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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

Feste schildern, denen Oswald am Hofe und in den ersten Kreisen der Gesell¬
schaft beiwohnte. Wenn sich der Marchese zur Ruhe begeben hatte, saß dann
das arme Weib bei der Lampe bis tief in die Nacht hinein und schrieb blutenden
Herzens die Briefe an sich mit dem schmerzenden Bewußtsein, daß ihr in
Wahrheit nur das Gegenteil aller dieser Beteuerungen beschieden sei. Dem
Briefträger, dessen Frau in einem schweren Kindbett nur durch Francescas treue
Pflege vom Tode errettet war, steckte sie die Briefe heimlich zu, und dieser
brachte sie dann, als ob sie mit der neuesten Post angekommen seien. Die fromme
Täuschung wurde durch die andauernde Krankheit von Don Baldassare unter¬
stützt, der nicht mehr selbst lesen konnte, sondern durch Francesca sich vor¬
lesen ließ.

Gleich nach ihrer Eheschließung hatte Francesca von ihrem Gemahl Unter¬
richt in der deutschen Sprache erhalten und sovielen Eifer gezeigt, um das
heimatliche Idiom des Geliebten zu lernen, daß sie in nicht allzulanger Zeit
eine große Gewandtheit erlangte. Noch mit Oswald hatte sie zusammen die
Meisterwerke deutscher Dichtung gelesen, und ihre Begeisterung für dieselben
war auch auf den Marchese übergegangen, sodaß Francesca ihm jetzt an seinem
Krankenbette Schiller und Goethe übersetzen und vorlesen mußte. So blieb
auch nicht ein Stachel auf dem Dornenwege übrig, den die Ärmste zu be-
schreiten hatte.

Eines Tages kam in der That ein Brief aus Berlin an, der in der
deutschen Aufschrift an den Maler Oswald Hertel und dessen uMIissiina clouns,
gerichtet war. Es war ein Schreiben von Harold Stolberg, ganz in dem
Stile dieses lachenden Philosophen, Dasselbe lautete folgendermaßen:

"Seid nicht stolz, Ihr Freunde, beuge dich, du moderner Michelangelo,
du Chamäleon von Cornelius und Rafael und auch Sie, übermütige Gattin
des großen Künstlers aus der Schule von Rimini. Es ist dir ein Neben¬
buhler erwachsen. Damit du nicht lange im Zweifel bist, so wisse denn, daß
auch ich diesmal den Akademiepreis und die kleine Medaille erhalten habe und
auf dem Wege nach Italien bin, wo ich Euch in Eurer Höhle aufzusuchen
gedenke. Schreibt mir gleich nach Milano, ^IdsrM äst xc>??0, ob ich Euch
nicht in Euren transcendentalen oder sonstigen klerikalen Studien störe. Ich
habe auch ein Gemälde aus dem alten Testament dargestellt, aber von andrer
Art. Ich habe einen alten Wucherer gemalt, der seinem Sohne die Anfangs¬
gründe seines ehrbaren Metiers beibringt -- ich benannte das Bild: "Arbeit
ehrt" - und über dem Lachen bei dem Anblick des alten Hallunken haben die
Herren Kunstrichter die Mängel des Bildes übersehen und mir die Möglichkeit
gegeben, auch an dem Busen der schönen Italia mich zu nähren. Leider ist
es mir nicht gelungen, auch Ihnen, verehrteste aller unbekannten Freundinnen,
eine Nebenbuhlerin vorzuführen. In dieser Beziehung hatte ich weniger Glück
als mit dem Pinsel. Meine Angebetete hatte mehr Sinn für Hunde, Pferde


Francesca von Rimini.

Feste schildern, denen Oswald am Hofe und in den ersten Kreisen der Gesell¬
schaft beiwohnte. Wenn sich der Marchese zur Ruhe begeben hatte, saß dann
das arme Weib bei der Lampe bis tief in die Nacht hinein und schrieb blutenden
Herzens die Briefe an sich mit dem schmerzenden Bewußtsein, daß ihr in
Wahrheit nur das Gegenteil aller dieser Beteuerungen beschieden sei. Dem
Briefträger, dessen Frau in einem schweren Kindbett nur durch Francescas treue
Pflege vom Tode errettet war, steckte sie die Briefe heimlich zu, und dieser
brachte sie dann, als ob sie mit der neuesten Post angekommen seien. Die fromme
Täuschung wurde durch die andauernde Krankheit von Don Baldassare unter¬
stützt, der nicht mehr selbst lesen konnte, sondern durch Francesca sich vor¬
lesen ließ.

Gleich nach ihrer Eheschließung hatte Francesca von ihrem Gemahl Unter¬
richt in der deutschen Sprache erhalten und sovielen Eifer gezeigt, um das
heimatliche Idiom des Geliebten zu lernen, daß sie in nicht allzulanger Zeit
eine große Gewandtheit erlangte. Noch mit Oswald hatte sie zusammen die
Meisterwerke deutscher Dichtung gelesen, und ihre Begeisterung für dieselben
war auch auf den Marchese übergegangen, sodaß Francesca ihm jetzt an seinem
Krankenbette Schiller und Goethe übersetzen und vorlesen mußte. So blieb
auch nicht ein Stachel auf dem Dornenwege übrig, den die Ärmste zu be-
schreiten hatte.

