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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Unsre Parteien.

wegung, Welche sich gegen die liberale Gesetzgebung der Vorjahre unabweislich
geltend gemacht hat, die Lehre knüpfen: Liberal und konservativ verhalten
sich nicht einfach wie gut und schlecht. Eine Übertreibung des einen wirkt
nicht minder schädlich, wie eine Übertreibung des andern. Das sür menschliche Ver¬
hältnisse Zuträgliche kann nur aus einem Gleichgewicht beider Elemente unsers
Staatslebens hervorgehen. Und wir ziehen daraus die Folgerung, daß die Männer,
welche dies lebendig erkennen und diese Erkenntnis durch ihre politische Wirk¬
samkeit zu bethätigen bereit sind, diejenigen sind, auf welchen die Hoffnung unsers
Vaterlandes beruht. Was uns also not thut, ist nicht, wie man vor einigen
Jahren fabelte, die "Bildung einer großen liberalen Partei," sondern die Bildung
einer gemäßigten Partei der Mitte. Wir würden sie am liebsten eine
Partei der patriotischen und verständigen Männer nennen. Innerhalb dieser
Partei werden sich naturgemäß wieder zwei Gruppen scheiden, von denen die eine
mehr den liberalen, die andre mehr den konservativen Gedanken betont. Sie
müssen nur beide anerkennen, daß jeder dieser Gedanken einen nur relativen
Wert hat, und hieraus muß für sie das Bestreben nach einer verständigen Ver¬
mittlung hervorgehen. Diesen beiden Gruppen entsprachen bisher ungefähr die
Nationalliberalen und die Freikonservativen, und sie bildeten lange Zeit den
Kern der Reichstage, aus welchen die fruchtbare Gesetzgebung unsrer Vergangen¬
heit hervorging.

Die Bildung oder vielmehr die Wiederherstellung einer solchen Partei der
Mitte thut umso dringender not, als wir ja auch noch eine andre "Partei
der Mitte" besitzen, die aber zu jener Partei in dem allerschärfsten Gegensatze
steht. Wir meinen das "Zentrum." Das Zentrum will in den deutschen Staat
die Herrschaft der Kirche hineintragen, und zwar einer Kirche, die außerhalb
Deutschlands ihren Mittelpunkt hat. Die Mitglieder dieser Partei haben es
bitter empfunden, wenn man ihre Partei eine staatsfeindliche nannte, und wir
glauben gern, daß viele von ihnen, unter denen sich ja sonst sehr rechtschaffene
Männer befinden, dieser Eigenschaft sich garnicht bewußt sind. Gleichwohl ist
es schwer, eine andre treffende Bezeichnung für die Partei zu finden. Indem
sie dem Staate die Kirche als einen Nebenstaat gegenüberstellt, negirt sie den
Begriff des Staates in seiner Wesenheit. Ihren Namen hat sie insofern ge¬
schickt gewählt, als sie in der That weder konservativ noch liberal ist. Sie ist
beides, je nachdem es ihr paßt. Sie hat mit der radikal-konservativen Partei das
Streben gemein, die Geistesfreiheit zu unterdrücken, mit der radikal-liberalen
das Streben, die Staatsgewalt möglichst zu schwächen. So tritt sie bald auf
diese, bald auf jene Seite und bringt dadurch das Staatsschiff in das bedenk¬
lichste Schwanken. Ja wir haben erlebt, daß sie für ihre Zwecke die extremen
Parteien auf beiden Seiten gleichzeitig sich dienstbar machte. Gerade deshalb,
um nicht diese gefahrbringende Partei zu einer durchweg ausschlaggebenden werden
zu lassen, ist die Bildung einer andern Mittelpartei, eines bessern "Zentrums,"


Unsre Parteien.

wegung, Welche sich gegen die liberale Gesetzgebung der Vorjahre unabweislich
geltend gemacht hat, die Lehre knüpfen: Liberal und konservativ verhalten
sich nicht einfach wie gut und schlecht. Eine Übertreibung des einen wirkt
nicht minder schädlich, wie eine Übertreibung des andern. Das sür menschliche Ver¬
hältnisse Zuträgliche kann nur aus einem Gleichgewicht beider Elemente unsers
Staatslebens hervorgehen. Und wir ziehen daraus die Folgerung, daß die Männer,
welche dies lebendig erkennen und diese Erkenntnis durch ihre politische Wirk¬
samkeit zu bethätigen bereit sind, diejenigen sind, auf welchen die Hoffnung unsers
Vaterlandes beruht. Was uns also not thut, ist nicht, wie man vor einigen
Jahren fabelte, die „Bildung einer großen liberalen Partei," sondern die Bildung
einer gemäßigten Partei der Mitte. Wir würden sie am liebsten eine
Partei der patriotischen und verständigen Männer nennen. Innerhalb dieser
Partei werden sich naturgemäß wieder zwei Gruppen scheiden, von denen die eine
mehr den liberalen, die andre mehr den konservativen Gedanken betont. Sie
müssen nur beide anerkennen, daß jeder dieser Gedanken einen nur relativen
Wert hat, und hieraus muß für sie das Bestreben nach einer verständigen Ver¬
mittlung hervorgehen. Diesen beiden Gruppen entsprachen bisher ungefähr die
Nationalliberalen und die Freikonservativen, und sie bildeten lange Zeit den
Kern der Reichstage, aus welchen die fruchtbare Gesetzgebung unsrer Vergangen¬
heit hervorging.

