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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Neuere Kunstliteratur.

brauchbar befunden wurden, wie auch fremde Hände in den acht, bez. fünf Jahre",
die seit dein Erscheinen der ersten Auflagen verflossen sind, daran gerüttelt
haben.

Es muß etwas großes, etwas erhebendes sein um das Bewußtsein, ein
Werk geschaffen zu habe", das -- g.örs xgrsnnius -- selbst den schärfsten An¬
griffe" der Feder, de" schwärzesten und galligsten Fluten der Tinte Stand hält.
Man sieht hier wieder, wie die Geschichte immer noch ihre große Mission ausübt,
die Lehrmeisterin des Lebens zu sein. Aus der unablässigen Beschäftigung mit
den großen Männern der Renaissance, aus dem inbrünstigen Studium ihrer
Gedanken und Thaten ist auch auf ihre Geschichtschreiber und Biographen
jenes starke Selbstbewußtsein, jene Vorliebe für eine stark ausgeprägte Indivi¬
dualität übergegangen, welche, wie heute jedermann weiß, hervorstechende Cha-
rnktereigentümlichkeiten jener Heroen des Quattro- und Cinquecento waren.
Alfred von Reumont hat der zweiten Auflage seiner Biographie Lorenzos de'
Medici mit der Gelassenheit des objektiven, hoch über dem irdischen Wirrsal
der Diskussionen und Meinungen stehenden Historikers ein stolzes Wort vor¬
ausgeschickt, welches so recht das gewiß gut begründete Selbstbewußtsein der
Renaissance-Geschichtschreiber charakterisirt: "Viel ist währenddessen shell demi
Erscheinen der ersten Auslage^ geforscht und gearbeitet worden, in Italien, in
Deutschland, in andern Ländern, über die Epoche, mit welcher dies Buch sich
beschäftigt, über den Mann, dessen Geschichte es erzählt. Alles, soweit es mir
bekannt geworden, wie manches Urkundliche habe ich durchgesehen, erwogen,
dankbar benutzt. Manches in meiner Darstellung ist teils gekürzt, teils erweitert
und ergänzt worden: die Physiognomie des Mannes und der Zeit ist dieselbe
geblieben." Diese Worte könnte man ebensogut den biographischen Werken
Springers und Thausiugs vorausschicken: "Die Physiognomie der Männer und
der Zeit ist dieselbe geblieben," ein Zeichen, wie fest und sicher die Striche
waren, mit welchen die erste Anlage der Charakterzeichnung erfolgt ist.

Mit dem starken Selbstbewußtsein, mit der vollen Erkenntnis des eignen
hohen Wertes ist aber gewöhnlich eine gleich starke Empfindlichkeit verbunden.
Die Geschichte überliefert uns fast groteske Belege dafür aus dem Leben der
Renaissancemänncr, z. B. aus demjenigen Michelangelos, und Thausing sprach
gewiß aus eigner Erfahrung, als er in der Rezension von Springers "Raffael
und Michelangelo" im Repertorium für Kunstwissenschaft schrieb: "Wir Kunst¬
historiker sind ein empfindliches Geschlecht. Wir lassen uns nicht gerne beraten,
und bald bildet jeder Einzelne allein seine Partei." Auch in den neuen Auf¬
lagen der beiden Bücher, die uns hier beschäftigen, wird man Proben solcher
Empfindlichkeit finden und vielleicht mehr noch in dem, was sie verschweigen,
als in dem, was sie sagen. Thausing erwähnt den Aufsatz Springers über
den Meister ^, welcher die Hypothese Thausiugs, daß gewisse altdeutsche,
mit ^ bezeichnete Kupferstiche Arbeiten des Michael Wohlgemut!) und von


Neuere Kunstliteratur.

brauchbar befunden wurden, wie auch fremde Hände in den acht, bez. fünf Jahre»,
die seit dein Erscheinen der ersten Auflagen verflossen sind, daran gerüttelt
haben.

