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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Zum achtzigsten Geburtstage Ludwig Richters.

die Hand des Künstlers wieder in den Holzschnitten, mit welchen er schon seit
vier Jahren die von Oswald Marbach bearbeiteten "Volksbücher" geschmückt
hatte, ohne sich zu nennen. Und als er, er allein aus dem Freundeskreise, die
mit der "Ammenuhr" betretene Bahn weiter beschritt, immer Neues und immer
Schöneres für die Kinderwelt schuf, da war bald sein Name auf dem Titelblatt
eines neuen Buches dessen beste Empfehlung.

Als Landschafter war Adrian Ludwig Richter -- man kann sagen auf¬
gewachsen. Sein Vater, Professor an der Dresdener Akademie, radirte malerische
Ansichten aus der sächsischen und böhmischen Schweiz, und der am 28. Sep¬
tember 1803 geborne Sohn half ihm dabei. Dieser guten häuslichen Lehrzeit
folgte die akademische, die er in ihrer ganzen Trostlosigkeit selbst charaktensnt
hat, dann Wanderjahre im Dienste eines vornehmen Mannes, endlich ein Aufent¬
halt in Italien, der für den jungen Künstler bedeutungsvoll im höchsten Grade
wurde. Man erzählt, er habe bis dahin sich ausschließlich als Maler der toten
Natur gefühlt und das Staffiren seiner Landschaften mit Figuren von andern
besorgen lassen -- eine Angabe, welche freilich mit der Nachricht in Widerspruch
zu stehen scheint, daß ihn von früh an die Arbeiten Chodowieckis so lebhaft
angezogen haben und ihm Gegenstand des Studiums geworden seien. Aber wir
erinnern uns, vor langer Zeit aus seinem Munde vernommen zu haben, wie
fremd ihm anfangs die südliche Landschaft erschienen, wie allmählich er für deren
Schönheit empfänglich geworden sei. Und daß er zu derselben niemals in ein
völlig vertrautes Verhältnis getreten ist, wie zu der heimatlichen Natur, er¬
wähnt auch Hermann Steinfeld in der biographischen Einleitung zu dem "Werk"
Richters von I. F. Hoff, hinzufügend, daß der Künstler in Rom sogar daran
gedacht habe, sich der Historienmalerei zuzuwenden.

Aus alledem ist zu entnehmen, daß ihm in Italien erst die Augen recht
aufgegangen sind für die menschliche Gestalt; auch läßt der Einfluß seines da¬
maligen Zusammenlebens mit Schmorr und den Nazarenern sich in seinen spätern
Zeichnungen noch wohl erkennen, so wenig seine Eigenart sich jenen völlig ge¬
fangen gab, und so wenig er, glücklicherweise, auch in der Folge den Landschafter
verleugnete.

Wer jene Zeit vor vierzig Jahren erlebt hat, kann nur mit innigster Freude
derselben gedenken. Unermüdlich und unerschöpflich brachte der Meister Gabe
auf Gabe. An das Volk hatte er sich zuerst gewandt, und zu diesem sprach
er auch ferner in Kalendern, in Volks- und Jägerliedern, in den Schriften
W. Örtels von Horn u. a. in.; den Kindern wurde er der beste Freund durch
seine Zeichnungen zu vielen Weihnachtsbüchern, zu Reinicks Jugendkalender,
zu Bechsteins Märchenbuch u. s. w., an welchen auch die Erwachsenen so viel
Freude hatten, daß sie ihn ohne die Beigabe von Texten für die Jugend haben
und genießen wollten. Er aber blieb immer derselbe. Was er schuf, das
sprach jedes empfängliche Gemüt an, ob jung oder alt, hoch- oder weniggebildet,


Zum achtzigsten Geburtstage Ludwig Richters.

die Hand des Künstlers wieder in den Holzschnitten, mit welchen er schon seit
vier Jahren die von Oswald Marbach bearbeiteten „Volksbücher" geschmückt
hatte, ohne sich zu nennen. Und als er, er allein aus dem Freundeskreise, die
mit der „Ammenuhr" betretene Bahn weiter beschritt, immer Neues und immer
Schöneres für die Kinderwelt schuf, da war bald sein Name auf dem Titelblatt
eines neuen Buches dessen beste Empfehlung.

Als Landschafter war Adrian Ludwig Richter — man kann sagen auf¬
gewachsen. Sein Vater, Professor an der Dresdener Akademie, radirte malerische
Ansichten aus der sächsischen und böhmischen Schweiz, und der am 28. Sep¬
tember 1803 geborne Sohn half ihm dabei. Dieser guten häuslichen Lehrzeit
folgte die akademische, die er in ihrer ganzen Trostlosigkeit selbst charaktensnt
hat, dann Wanderjahre im Dienste eines vornehmen Mannes, endlich ein Aufent¬
halt in Italien, der für den jungen Künstler bedeutungsvoll im höchsten Grade
wurde. Man erzählt, er habe bis dahin sich ausschließlich als Maler der toten
Natur gefühlt und das Staffiren seiner Landschaften mit Figuren von andern
besorgen lassen — eine Angabe, welche freilich mit der Nachricht in Widerspruch
zu stehen scheint, daß ihn von früh an die Arbeiten Chodowieckis so lebhaft
angezogen haben und ihm Gegenstand des Studiums geworden seien. Aber wir
erinnern uns, vor langer Zeit aus seinem Munde vernommen zu haben, wie
fremd ihm anfangs die südliche Landschaft erschienen, wie allmählich er für deren
Schönheit empfänglich geworden sei. Und daß er zu derselben niemals in ein
völlig vertrautes Verhältnis getreten ist, wie zu der heimatlichen Natur, er¬
wähnt auch Hermann Steinfeld in der biographischen Einleitung zu dem „Werk"
Richters von I. F. Hoff, hinzufügend, daß der Künstler in Rom sogar daran
gedacht habe, sich der Historienmalerei zuzuwenden.

Aus alledem ist zu entnehmen, daß ihm in Italien erst die Augen recht
aufgegangen sind für die menschliche Gestalt; auch läßt der Einfluß seines da¬
maligen Zusammenlebens mit Schmorr und den Nazarenern sich in seinen spätern
Zeichnungen noch wohl erkennen, so wenig seine Eigenart sich jenen völlig ge¬
fangen gab, und so wenig er, glücklicherweise, auch in der Folge den Landschafter
verleugnete.

Wer jene Zeit vor vierzig Jahren erlebt hat, kann nur mit innigster Freude
derselben gedenken. Unermüdlich und unerschöpflich brachte der Meister Gabe
auf Gabe. An das Volk hatte er sich zuerst gewandt, und zu diesem sprach
er auch ferner in Kalendern, in Volks- und Jägerliedern, in den Schriften
W. Örtels von Horn u. a. in.; den Kindern wurde er der beste Freund durch
seine Zeichnungen zu vielen Weihnachtsbüchern, zu Reinicks Jugendkalender,
zu Bechsteins Märchenbuch u. s. w., an welchen auch die Erwachsenen so viel
Freude hatten, daß sie ihn ohne die Beigabe von Texten für die Jugend haben
und genießen wollten. Er aber blieb immer derselbe. Was er schuf, das
sprach jedes empfängliche Gemüt an, ob jung oder alt, hoch- oder weniggebildet,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/48>, abgerufen am 27.07.2024.