Die Bildung oder vielmehr die Wiederherstellung einer solchen Partei der
Mitte thut umso dringender not, als wir ja auch noch eine andre „Partei
der Mitte" besitzen, die aber zu jener Partei in dem allerschärfsten Gegensatze
steht. Wir meinen das „Zentrum." Das Zentrum will in den deutschen Staat
die Herrschaft der Kirche hineintragen, und zwar einer Kirche, die außerhalb
Deutschlands ihren Mittelpunkt hat. Die Mitglieder dieser Partei haben es
bitter empfunden, wenn man ihre Partei eine staatsfeindliche nannte, und wir
glauben gern, daß viele von ihnen, unter denen sich ja sonst sehr rechtschaffene
Männer befinden, dieser Eigenschaft sich garnicht bewußt sind. Gleichwohl ist
es schwer, eine andre treffende Bezeichnung für die Partei zu finden. Indem
sie dem Staate die Kirche als einen Nebenstaat gegenüberstellt, negirt sie den
Begriff des Staates in seiner Wesenheit. Ihren Namen hat sie insofern ge¬
schickt gewählt, als sie in der That weder konservativ noch liberal ist. Sie ist
beides, je nachdem es ihr paßt. Sie hat mit der radikal-konservativen Partei das
Streben gemein, die Geistesfreiheit zu unterdrücken, mit der radikal-liberalen
das Streben, die Staatsgewalt möglichst zu schwächen. So tritt sie bald auf
diese, bald auf jene Seite und bringt dadurch das Staatsschiff in das bedenk¬
lichste Schwanken. Ja wir haben erlebt, daß sie für ihre Zwecke die extremen
Parteien auf beiden Seiten gleichzeitig sich dienstbar machte. Gerade deshalb,
um nicht diese gefahrbringende Partei zu einer durchweg ausschlaggebenden werden
zu lassen, ist die Bildung einer andern Mittelpartei, eines bessern „Zentrums,"


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[0486] Unsre Parteien. wegung, Welche sich gegen die liberale Gesetzgebung der Vorjahre unabweislich geltend gemacht hat, die Lehre knüpfen: Liberal und konservativ verhalten sich nicht einfach wie gut und schlecht. Eine Übertreibung des einen wirkt nicht minder schädlich, wie eine Übertreibung des andern. Das sür menschliche Ver¬ hältnisse Zuträgliche kann nur aus einem Gleichgewicht beider Elemente unsers Staatslebens hervorgehen. Und wir ziehen daraus die Folgerung, daß die Männer, welche dies lebendig erkennen und diese Erkenntnis durch ihre politische Wirk¬ samkeit zu bethätigen bereit sind, diejenigen sind, auf welchen die Hoffnung unsers Vaterlandes beruht. Was uns also not thut, ist nicht, wie man vor einigen Jahren fabelte, die „Bildung einer großen liberalen Partei," sondern die Bildung einer gemäßigten Partei der Mitte. Wir würden sie am liebsten eine Partei der patriotischen und verständigen Männer nennen. Innerhalb dieser Partei werden sich naturgemäß wieder zwei Gruppen scheiden, von denen die eine mehr den liberalen, die andre mehr den konservativen Gedanken betont. Sie müssen nur beide anerkennen, daß jeder dieser Gedanken einen nur relativen Wert hat, und hieraus muß für sie das Bestreben nach einer verständigen Ver¬ mittlung hervorgehen. Diesen beiden Gruppen entsprachen bisher ungefähr die Nationalliberalen und die Freikonservativen, und sie bildeten lange Zeit den Kern der Reichstage, aus welchen die fruchtbare Gesetzgebung unsrer Vergangen¬ heit hervorging. Die Bildung oder vielmehr die Wiederherstellung einer solchen Partei der Mitte thut umso dringender not, als wir ja auch noch eine andre „Partei der Mitte" besitzen, die aber zu jener Partei in dem allerschärfsten Gegensatze steht. Wir meinen das „Zentrum." Das Zentrum will in den deutschen Staat die Herrschaft der Kirche hineintragen, und zwar einer Kirche, die außerhalb Deutschlands ihren Mittelpunkt hat. Die Mitglieder dieser Partei haben es bitter empfunden, wenn man ihre Partei eine staatsfeindliche nannte, und wir glauben gern, daß viele von ihnen, unter denen sich ja sonst sehr rechtschaffene Männer befinden, dieser Eigenschaft sich garnicht bewußt sind. Gleichwohl ist es schwer, eine andre treffende Bezeichnung für die Partei zu finden. Indem sie dem Staate die Kirche als einen Nebenstaat gegenüberstellt, negirt sie den Begriff des Staates in seiner Wesenheit. Ihren Namen hat sie insofern ge¬ schickt gewählt, als sie in der That weder konservativ noch liberal ist. Sie ist beides, je nachdem es ihr paßt. Sie hat mit der radikal-konservativen Partei das Streben gemein, die Geistesfreiheit zu unterdrücken, mit der radikal-liberalen das Streben, die Staatsgewalt möglichst zu schwächen. So tritt sie bald auf diese, bald auf jene Seite und bringt dadurch das Staatsschiff in das bedenk¬ lichste Schwanken. Ja wir haben erlebt, daß sie für ihre Zwecke die extremen Parteien auf beiden Seiten gleichzeitig sich dienstbar machte. Gerade deshalb, um nicht diese gefahrbringende Partei zu einer durchweg ausschlaggebenden werden zu lassen, ist die Bildung einer andern Mittelpartei, eines bessern „Zentrums,"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/486>, abgerufen am 28.07.2024.