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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

unmöglich machen, genügt für den Berliner eine ganz kurze Zeit. Schon mit
dem letzten Tage der Brunnen- und Badekur, mit dem pünktlichen Ablauf des
vierwöchentlichen Rundreisebillets geht es wieder der Heimat zu. Mit dem Ende
des Monats August sind nur noch die ganz unheilbaren Leute draußen, und
wenn die Gerichtsferien nach den neuen Justizgefetzen bis zum 15. September
dauern, so ist dies, wie viele andre Neuerungen, eine nicht für Berlin berechnete
Einrichtung.

Die Eröffnung der Ausstellung ist das Retraitezeichen, welches zum Sammeln
auffordert; von da an darf man darauf rechnen, die Besuche wieder zu Hause
zu treffen, von da ab beginnen wieder die Mittag- und Abendgesellschaften, die
sich dann drei Vierteile des Jahres hindurchziehen und in die nicht einmal die
im protestantischen Norden bedeutungslose Fastenzeit eine Abwechslung bringt.
Auf jenen Sammelruf der Akademie findet sich die ganze Gesellschaft pünktlich
zur Eröffnung ein. Zu dem Wunsche, sich zu überzeugen, ob dieser und jener
wieder angelangt sei, und selbst zu beweisen, daß man wieder den Rückweg
angetreten hat, gesellt sich auch noch das besondre Interesse, welches der moderne
Berliner für die Entwicklung der Künste hegt. Die Künstlerkolonie ist in Berlin
eine sehr zahlreiche und über alle Gesellschaftsklassen zerstreute. Am Hofe, in
den hohen Beamten- und Finanzkreisen finden die Künstler eine gute Aufnahme,
und auch Leute, welche Gesellschaften geben, nicht um ihren eignen Gesellige'eits-
drang zu befriedigen, sondern um es andern gleichzuthun, verstehen es, sich für
ihren Cercle neben einem Leutnant vom Eisenbahnregiment oder von der Marine
auch noch einen "in Öl" thätigen Künstler einzufangen. Und weil es jetzt zur
Bildung der höhern Töchter gehört, Stift und Pinsel zu führen, sei es auch
nur, um Kiuderköpfe aus Kate Greenaways Bilderbüchern auf Teller und Tisch¬
karten zu malen, so kommen sogar Heiraten zwischen Malern und reichen Bankiers¬
töchtern vor. Die Ärzte sind hier längst durch Assessoren und Richter außer
Mode gekommen, und einen Künstler zu heiraten gilt in gewissen Kreisen, für
welche der bunte Offiziersrvck noch immer ausgeschlossen ist, wo er sich nicht
als der weiße Rabe des Neserveleutncmts zeigt, als etwas ganz besonders
Apartes. Rechnet man noch zu den ersten Besuchern der Ausstellung die zahl¬
reiche Künstlergilde selbst und alle diejenigen, die ihr Beruf als Kritiker und
Feuilletonist hineintreibe -- keine kleine Schnur, seitdem jedes Winkelblatt sich
seinen eignen Vasari hält --, so wird man begreifen, daß an dem Ervffnuugs-
tage der Verkehr in der Ausstellung größer ist, als es ein mußevolles Besichtigen
und Genießen der Bilder wünschenswert macht.

Unter diesen Besuchern befand sich auch der Bankier Max Genöve nebst
Frau und Tochter, denen sich als Begleiter deren Freundin Elfe Müller und
or. Spath, ein Freund des Hauses, angeschlossen hatten. Das nominelle Haupt
der Familie, Inhaber des bekannten Bankhauses Genöve und Comp. -- für den
Accent und das Comp. durfte seine Gemahlin das Erfindungsrecht in Anspruch


Francesca von Rimini.

unmöglich machen, genügt für den Berliner eine ganz kurze Zeit. Schon mit
dem letzten Tage der Brunnen- und Badekur, mit dem pünktlichen Ablauf des
vierwöchentlichen Rundreisebillets geht es wieder der Heimat zu. Mit dem Ende
des Monats August sind nur noch die ganz unheilbaren Leute draußen, und
wenn die Gerichtsferien nach den neuen Justizgefetzen bis zum 15. September
dauern, so ist dies, wie viele andre Neuerungen, eine nicht für Berlin berechnete
Einrichtung.

