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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Fmnccsca von Rimini,

erwies sich als eine vergebliche, und zuletzt brachte eS Stolberg, so unermüdlich
er auch in seinen Bemühungen blieb, nicht mehr über das Herz, die arme Frau
von dem Fehlschlagen derselben in Kenntnis zu setzen. So stockte auch dieser
Verkehr. Wie angstvoll sah Francesca an jedem Tage der Ankunft des Brief¬
trägers entgegen; wenn sie wußte, daß er die Straße heraufkam, so stand sie
schon am Erker, aber wie oft ging er vorüber! Oder wenn er einen Brief brachte,
so war es nur einer, den Francesca sür den Marchese nnter Oswalds Namen
an sich selbst geschrieben hatte. Mit dem weitem Verlauf der Zeit, da der
Oheim über Oswalds Ausbleiben ängstlich zu werden anfing, ließ Francesca,
um sich sür eine Weile Ruhe zu verschaffen, Oswald als Lehrer in das kron-
prinzliche Haus eintreten und ihr schreiben, daß er dieses Anerbieten unmöglich
habe ausschlagen können, sich aber nur bis zum Frühling gebunden habe. Als
aber dieser herangekommen war, da hatten die Kräfte des Marchese schon so
abgenommen, daß er für nichts mehr Interesse und Erinnerung zeigte. Nur
in den Augenblicken, in denen seine Lebensgeister wieder lebendiger wurden, ver¬
langte er, daß ihm Francesca aus Dante vorlas; denn auch dessen Verse, die
er früher auswendig wußte, hatte er gänzlich vergessen.

So verging in schwerer Sorge ein Tag um den andern, ohne daß eine
Nachricht eintraf. Anfangs glaubte Francesca, daß Stolberg seine Thätigkeit
eingestellt habe, und da sie es nicht wagte, ihn an seine Versprechungen zu er¬
innern, so unterließ sie auch ihrerseits, ihm zu schreiben. Bald anch vermißte
sie ihre fingirten Briefe, die sie als Oswald an sich gerichtet hatte; sie empfand
bei dem Schreiben das wohlthuende Gefühl der Einbildung, daß es so hätte
sein können, wie sie es dachte und schilderte. So saß sie oft nachts, wenn sie
an dem Lager des Marchese wachte oder wenn sie das eigne Lager, in welchem
sie keine Ruhe fand, verlassen hatte, über ihrem Tagebuch und zeichnete die Ein¬
drücke ihres armen Lebens auf, in der Hoffnung, daß dereinst Oswald aus
diesen Aufzeichnungen erkennen würde, wie sehr sie ihn geliebt und ihm ver¬
ziehen habe. Ihre stete Beschäftigung mit den Dichtern des Vaterlandes und
der anderen Völker hatten in ihr auch eine Begabung zur Poesie geweckt, und
nicht selten fügte sie dem Tagebuchblatt ein Gedicht bei, das sie dann in deutsche
Verse nachdichtete. So kam sie später auf den Gedanken, diese Verse von Zeit
zu Zeit an Stolberg zu senden, um ihn in dieser verschleierten Art aufs neue
anzuspornen. Wir find in der Lage, einige dieser Gedichte dem Leser mit¬
zuteilen, nicht sowohl weil sie vom poetischen Standpunkt des Lobes wert er¬
scheinen, als weil sie am besten und nnvermitteltsten die Vorgänge wiederspiegeln,
welche das Seelenleben dieser Dulderin erfüllten.


Fmnccsca von Rimini,

erwies sich als eine vergebliche, und zuletzt brachte eS Stolberg, so unermüdlich
er auch in seinen Bemühungen blieb, nicht mehr über das Herz, die arme Frau
von dem Fehlschlagen derselben in Kenntnis zu setzen. So stockte auch dieser
Verkehr. Wie angstvoll sah Francesca an jedem Tage der Ankunft des Brief¬
trägers entgegen; wenn sie wußte, daß er die Straße heraufkam, so stand sie
schon am Erker, aber wie oft ging er vorüber! Oder wenn er einen Brief brachte,
so war es nur einer, den Francesca sür den Marchese nnter Oswalds Namen
an sich selbst geschrieben hatte. Mit dem weitem Verlauf der Zeit, da der
Oheim über Oswalds Ausbleiben ängstlich zu werden anfing, ließ Francesca,
um sich sür eine Weile Ruhe zu verschaffen, Oswald als Lehrer in das kron-
prinzliche Haus eintreten und ihr schreiben, daß er dieses Anerbieten unmöglich
habe ausschlagen können, sich aber nur bis zum Frühling gebunden habe. Als
aber dieser herangekommen war, da hatten die Kräfte des Marchese schon so
abgenommen, daß er für nichts mehr Interesse und Erinnerung zeigte. Nur
in den Augenblicken, in denen seine Lebensgeister wieder lebendiger wurden, ver¬
langte er, daß ihm Francesca aus Dante vorlas; denn auch dessen Verse, die
er früher auswendig wußte, hatte er gänzlich vergessen.

