Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.Fortschritte der sozialpolitischen Debatte. wenig beachtenswertes, z. B.: "Ani die soziale Frage zu lösen, bedarf es, meint Davon ist also in der Schrift des Pater Weiß nicht die Spur. Diese Fortschritte der sozialpolitischen Debatte. wenig beachtenswertes, z. B.: „Ani die soziale Frage zu lösen, bedarf es, meint Davon ist also in der Schrift des Pater Weiß nicht die Spur. Diese <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0552" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154717"/> <fw type="header" place="top"> Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1646" prev="#ID_1645"> wenig beachtenswertes, z. B.: „Ani die soziale Frage zu lösen, bedarf es, meint<lb/> Rodbertus, gründlicherer Wissenschaft. Zwei Lehrstühle der Nationalökonomie<lb/> auf jeder Universität schienen ihm daher nicht zuviel, und kaum eine Gelehr¬<lb/> samkeit ausreichend, um die meist selbstverständlich als Dogma hingenommenen<lb/> und doch oft so irrigen Grundlehren unsrer Wissenschaft einer gründlichen Revision<lb/> zu unterwerfen. Darum kann es gewiß nichts schaden, wenn auch die dürre<lb/> Mathematik ein wenig zu Worte kömmt, und die trockene Logik und die eiserne<lb/> Konsequenz der Scholastik dazu. Ehe nicht kanonisches und römisches und<lb/> germanisches Recht ohne Vorurteil wie ohne Voreingenommenheit gleichmäßig<lb/> mit prüfender Strenge zu Hilfe herbeigezogen wird, ehe nicht Scholastik und<lb/> Moral und Philosophie in Bezug auf unsre Frage in ihr volles Recht ein¬<lb/> gesetzt werden, ehe man nicht die sozialen Verhältnisse der Gegenwart mit Rück¬<lb/> sicht auf die Geschichte, mit Verständnis der Geschichte und mit Anschluß an<lb/> die Geschichte der Vergangenheit behandelt, ehe man nicht die sozialen Probleme<lb/> auf eine Form bringt, in der man mit ihnen auch rechnen kann, und zwar<lb/> so rechnen, daß Gerechtigkeit und Billigkeit, Recht und Moral und Religion<lb/> ihre volle Rechnung finden, ist an eine Lösung nicht zu denken." Es dürfte<lb/> wohl gleich von vornherein feststehen, daß eine Schrift, bei der solche Voraus¬<lb/> setzungen als maßgebend bezeichnet sind, bei der praktischen Lösung, der sie zu¬<lb/> strebt, nicht in den Nebel gerät wie z. V. Professor Schmoller, indem er den<lb/> Landwirten aurae, zur Befreiung aus ihrer mißlichen Lage das „richtige Kredit¬<lb/> system" — aufzufinden. In diesem letztern Rezept beruht eigentlich die ge¬<lb/> samte „Theorie" der manchesterlichen Epigonen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1647" next="#ID_1648"> Davon ist also in der Schrift des Pater Weiß nicht die Spur. Diese<lb/> ist eitel Logik; ihre Voraussetzungen sind wohl begründet, die Folgerungen und<lb/> Schlüsse tadellos. Schon die erste Feststellung, nämlich die Feststellung des<lb/> Lohnbegriffs und der Nachweis der verkehrten Anwendung dieses Begriffes, ist<lb/> schlagend. Das, was der Arbeiter gegenwärtig und unter der Bezeichnung des<lb/> Lohnes empfängt, ist gar kein Lohn; es ist lediglich das, was er zur Beschaffung<lb/> seiner Nahrung und Leibesnotdurft bedarf; oft empfängt er sogar weniger<lb/> als dies. Das kann man aber richtig nicht als Lohn bezeichnen, und der<lb/> Zustand, der so geschaffen ist und der unter der Wirksamkeit der „freien Kon¬<lb/> kurrenz" seine Ausspitznug nach allen Seiten hin empfängt, läßt nicht nur die<lb/> Arbeit, sondern die Arbeiter selbst, also den zahlreichsten Teil der Bevölkerung,<lb/> als bloße Waare erscheinen. Will man aber diesen unerträglichen Zustand<lb/> beseitigen, so muß man sich klar werden, daß der Arbeiter nicht nur auf<lb/> Erstattung der Lebensnotdurft, sondern auch auf Lohn dasselbe Anrecht hat,<lb/> wie der Kapitalist auf Zins und Dividende. Und wie diese darf der Lohn<lb/> nicht auf billiges Übereinkommen hin gegründet sein, sondern er muß seine<lb/> rechtliche Umgrenzung haben, ebenso genau wie die des Kapitalertrages. Und<lb/> dabei muß ausgegangen werden von der Voraussetzung, daß ein sogenannter</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0552]
Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.
