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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Neuere Annstliteratur.

gemacht hat, straft ihn Thausing mit souveräner Verachtung, welche soweit geht
daß er Ephrussts Schriften nicht mit dessen Namen, sondern unter der Firma'
des Verlegers zitirt! Man kann nicht behaupten, daß die Feierlichkeit, mit
welcher Thausing diesen Entschluß in der Vorrede ankündigt, einen erhebenden
Eindruck machte.

Andre Forscher haben sich auch durch die Warnungstafel, welche Thausing
vor den Werken des Nürnberger Meisters aufpflanzt, nicht abhalten lassen, ein
paar wertvolle Beiträge zur weitern "Erkenntnis Dürers" zu liefern, obwohl sie
nicht das Glück haben, Thausings "liebe Schüler" zu sein. Da ist zunächst
ein dem Ruhme des Meisters gewidmetes Werk von wahrhaft monumentaler
Bedeutung zu nennen, nämlich eine Sammlung von Zeichnungen aus dem
Berliner Kupferstichkabinet und ans drei englischen Privatsammlungen, neun¬
undneunzig an der Zahl, welche Friedrich Lippmann, der Direktor des
Berliner Kupferstichkabinets, in getreuen Nachbildungen im G. Groteschen Ver¬
lage in Berlin herausgegeben hat. Bei den außerordentlich großen Anfor¬
derungen, welche der Herausgeber an die reproduzirenden Techniken stellt, sind
die Herstellungskosten des Werkes so gewachsen, daß ein Preis normirt werden
niußte, welcher die Anschaffung nur den mit Glücksgütern besonders gesegneten
Kunstfreunden erlaubt. Lippmann hat sich nicht begnügt, die Aquarelle einfach zy
reproduziren, sondern er hat jedem farbigen Blatte noch einen farblosen Lichtdruck
beigefügt, damit man imstande sei, an diesem die beim Koloriren etwa undeutlich
gewordenen Kontouren der Zeichnung zu kontroliren. Einige dieser Aquarelle sind
lediglich durch den Lichtdruck mit drei und vier Farben reproduzirt; bei andern, die
komplizirter sind, mußte menschliche Hand zu Hilfe genommen werden. Aber auch
bei dieser sorgfältigen Methode hat sich der Herausgeber noch nicht beruhigt. Er
hat im Texte genau die kleinen Abweichungen der Kopien von den Originalen be¬
schrieben, die freilich nur dem Auge eines scharfen Beobachters auffallen können.
Zweiundsiebzig der den Reproduktionen zu Grunde liegenden Originale gehören
dem Berliner Kupferstichkabinete an, welches namentlich durch den Ankauf der
Sammlung Posonyi-Hulot unter den Sammlungen von Dürerzeichnungen einen
hohen Rang erlangt hat. Die ganze großartige Universalität des Dürerschen
Geistes führt in diesen Blättern eine beredte Sprache, und namentlich seine
intime Stellung zur Natur zeigt sich in ihrer erstaunlichen Vielseitigkeit. Nichts
war ihm so geringfügig, daß es nicht eine Nachbildung nach der Wirklichkeit
verdient hätte. Einen interessanten Beleg lieferten dafür u. a, zwei sauber mit
feinen Pinselstrichen aquarellirte Blätter in englischem Privatbesitz, auf welchen
er das Maul eines Rindes von vorn und von der Seite gesehen nach der
Natur dargestellt hat. In diesen Natur- und in andern Landschaftsstudien steigt
Dürer weit über seine Zeit hinaus zu einer allgemeingiltigen künstlerischen Be¬
deutung, welche durch keine Zeitbegriffe und durch keine Anschauungen indivi¬
dueller Art beschränkt wird. Daher sind gerade seine Zeichnungen von unschätz-


Neuere Annstliteratur.

gemacht hat, straft ihn Thausing mit souveräner Verachtung, welche soweit geht
daß er Ephrussts Schriften nicht mit dessen Namen, sondern unter der Firma'
des Verlegers zitirt! Man kann nicht behaupten, daß die Feierlichkeit, mit
welcher Thausing diesen Entschluß in der Vorrede ankündigt, einen erhebenden
Eindruck machte.