So verging in schwerer Sorge ein Tag um den andern, ohne daß eine
Nachricht eintraf. Anfangs glaubte Francesca, daß Stolberg seine Thätigkeit
eingestellt habe, und da sie es nicht wagte, ihn an seine Versprechungen zu er¬
innern, so unterließ sie auch ihrerseits, ihm zu schreiben. Bald anch vermißte
sie ihre fingirten Briefe, die sie als Oswald an sich gerichtet hatte; sie empfand
bei dem Schreiben das wohlthuende Gefühl der Einbildung, daß es so hätte
sein können, wie sie es dachte und schilderte. So saß sie oft nachts, wenn sie
an dem Lager des Marchese wachte oder wenn sie das eigne Lager, in welchem
sie keine Ruhe fand, verlassen hatte, über ihrem Tagebuch und zeichnete die Ein¬
drücke ihres armen Lebens auf, in der Hoffnung, daß dereinst Oswald aus
diesen Aufzeichnungen erkennen würde, wie sehr sie ihn geliebt und ihm ver¬
ziehen habe. Ihre stete Beschäftigung mit den Dichtern des Vaterlandes und
der anderen Völker hatten in ihr auch eine Begabung zur Poesie geweckt, und
nicht selten fügte sie dem Tagebuchblatt ein Gedicht bei, das sie dann in deutsche
Verse nachdichtete. So kam sie später auf den Gedanken, diese Verse von Zeit
zu Zeit an Stolberg zu senden, um ihn in dieser verschleierten Art aufs neue
anzuspornen. Wir find in der Lage, einige dieser Gedichte dem Leser mit¬
zuteilen, nicht sowohl weil sie vom poetischen Standpunkt des Lobes wert er¬
scheinen, als weil sie am besten und nnvermitteltsten die Vorgänge wiederspiegeln,
welche das Seelenleben dieser Dulderin erfüllten.


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[0529] Fmnccsca von Rimini, erwies sich als eine vergebliche, und zuletzt brachte eS Stolberg, so unermüdlich er auch in seinen Bemühungen blieb, nicht mehr über das Herz, die arme Frau von dem Fehlschlagen derselben in Kenntnis zu setzen. So stockte auch dieser Verkehr. Wie angstvoll sah Francesca an jedem Tage der Ankunft des Brief¬ trägers entgegen; wenn sie wußte, daß er die Straße heraufkam, so stand sie schon am Erker, aber wie oft ging er vorüber! Oder wenn er einen Brief brachte, so war es nur einer, den Francesca sür den Marchese nnter Oswalds Namen an sich selbst geschrieben hatte. Mit dem weitem Verlauf der Zeit, da der Oheim über Oswalds Ausbleiben ängstlich zu werden anfing, ließ Francesca, um sich sür eine Weile Ruhe zu verschaffen, Oswald als Lehrer in das kron- prinzliche Haus eintreten und ihr schreiben, daß er dieses Anerbieten unmöglich habe ausschlagen können, sich aber nur bis zum Frühling gebunden habe. Als aber dieser herangekommen war, da hatten die Kräfte des Marchese schon so abgenommen, daß er für nichts mehr Interesse und Erinnerung zeigte. Nur in den Augenblicken, in denen seine Lebensgeister wieder lebendiger wurden, ver¬ langte er, daß ihm Francesca aus Dante vorlas; denn auch dessen Verse, die er früher auswendig wußte, hatte er gänzlich vergessen. So verging in schwerer Sorge ein Tag um den andern, ohne daß eine Nachricht eintraf. Anfangs glaubte Francesca, daß Stolberg seine Thätigkeit eingestellt habe, und da sie es nicht wagte, ihn an seine Versprechungen zu er¬ innern, so unterließ sie auch ihrerseits, ihm zu schreiben. Bald anch vermißte sie ihre fingirten Briefe, die sie als Oswald an sich gerichtet hatte; sie empfand bei dem Schreiben das wohlthuende Gefühl der Einbildung, daß es so hätte sein können, wie sie es dachte und schilderte. So saß sie oft nachts, wenn sie an dem Lager des Marchese wachte oder wenn sie das eigne Lager, in welchem sie keine Ruhe fand, verlassen hatte, über ihrem Tagebuch und zeichnete die Ein¬ drücke ihres armen Lebens auf, in der Hoffnung, daß dereinst Oswald aus diesen Aufzeichnungen erkennen würde, wie sehr sie ihn geliebt und ihm ver¬ ziehen habe. Ihre stete Beschäftigung mit den Dichtern des Vaterlandes und der anderen Völker hatten in ihr auch eine Begabung zur Poesie geweckt, und nicht selten fügte sie dem Tagebuchblatt ein Gedicht bei, das sie dann in deutsche Verse nachdichtete. So kam sie später auf den Gedanken, diese Verse von Zeit zu Zeit an Stolberg zu senden, um ihn in dieser verschleierten Art aufs neue anzuspornen. Wir find in der Lage, einige dieser Gedichte dem Leser mit¬ zuteilen, nicht sowohl weil sie vom poetischen Standpunkt des Lobes wert er¬ scheinen, als weil sie am besten und nnvermitteltsten die Vorgänge wiederspiegeln, welche das Seelenleben dieser Dulderin erfüllten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/529>, abgerufen am 28.07.2024.