Die Eröffnung der Ausstellung ist das Retraitezeichen, welches zum Sammeln
auffordert; von da an darf man darauf rechnen, die Besuche wieder zu Hause
zu treffen, von da ab beginnen wieder die Mittag- und Abendgesellschaften, die
sich dann drei Vierteile des Jahres hindurchziehen und in die nicht einmal die
im protestantischen Norden bedeutungslose Fastenzeit eine Abwechslung bringt.
Auf jenen Sammelruf der Akademie findet sich die ganze Gesellschaft pünktlich
zur Eröffnung ein. Zu dem Wunsche, sich zu überzeugen, ob dieser und jener
wieder angelangt sei, und selbst zu beweisen, daß man wieder den Rückweg
angetreten hat, gesellt sich auch noch das besondre Interesse, welches der moderne
Berliner für die Entwicklung der Künste hegt. Die Künstlerkolonie ist in Berlin
eine sehr zahlreiche und über alle Gesellschaftsklassen zerstreute. Am Hofe, in
den hohen Beamten- und Finanzkreisen finden die Künstler eine gute Aufnahme,
und auch Leute, welche Gesellschaften geben, nicht um ihren eignen Gesellige'eits-
drang zu befriedigen, sondern um es andern gleichzuthun, verstehen es, sich für
ihren Cercle neben einem Leutnant vom Eisenbahnregiment oder von der Marine
auch noch einen „in Öl" thätigen Künstler einzufangen. Und weil es jetzt zur
Bildung der höhern Töchter gehört, Stift und Pinsel zu führen, sei es auch
nur, um Kiuderköpfe aus Kate Greenaways Bilderbüchern auf Teller und Tisch¬
karten zu malen, so kommen sogar Heiraten zwischen Malern und reichen Bankiers¬
töchtern vor. Die Ärzte sind hier längst durch Assessoren und Richter außer
Mode gekommen, und einen Künstler zu heiraten gilt in gewissen Kreisen, für
welche der bunte Offiziersrvck noch immer ausgeschlossen ist, wo er sich nicht
als der weiße Rabe des Neserveleutncmts zeigt, als etwas ganz besonders
Apartes. Rechnet man noch zu den ersten Besuchern der Ausstellung die zahl¬
reiche Künstlergilde selbst und alle diejenigen, die ihr Beruf als Kritiker und
Feuilletonist hineintreibe — keine kleine Schnur, seitdem jedes Winkelblatt sich
seinen eignen Vasari hält —, so wird man begreifen, daß an dem Ervffnuugs-
tage der Verkehr in der Ausstellung größer ist, als es ein mußevolles Besichtigen
und Genießen der Bilder wünschenswert macht.

Unter diesen Besuchern befand sich auch der Bankier Max Genöve nebst
Frau und Tochter, denen sich als Begleiter deren Freundin Elfe Müller und
or. Spath, ein Freund des Hauses, angeschlossen hatten. Das nominelle Haupt
der Familie, Inhaber des bekannten Bankhauses Genöve und Comp. — für den
Accent und das Comp. durfte seine Gemahlin das Erfindungsrecht in Anspruch


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[0054] Francesca von Rimini. unmöglich machen, genügt für den Berliner eine ganz kurze Zeit. Schon mit dem letzten Tage der Brunnen- und Badekur, mit dem pünktlichen Ablauf des vierwöchentlichen Rundreisebillets geht es wieder der Heimat zu. Mit dem Ende des Monats August sind nur noch die ganz unheilbaren Leute draußen, und wenn die Gerichtsferien nach den neuen Justizgefetzen bis zum 15. September dauern, so ist dies, wie viele andre Neuerungen, eine nicht für Berlin berechnete Einrichtung. Die Eröffnung der Ausstellung ist das Retraitezeichen, welches zum Sammeln auffordert; von da an darf man darauf rechnen, die Besuche wieder zu Hause zu treffen, von da ab beginnen wieder die Mittag- und Abendgesellschaften, die sich dann drei Vierteile des Jahres hindurchziehen und in die nicht einmal die im protestantischen Norden bedeutungslose Fastenzeit eine Abwechslung bringt. Auf jenen Sammelruf der Akademie findet sich die ganze Gesellschaft pünktlich zur Eröffnung ein. Zu dem Wunsche, sich zu überzeugen, ob dieser und jener wieder angelangt sei, und selbst zu beweisen, daß man wieder den Rückweg angetreten hat, gesellt sich auch noch das besondre Interesse, welches der moderne Berliner für die Entwicklung der Künste hegt. Die Künstlerkolonie ist in Berlin eine sehr zahlreiche und über alle Gesellschaftsklassen zerstreute. Am Hofe, in den hohen Beamten- und Finanzkreisen finden die Künstler eine gute Aufnahme, und auch Leute, welche Gesellschaften geben, nicht um ihren eignen Gesellige'eits- drang zu befriedigen, sondern um es andern gleichzuthun, verstehen es, sich für ihren Cercle neben einem Leutnant vom Eisenbahnregiment oder von der Marine auch noch einen „in Öl" thätigen Künstler einzufangen. Und weil es jetzt zur Bildung der höhern Töchter gehört, Stift und Pinsel zu führen, sei es auch nur, um Kiuderköpfe aus Kate Greenaways Bilderbüchern auf Teller und Tisch¬ karten zu malen, so kommen sogar Heiraten zwischen Malern und reichen Bankiers¬ töchtern vor. Die Ärzte sind hier längst durch Assessoren und Richter außer Mode gekommen, und einen Künstler zu heiraten gilt in gewissen Kreisen, für welche der bunte Offiziersrvck noch immer ausgeschlossen ist, wo er sich nicht als der weiße Rabe des Neserveleutncmts zeigt, als etwas ganz besonders Apartes. Rechnet man noch zu den ersten Besuchern der Ausstellung die zahl¬ reiche Künstlergilde selbst und alle diejenigen, die ihr Beruf als Kritiker und Feuilletonist hineintreibe — keine kleine Schnur, seitdem jedes Winkelblatt sich seinen eignen Vasari hält —, so wird man begreifen, daß an dem Ervffnuugs- tage der Verkehr in der Ausstellung größer ist, als es ein mußevolles Besichtigen und Genießen der Bilder wünschenswert macht. Unter diesen Besuchern befand sich auch der Bankier Max Genöve nebst Frau und Tochter, denen sich als Begleiter deren Freundin Elfe Müller und or. Spath, ein Freund des Hauses, angeschlossen hatten. Das nominelle Haupt der Familie, Inhaber des bekannten Bankhauses Genöve und Comp. — für den Accent und das Comp. durfte seine Gemahlin das Erfindungsrecht in Anspruch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/54>, abgerufen am 27.07.2024.