihrem leichten Tritt zu lauschen, wenn die Mittagsstrahlen dnrch das Laub
drangen, wähnte er die Flimmer ihres Gewandes zu sehen, wenn der Abend die
Wipfel der Bäume rötete, flammte seine Hoffnung, sie zu sehen, wieder höher
auf. Bald, nur zu bald erschien Viviane seltener, schon lockte sie nicht mehr
die Minne, fondern nur ihr Schuldgefühl und ihr Mitleid zum Walde und zur
Weißdornhecke. Immer flüchtiger, kürzer wurden ihre Besuche, immer karger
die Blicke, die sie sür den armen, durch ihre Schuld Gefesselten hatte. Im
Walde Brezeliand ward es nicht Winter, aber Lenz und Herbst wechselten. Die
Wolken jagten über den Wipfeln hin, der Regen rauschte auf das Moos seines
Lagers und die Zweige zu seinen Häupten nieder. Sein Haupt ward rasch
grau und seine Augen funkelten aus geisterhaft bleichem und faltigem Antlitz
der Ersehnten entgegen. Sie aber kam seltener und immer seltener, in verzehrender
Sehnsucht zählte Merlin zuerst die Tage, die von einemmal zum andern pey
strichen, und darnach kam eine Zeit, wo er sie nicht mehr zählte und beinahe
nicht wußte, ob er ihr blühendes Antlitz im Wachen oder im Traum geschaut
habe. Aber jedes arme Wort, das sie ihm noch gönnte, blieb in seiner Seele,
und den Klang ihrer Stimme suchte er sich ins Ohr zu rufen, wenn die Bäume
wieder über ihm rauschten. Am Ende gingen Monde über Monde hin, ehe
Vivianes farbiges Gewand einmal wieder zwischen den Büschen leuchtete. Längst
war Merlin in der Welt, in der er geglänzt hatte, verschollen, und die Sage
erzählte, daß er mit den Genosse» der Tafelrunde auf dem Zuge uach Indien
verdorben und gestorben sei. Er aber lebte in dem Waldwinkel, über den der
Weißdorn bis zu den Eichenwipfcln emporwuchs, der Thau wusch sein Haupt
und bleichte sein Haar, er lauschte dem Sausen der Winde und hielt Zwie¬
gespräche mit Blättern und Blüten. Er harrte Vivianes noch immer, auch als
Jahre verstrichen und ihre Augen ihm längst zum letztenmal gelacht hatten. Er
wußte nicht, ob sie lebe oder tot sei, er vermochte nichts andres zu deuten, als
daß er sie erblicken werde, heute, morgen oder in vielen Tagen. Im wachen
Traum sah er die Sträuche grün und die Baumkronen rot werden, die wech¬
selnden Wolken über sich hinziehen, dichter wucherte das Moos um sein Lager
und wölbte sich fast zum Grabhügel über den Lebenden. Was er einst gelebt
und genossen, selbst was er gelitten hatte, seit ihn Vivianes Unbedacht an die
Weißdornhecke gebannt, war seinem Gedächtnis entschwinden; er rief sich die
längst nicht mehr geschauten Züge vor Augen, und der seit vielen Jahren nicht
gehörte Klang ihrer Stimme drang wie ferne magische Musik zu seinen Ohren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/586>, abgerufen am 28.07.2024.