Andre Forscher haben sich auch durch die Warnungstafel, welche Thausing
vor den Werken des Nürnberger Meisters aufpflanzt, nicht abhalten lassen, ein
paar wertvolle Beiträge zur weitern „Erkenntnis Dürers" zu liefern, obwohl sie
nicht das Glück haben, Thausings „liebe Schüler" zu sein. Da ist zunächst
ein dem Ruhme des Meisters gewidmetes Werk von wahrhaft monumentaler
Bedeutung zu nennen, nämlich eine Sammlung von Zeichnungen aus dem
Berliner Kupferstichkabinet und ans drei englischen Privatsammlungen, neun¬
undneunzig an der Zahl, welche Friedrich Lippmann, der Direktor des
Berliner Kupferstichkabinets, in getreuen Nachbildungen im G. Groteschen Ver¬
lage in Berlin herausgegeben hat. Bei den außerordentlich großen Anfor¬
derungen, welche der Herausgeber an die reproduzirenden Techniken stellt, sind
die Herstellungskosten des Werkes so gewachsen, daß ein Preis normirt werden
niußte, welcher die Anschaffung nur den mit Glücksgütern besonders gesegneten
Kunstfreunden erlaubt. Lippmann hat sich nicht begnügt, die Aquarelle einfach zy
reproduziren, sondern er hat jedem farbigen Blatte noch einen farblosen Lichtdruck
beigefügt, damit man imstande sei, an diesem die beim Koloriren etwa undeutlich
gewordenen Kontouren der Zeichnung zu kontroliren. Einige dieser Aquarelle sind
lediglich durch den Lichtdruck mit drei und vier Farben reproduzirt; bei andern, die
komplizirter sind, mußte menschliche Hand zu Hilfe genommen werden. Aber auch
bei dieser sorgfältigen Methode hat sich der Herausgeber noch nicht beruhigt. Er
hat im Texte genau die kleinen Abweichungen der Kopien von den Originalen be¬
schrieben, die freilich nur dem Auge eines scharfen Beobachters auffallen können.
Zweiundsiebzig der den Reproduktionen zu Grunde liegenden Originale gehören
dem Berliner Kupferstichkabinete an, welches namentlich durch den Ankauf der
Sammlung Posonyi-Hulot unter den Sammlungen von Dürerzeichnungen einen
hohen Rang erlangt hat. Die ganze großartige Universalität des Dürerschen
Geistes führt in diesen Blättern eine beredte Sprache, und namentlich seine
intime Stellung zur Natur zeigt sich in ihrer erstaunlichen Vielseitigkeit. Nichts
war ihm so geringfügig, daß es nicht eine Nachbildung nach der Wirklichkeit
verdient hätte. Einen interessanten Beleg lieferten dafür u. a, zwei sauber mit
feinen Pinselstrichen aquarellirte Blätter in englischem Privatbesitz, auf welchen
er das Maul eines Rindes von vorn und von der Seite gesehen nach der
Natur dargestellt hat. In diesen Natur- und in andern Landschaftsstudien steigt
Dürer weit über seine Zeit hinaus zu einer allgemeingiltigen künstlerischen Be¬
deutung, welche durch keine Zeitbegriffe und durch keine Anschauungen indivi¬
dueller Art beschränkt wird. Daher sind gerade seine Zeichnungen von unschätz-


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[0466] Neuere Annstliteratur. gemacht hat, straft ihn Thausing mit souveräner Verachtung, welche soweit geht daß er Ephrussts Schriften nicht mit dessen Namen, sondern unter der Firma' des Verlegers zitirt! Man kann nicht behaupten, daß die Feierlichkeit, mit welcher Thausing diesen Entschluß in der Vorrede ankündigt, einen erhebenden Eindruck machte. Andre Forscher haben sich auch durch die Warnungstafel, welche Thausing vor den Werken des Nürnberger Meisters aufpflanzt, nicht abhalten lassen, ein paar wertvolle Beiträge zur weitern „Erkenntnis Dürers" zu liefern, obwohl sie nicht das Glück haben, Thausings „liebe Schüler" zu sein. Da ist zunächst ein dem Ruhme des Meisters gewidmetes Werk von wahrhaft monumentaler Bedeutung zu nennen, nämlich eine Sammlung von Zeichnungen aus dem Berliner Kupferstichkabinet und ans drei englischen Privatsammlungen, neun¬ undneunzig an der Zahl, welche Friedrich Lippmann, der Direktor des Berliner Kupferstichkabinets, in getreuen Nachbildungen im G. Groteschen Ver¬ lage in Berlin herausgegeben hat. Bei den außerordentlich großen Anfor¬ derungen, welche der Herausgeber an die reproduzirenden Techniken stellt, sind die Herstellungskosten des Werkes so gewachsen, daß ein Preis normirt werden niußte, welcher die Anschaffung nur den mit Glücksgütern besonders gesegneten Kunstfreunden erlaubt. Lippmann hat sich nicht begnügt, die Aquarelle einfach zy reproduziren, sondern er hat jedem farbigen Blatte noch einen farblosen Lichtdruck beigefügt, damit man imstande sei, an diesem die beim Koloriren etwa undeutlich gewordenen Kontouren der Zeichnung zu kontroliren. Einige dieser Aquarelle sind lediglich durch den Lichtdruck mit drei und vier Farben reproduzirt; bei andern, die komplizirter sind, mußte menschliche Hand zu Hilfe genommen werden. Aber auch bei dieser sorgfältigen Methode hat sich der Herausgeber noch nicht beruhigt. Er hat im Texte genau die kleinen Abweichungen der Kopien von den Originalen be¬ schrieben, die freilich nur dem Auge eines scharfen Beobachters auffallen können. Zweiundsiebzig der den Reproduktionen zu Grunde liegenden Originale gehören dem Berliner Kupferstichkabinete an, welches namentlich durch den Ankauf der Sammlung Posonyi-Hulot unter den Sammlungen von Dürerzeichnungen einen hohen Rang erlangt hat. Die ganze großartige Universalität des Dürerschen Geistes führt in diesen Blättern eine beredte Sprache, und namentlich seine intime Stellung zur Natur zeigt sich in ihrer erstaunlichen Vielseitigkeit. Nichts war ihm so geringfügig, daß es nicht eine Nachbildung nach der Wirklichkeit verdient hätte. Einen interessanten Beleg lieferten dafür u. a, zwei sauber mit feinen Pinselstrichen aquarellirte Blätter in englischem Privatbesitz, auf welchen er das Maul eines Rindes von vorn und von der Seite gesehen nach der Natur dargestellt hat. In diesen Natur- und in andern Landschaftsstudien steigt Dürer weit über seine Zeit hinaus zu einer allgemeingiltigen künstlerischen Be¬ deutung, welche durch keine Zeitbegriffe und durch keine Anschauungen indivi¬ dueller Art beschränkt wird. Daher sind gerade seine Zeichnungen von unschätz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/466>, abgerufen am 28.07.2024.