Eines Tages kam in der That ein Brief aus Berlin an, der in der
deutschen Aufschrift an den Maler Oswald Hertel und dessen uMIissiina clouns,
gerichtet war. Es war ein Schreiben von Harold Stolberg, ganz in dem
Stile dieses lachenden Philosophen, Dasselbe lautete folgendermaßen:

„Seid nicht stolz, Ihr Freunde, beuge dich, du moderner Michelangelo,
du Chamäleon von Cornelius und Rafael und auch Sie, übermütige Gattin
des großen Künstlers aus der Schule von Rimini. Es ist dir ein Neben¬
buhler erwachsen. Damit du nicht lange im Zweifel bist, so wisse denn, daß
auch ich diesmal den Akademiepreis und die kleine Medaille erhalten habe und
auf dem Wege nach Italien bin, wo ich Euch in Eurer Höhle aufzusuchen
gedenke. Schreibt mir gleich nach Milano, ^IdsrM äst xc>??0, ob ich Euch
nicht in Euren transcendentalen oder sonstigen klerikalen Studien störe. Ich
habe auch ein Gemälde aus dem alten Testament dargestellt, aber von andrer
Art. Ich habe einen alten Wucherer gemalt, der seinem Sohne die Anfangs¬
gründe seines ehrbaren Metiers beibringt — ich benannte das Bild: »Arbeit
ehrt« - und über dem Lachen bei dem Anblick des alten Hallunken haben die
Herren Kunstrichter die Mängel des Bildes übersehen und mir die Möglichkeit
gegeben, auch an dem Busen der schönen Italia mich zu nähren. Leider ist
es mir nicht gelungen, auch Ihnen, verehrteste aller unbekannten Freundinnen,
eine Nebenbuhlerin vorzuführen. In dieser Beziehung hatte ich weniger Glück
als mit dem Pinsel. Meine Angebetete hatte mehr Sinn für Hunde, Pferde


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[0527] Francesca von Rimini. Feste schildern, denen Oswald am Hofe und in den ersten Kreisen der Gesell¬ schaft beiwohnte. Wenn sich der Marchese zur Ruhe begeben hatte, saß dann das arme Weib bei der Lampe bis tief in die Nacht hinein und schrieb blutenden Herzens die Briefe an sich mit dem schmerzenden Bewußtsein, daß ihr in Wahrheit nur das Gegenteil aller dieser Beteuerungen beschieden sei. Dem Briefträger, dessen Frau in einem schweren Kindbett nur durch Francescas treue Pflege vom Tode errettet war, steckte sie die Briefe heimlich zu, und dieser brachte sie dann, als ob sie mit der neuesten Post angekommen seien. Die fromme Täuschung wurde durch die andauernde Krankheit von Don Baldassare unter¬ stützt, der nicht mehr selbst lesen konnte, sondern durch Francesca sich vor¬ lesen ließ. Gleich nach ihrer Eheschließung hatte Francesca von ihrem Gemahl Unter¬ richt in der deutschen Sprache erhalten und sovielen Eifer gezeigt, um das heimatliche Idiom des Geliebten zu lernen, daß sie in nicht allzulanger Zeit eine große Gewandtheit erlangte. Noch mit Oswald hatte sie zusammen die Meisterwerke deutscher Dichtung gelesen, und ihre Begeisterung für dieselben war auch auf den Marchese übergegangen, sodaß Francesca ihm jetzt an seinem Krankenbette Schiller und Goethe übersetzen und vorlesen mußte. So blieb auch nicht ein Stachel auf dem Dornenwege übrig, den die Ärmste zu be- schreiten hatte. Eines Tages kam in der That ein Brief aus Berlin an, der in der deutschen Aufschrift an den Maler Oswald Hertel und dessen uMIissiina clouns, gerichtet war. Es war ein Schreiben von Harold Stolberg, ganz in dem Stile dieses lachenden Philosophen, Dasselbe lautete folgendermaßen: „Seid nicht stolz, Ihr Freunde, beuge dich, du moderner Michelangelo, du Chamäleon von Cornelius und Rafael und auch Sie, übermütige Gattin des großen Künstlers aus der Schule von Rimini. Es ist dir ein Neben¬ buhler erwachsen. Damit du nicht lange im Zweifel bist, so wisse denn, daß auch ich diesmal den Akademiepreis und die kleine Medaille erhalten habe und auf dem Wege nach Italien bin, wo ich Euch in Eurer Höhle aufzusuchen gedenke. Schreibt mir gleich nach Milano, ^IdsrM äst xc>??0, ob ich Euch nicht in Euren transcendentalen oder sonstigen klerikalen Studien störe. Ich habe auch ein Gemälde aus dem alten Testament dargestellt, aber von andrer Art. Ich habe einen alten Wucherer gemalt, der seinem Sohne die Anfangs¬ gründe seines ehrbaren Metiers beibringt — ich benannte das Bild: »Arbeit ehrt« - und über dem Lachen bei dem Anblick des alten Hallunken haben die Herren Kunstrichter die Mängel des Bildes übersehen und mir die Möglichkeit gegeben, auch an dem Busen der schönen Italia mich zu nähren. Leider ist es mir nicht gelungen, auch Ihnen, verehrteste aller unbekannten Freundinnen, eine Nebenbuhlerin vorzuführen. In dieser Beziehung hatte ich weniger Glück als mit dem Pinsel. Meine Angebetete hatte mehr Sinn für Hunde, Pferde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/527>, abgerufen am 27.07.2024.