wenig beachtenswertes, z. B.: „Ani die soziale Frage zu lösen, bedarf es, meint
Rodbertus, gründlicherer Wissenschaft. Zwei Lehrstühle der Nationalökonomie
auf jeder Universität schienen ihm daher nicht zuviel, und kaum eine Gelehr¬
samkeit ausreichend, um die meist selbstverständlich als Dogma hingenommenen
und doch oft so irrigen Grundlehren unsrer Wissenschaft einer gründlichen Revision
zu unterwerfen. Darum kann es gewiß nichts schaden, wenn auch die dürre
Mathematik ein wenig zu Worte kömmt, und die trockene Logik und die eiserne
Konsequenz der Scholastik dazu. Ehe nicht kanonisches und römisches und
germanisches Recht ohne Vorurteil wie ohne Voreingenommenheit gleichmäßig
mit prüfender Strenge zu Hilfe herbeigezogen wird, ehe nicht Scholastik und
Moral und Philosophie in Bezug auf unsre Frage in ihr volles Recht ein¬
gesetzt werden, ehe man nicht die sozialen Verhältnisse der Gegenwart mit Rück¬
sicht auf die Geschichte, mit Verständnis der Geschichte und mit Anschluß an
die Geschichte der Vergangenheit behandelt, ehe man nicht die sozialen Probleme
auf eine Form bringt, in der man mit ihnen auch rechnen kann, und zwar
so rechnen, daß Gerechtigkeit und Billigkeit, Recht und Moral und Religion
ihre volle Rechnung finden, ist an eine Lösung nicht zu denken." Es dürfte
wohl gleich von vornherein feststehen, daß eine Schrift, bei der solche Voraus¬
setzungen als maßgebend bezeichnet sind, bei der praktischen Lösung, der sie zu¬
strebt, nicht in den Nebel gerät wie z. V. Professor Schmoller, indem er den
Landwirten aurae, zur Befreiung aus ihrer mißlichen Lage das „richtige Kredit¬
system" — aufzufinden. In diesem letztern Rezept beruht eigentlich die ge¬
samte „Theorie" der manchesterlichen Epigonen.
Davon ist also in der Schrift des Pater Weiß nicht die Spur. Diese
ist eitel Logik; ihre Voraussetzungen sind wohl begründet, die Folgerungen und
Schlüsse tadellos. Schon die erste Feststellung, nämlich die Feststellung des
Lohnbegriffs und der Nachweis der verkehrten Anwendung dieses Begriffes, ist
schlagend. Das, was der Arbeiter gegenwärtig und unter der Bezeichnung des
Lohnes empfängt, ist gar kein Lohn; es ist lediglich das, was er zur Beschaffung
seiner Nahrung und Leibesnotdurft bedarf; oft empfängt er sogar weniger
als dies. Das kann man aber richtig nicht als Lohn bezeichnen, und der
Zustand, der so geschaffen ist und der unter der Wirksamkeit der „freien Kon¬
kurrenz" seine Ausspitznug nach allen Seiten hin empfängt, läßt nicht nur die
Arbeit, sondern die Arbeiter selbst, also den zahlreichsten Teil der Bevölkerung,
als bloße Waare erscheinen. Will man aber diesen unerträglichen Zustand
beseitigen, so muß man sich klar werden, daß der Arbeiter nicht nur auf
Erstattung der Lebensnotdurft, sondern auch auf Lohn dasselbe Anrecht hat,
wie der Kapitalist auf Zins und Dividende. Und wie diese darf der Lohn
nicht auf billiges Übereinkommen hin gegründet sein, sondern er muß seine
rechtliche Umgrenzung haben, ebenso genau wie die des Kapitalertrages. Und
dabei muß ausgegangen werden von der Voraussetzung, daß ein sogenannter
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