Es muß etwas großes, etwas erhebendes sein um das Bewußtsein, ein
Werk geschaffen zu habe», das — g.örs xgrsnnius — selbst den schärfsten An¬
griffe» der Feder, de» schwärzesten und galligsten Fluten der Tinte Stand hält.
Man sieht hier wieder, wie die Geschichte immer noch ihre große Mission ausübt,
die Lehrmeisterin des Lebens zu sein. Aus der unablässigen Beschäftigung mit
den großen Männern der Renaissance, aus dem inbrünstigen Studium ihrer
Gedanken und Thaten ist auch auf ihre Geschichtschreiber und Biographen
jenes starke Selbstbewußtsein, jene Vorliebe für eine stark ausgeprägte Indivi¬
dualität übergegangen, welche, wie heute jedermann weiß, hervorstechende Cha-
rnktereigentümlichkeiten jener Heroen des Quattro- und Cinquecento waren.
Alfred von Reumont hat der zweiten Auflage seiner Biographie Lorenzos de'
Medici mit der Gelassenheit des objektiven, hoch über dem irdischen Wirrsal
der Diskussionen und Meinungen stehenden Historikers ein stolzes Wort vor¬
ausgeschickt, welches so recht das gewiß gut begründete Selbstbewußtsein der
Renaissance-Geschichtschreiber charakterisirt: „Viel ist währenddessen shell demi
Erscheinen der ersten Auslage^ geforscht und gearbeitet worden, in Italien, in
Deutschland, in andern Ländern, über die Epoche, mit welcher dies Buch sich
beschäftigt, über den Mann, dessen Geschichte es erzählt. Alles, soweit es mir
bekannt geworden, wie manches Urkundliche habe ich durchgesehen, erwogen,
dankbar benutzt. Manches in meiner Darstellung ist teils gekürzt, teils erweitert
und ergänzt worden: die Physiognomie des Mannes und der Zeit ist dieselbe
geblieben." Diese Worte könnte man ebensogut den biographischen Werken
Springers und Thausiugs vorausschicken: „Die Physiognomie der Männer und
der Zeit ist dieselbe geblieben," ein Zeichen, wie fest und sicher die Striche
waren, mit welchen die erste Anlage der Charakterzeichnung erfolgt ist.

Mit dem starken Selbstbewußtsein, mit der vollen Erkenntnis des eignen
hohen Wertes ist aber gewöhnlich eine gleich starke Empfindlichkeit verbunden.
Die Geschichte überliefert uns fast groteske Belege dafür aus dem Leben der
Renaissancemänncr, z. B. aus demjenigen Michelangelos, und Thausing sprach
gewiß aus eigner Erfahrung, als er in der Rezension von Springers „Raffael
und Michelangelo" im Repertorium für Kunstwissenschaft schrieb: „Wir Kunst¬
historiker sind ein empfindliches Geschlecht. Wir lassen uns nicht gerne beraten,
und bald bildet jeder Einzelne allein seine Partei." Auch in den neuen Auf¬
lagen der beiden Bücher, die uns hier beschäftigen, wird man Proben solcher
Empfindlichkeit finden und vielleicht mehr noch in dem, was sie verschweigen,
als in dem, was sie sagen. Thausing erwähnt den Aufsatz Springers über
den Meister ^, welcher die Hypothese Thausiugs, daß gewisse altdeutsche,
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[0457] Neuere Kunstliteratur. brauchbar befunden wurden, wie auch fremde Hände in den acht, bez. fünf Jahre», die seit dein Erscheinen der ersten Auflagen verflossen sind, daran gerüttelt haben. Es muß etwas großes, etwas erhebendes sein um das Bewußtsein, ein Werk geschaffen zu habe», das — g.örs xgrsnnius — selbst den schärfsten An¬ griffe» der Feder, de» schwärzesten und galligsten Fluten der Tinte Stand hält. