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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Zum achtzigsten Geburtstage Ludwig Richters.

und wir wüßten keinen Künstler, von welchem sich dasselbe mit gleichem Rechte,
in gleichem Umfange behaupten ließe. Der Titel, welchen er mehreren selbstän¬
digen Publikationen vorgesetzt hat, "Fürs Haus," paßt für sein ganzes Schaffen.
Das Haus, das deutsche christliche Haus, ist seine Welt. Das Haus im weitern
Sinne, mit allem lebendigen und toten Zubehör. Es ist kein "modernes"
Haus, schon äußerlich uicht, vielmehr eins jener anheimelnden Gebäude, welche
man damals altdeutsch nannte; die Bezeichnung deutsche Renaissance war noch
nicht erfunden. Vortreppe und Vordach, Erker und Türmchen, solide dicke
Mauern, die in den Thür- und Fensterleibungen Raum für Ruhesitze hatten;
der Hausrat, wie ihn die Vorzeit wirklich benutzt hat, nicht, wie ihn die Maler¬
und Dekorateurphantasie von heute ihr andichtet. Neben umranken die Fenster
mit ihren Butzenscheiben und verbinden so das Gemäuer mit dem Garten voll
bunter duftender Blumen, Lauben, Obstbäume. Auch Stall und Scheune fehlen
nicht, und jenseits des Zaunes beginnen schon das Kornfeld mit Mohn und
Chanen, die Wiese, der Wald, der rechte Eichendorsfsche Wald mit seinem Buchen¬
schatten, Moos und Quellen, während auf der andern Seite der Brunnen mit
der Figur eines Gewappneten von reichsstädtischer Vergangenheit erzählt. Es
ist eine Szenerie, wie sie damals noch häufiger zu finden war, jetzt von den
Eisenbahnen mehr und mehr verwischt wird. Und in diesem Heimwesen leben
schlichte, treuherzige, arbeitsame Menschen, auch wunderliche, komische Käuze; da
tummeln sich Kinderschaaren in all ihrer Lustigkeit und Drolligkeit, schmausend,
die Alten nachäffend, mit dein klugen Freunde Spitz, dem mürrisch gravitätischen
Mops, dem Schmeichelkätzchen oder dem Zicklein spielend; da verkehren ohne
Scheu die übrigen Hausfreunde Storch, Schwalbe, Taube, Hahn ?e. Auf diesem
engen Schauplatze, mit diesen wenigen Figuren läßt der Meister immer aufs
neue einfache Geschichten an uns vorüberziehen: sorglose Kindheit, Wanderschaft,
Liebesleben, das Bauen des eignen Nestes, Eltern- und Großelternfreude --
Gebet, Arbeit, Wein, Weib, Gesang. Wenn er, Wohl von spekulativen Verlegern
angetrieben, über diesen Kreis hinausgriff, war ihm das Glück nicht immer hold,
aber aus dem Kreise hatte er stets etwas andres und neues zu berichten. Die
Gestalten haben alle Richtersche Familienähnlichkeit und sind trotzdem Individuen,
die wir nicht mit einander verwechseln. Wer vermöchte sie zu zählen, die kraus¬
köpfiger und pausbäckigen Buben, die artigen Mädchen mit wohlgeflochtenen
Zöpfen, die unbeschreiblich anmutigen, schämigen oder neckischen Jungfrauen, die
glücklichen jungen Mütter und so fort bis zu den behäbigen Alten, den gemüt¬
lichen Schmerbäuchen und den spindeldürren Philistern in vorsündflutlichem
"Schwalbenschwanz"! Selten wird ein Mensch so viel reine Freude, so viel
sinnige Anregung verbreitet, so viel zur Weckung des Schönheitsgefühls in seiner
Nation beigetragen haben.

Aber ist es denn notwendig, an all dies zu erinnern? Hegt denn nicht
noch heute das deutsche Volk den trefflichen Meister in seinem Herzen wie


Zum achtzigsten Geburtstage Ludwig Richters.

und wir wüßten keinen Künstler, von welchem sich dasselbe mit gleichem Rechte,
in gleichem Umfange behaupten ließe. Der Titel, welchen er mehreren selbstän¬
digen Publikationen vorgesetzt hat, „Fürs Haus," paßt für sein ganzes Schaffen.
Das Haus, das deutsche christliche Haus, ist seine Welt. Das Haus im weitern
Sinne, mit allem lebendigen und toten Zubehör. Es ist kein „modernes"
Haus, schon äußerlich uicht, vielmehr eins jener anheimelnden Gebäude, welche
man damals altdeutsch nannte; die Bezeichnung deutsche Renaissance war noch
nicht erfunden. Vortreppe und Vordach, Erker und Türmchen, solide dicke
Mauern, die in den Thür- und Fensterleibungen Raum für Ruhesitze hatten;
der Hausrat, wie ihn die Vorzeit wirklich benutzt hat, nicht, wie ihn die Maler¬
und Dekorateurphantasie von heute ihr andichtet. Neben umranken die Fenster
mit ihren Butzenscheiben und verbinden so das Gemäuer mit dem Garten voll
bunter duftender Blumen, Lauben, Obstbäume. Auch Stall und Scheune fehlen
nicht, und jenseits des Zaunes beginnen schon das Kornfeld mit Mohn und
Chanen, die Wiese, der Wald, der rechte Eichendorsfsche Wald mit seinem Buchen¬
schatten, Moos und Quellen, während auf der andern Seite der Brunnen mit
der Figur eines Gewappneten von reichsstädtischer Vergangenheit erzählt. Es
ist eine Szenerie, wie sie damals noch häufiger zu finden war, jetzt von den
Eisenbahnen mehr und mehr verwischt wird. Und in diesem Heimwesen leben
schlichte, treuherzige, arbeitsame Menschen, auch wunderliche, komische Käuze; da
tummeln sich Kinderschaaren in all ihrer Lustigkeit und Drolligkeit, schmausend,
die Alten nachäffend, mit dein klugen Freunde Spitz, dem mürrisch gravitätischen
Mops, dem Schmeichelkätzchen oder dem Zicklein spielend; da verkehren ohne
Scheu die übrigen Hausfreunde Storch, Schwalbe, Taube, Hahn ?e. Auf diesem
engen Schauplatze, mit diesen wenigen Figuren läßt der Meister immer aufs
neue einfache Geschichten an uns vorüberziehen: sorglose Kindheit, Wanderschaft,
Liebesleben, das Bauen des eignen Nestes, Eltern- und Großelternfreude —
Gebet, Arbeit, Wein, Weib, Gesang. Wenn er, Wohl von spekulativen Verlegern
angetrieben, über diesen Kreis hinausgriff, war ihm das Glück nicht immer hold,
aber aus dem Kreise hatte er stets etwas andres und neues zu berichten. Die
Gestalten haben alle Richtersche Familienähnlichkeit und sind trotzdem Individuen,
die wir nicht mit einander verwechseln. Wer vermöchte sie zu zählen, die kraus¬
köpfiger und pausbäckigen Buben, die artigen Mädchen mit wohlgeflochtenen
Zöpfen, die unbeschreiblich anmutigen, schämigen oder neckischen Jungfrauen, die
glücklichen jungen Mütter und so fort bis zu den behäbigen Alten, den gemüt¬
lichen Schmerbäuchen und den spindeldürren Philistern in vorsündflutlichem
„Schwalbenschwanz"! Selten wird ein Mensch so viel reine Freude, so viel
sinnige Anregung verbreitet, so viel zur Weckung des Schönheitsgefühls in seiner
Nation beigetragen haben.

Aber ist es denn notwendig, an all dies zu erinnern? Hegt denn nicht
noch heute das deutsche Volk den trefflichen Meister in seinem Herzen wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/49>, abgerufen am 27.07.2024.