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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Neuere' Runstliteratur.

Augen der Leser hinwegzukarren. Auch hätte er den Leser mit der minutiösen,
sich um geringfügige Kleinigkeiten drehenden Polemik gegen andre Schriftsteller
verschonen sollen. Wenn dieselbe durchaus nicht zu umgehen war, so hätte sie
in einen Anhang verwiesen werden müssen. Die Darstellung hätte dann wenigstens
an Übersichtlichkeit gewonnen. Jetzt muß man sich oft durch seitenlange Dis¬
kussionen hindurchwinden, ehe man zu einem positiven Ergebnis gelangt. Die
stilistische Seite des Buches ist wie an allen Schriften des eifrigen Verfassers
besonders mangelhaft: entweder, wie namentlich in den allgemeinen Einleitungen,
blühende Phrasen, bei denen man sich garnichts denken kann, oder eine un¬
klare, unbeholfene, oft unlogische Ausdrucksweise, welche das Verständnis außer¬
ordentlich erschwert. Man thut am besten, sich an die zahlreichen, meist vor¬
trefflichen Illustrationen zu halten, zu welchen Mothes selbst einen großen Teil
nach eignen Aufnahmen beigesteuert hat. Sie bringen eine Fülle wertvollen
Materials und bereichern wirklich unsere Kenntnis der mittelalterlichen Bau¬
kunst Italiens, während man sich aus dem Text die einzelnen Goldkörner mühsam
herausholen muß.

Von der eingangs erwähnten zweiten Auflage der Dürer-Biographie Thausings
liegt der erste Band vor, welcher die Geschichte des Meisters und seiner Kunst
.bis zu dessen zweitem Aufenthalte in Venedig behandelt. Zu den interessan¬
testen Partien dieser neuen Auflage gehört unstreitig die Vorrede. Auffallend
ist die Bitterkeit, welche sich in derselben ausspricht. Schon der erste Satz:
"Dieses Buch hat vornehmlich in nichtdeutschen Ländern Beifall gefunden" ist
für jeden, welcher in der Kunstliteratur heimisch ist, nicht mißzuverstehen, wenn
auch schwer zu begreifen. Wenn das Buch in Deutschland keinen Beifall ge¬
funden hat, warum ist dann eine neue Auflage nötig geworden? Die Franzosen
haben seit 1878 eine französische, die Engländer eine englische Ausgabe. Also
muß die erste deutsche Auflage doch vornehmlich in Deutschland verkauft worden
sein. Daß die Hypothese "Wohlgemuth als Kupferstecher" zunächst allgemeinen
Zweifeln begegnet ist, ist das Schicksal jeder neuen Entdeckung. Umso besser
für Thausing, wenn er neue Beweisgründe gefunden hat, welche seine Hypothese
über diese Zweifel erheben. Welche tiefe Verachtung spricht sich gegen diese
Zweifler aus, wenn er hervorhebt, daß die Erkenntnis Dürers neuerdings "ins¬
besondre durch die Bemühungen seiner lieben Schüler" gefördert worden sei.
Aber dieser Sarkasmus ist noch harmlos im Vergleich zu dem Eifer, mit
welchem er den in französischer Sprache schreibenden Ungarn Charles Ephrussi
verfolgt, der im Grunde genommen doch kein andres Verbrechen auf sich ge¬
laden hat, als daß er auch über Dürer schreibt, was allerdings in den Augen
Thausings unverzeihlich zu sein scheint. Thausing ist nämlich der Ansicht, daß
sich Ephrussi eines Plagiats an den ersten Kapiteln seines Dürerbuches schuldig
gemacht habe, und nachdem sich dieser nicht ungeschickt verteidigt und einige
nicht üble Scherze über die von Thausing in Sachen Dürers geübte Polizei


Neuere' Runstliteratur.

Augen der Leser hinwegzukarren. Auch hätte er den Leser mit der minutiösen,
sich um geringfügige Kleinigkeiten drehenden Polemik gegen andre Schriftsteller
verschonen sollen. Wenn dieselbe durchaus nicht zu umgehen war, so hätte sie
in einen Anhang verwiesen werden müssen. Die Darstellung hätte dann wenigstens
an Übersichtlichkeit gewonnen. Jetzt muß man sich oft durch seitenlange Dis¬
kussionen hindurchwinden, ehe man zu einem positiven Ergebnis gelangt. Die
stilistische Seite des Buches ist wie an allen Schriften des eifrigen Verfassers
besonders mangelhaft: entweder, wie namentlich in den allgemeinen Einleitungen,
blühende Phrasen, bei denen man sich garnichts denken kann, oder eine un¬
klare, unbeholfene, oft unlogische Ausdrucksweise, welche das Verständnis außer¬
ordentlich erschwert. Man thut am besten, sich an die zahlreichen, meist vor¬
trefflichen Illustrationen zu halten, zu welchen Mothes selbst einen großen Teil
nach eignen Aufnahmen beigesteuert hat. Sie bringen eine Fülle wertvollen
Materials und bereichern wirklich unsere Kenntnis der mittelalterlichen Bau¬
kunst Italiens, während man sich aus dem Text die einzelnen Goldkörner mühsam
herausholen muß.

Von der eingangs erwähnten zweiten Auflage der Dürer-Biographie Thausings
liegt der erste Band vor, welcher die Geschichte des Meisters und seiner Kunst
.bis zu dessen zweitem Aufenthalte in Venedig behandelt. Zu den interessan¬
testen Partien dieser neuen Auflage gehört unstreitig die Vorrede. Auffallend
ist die Bitterkeit, welche sich in derselben ausspricht. Schon der erste Satz:
„Dieses Buch hat vornehmlich in nichtdeutschen Ländern Beifall gefunden" ist
für jeden, welcher in der Kunstliteratur heimisch ist, nicht mißzuverstehen, wenn
auch schwer zu begreifen. Wenn das Buch in Deutschland keinen Beifall ge¬
funden hat, warum ist dann eine neue Auflage nötig geworden? Die Franzosen
haben seit 1878 eine französische, die Engländer eine englische Ausgabe. Also
muß die erste deutsche Auflage doch vornehmlich in Deutschland verkauft worden
sein. Daß die Hypothese „Wohlgemuth als Kupferstecher" zunächst allgemeinen
Zweifeln begegnet ist, ist das Schicksal jeder neuen Entdeckung. Umso besser
für Thausing, wenn er neue Beweisgründe gefunden hat, welche seine Hypothese
über diese Zweifel erheben. Welche tiefe Verachtung spricht sich gegen diese
Zweifler aus, wenn er hervorhebt, daß die Erkenntnis Dürers neuerdings „ins¬
besondre durch die Bemühungen seiner lieben Schüler" gefördert worden sei.
Aber dieser Sarkasmus ist noch harmlos im Vergleich zu dem Eifer, mit
welchem er den in französischer Sprache schreibenden Ungarn Charles Ephrussi
verfolgt, der im Grunde genommen doch kein andres Verbrechen auf sich ge¬
laden hat, als daß er auch über Dürer schreibt, was allerdings in den Augen
Thausings unverzeihlich zu sein scheint. Thausing ist nämlich der Ansicht, daß
sich Ephrussi eines Plagiats an den ersten Kapiteln seines Dürerbuches schuldig
gemacht habe, und nachdem sich dieser nicht ungeschickt verteidigt und einige
nicht üble Scherze über die von Thausing in Sachen Dürers geübte Polizei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/465>, abgerufen am 28.07.2024.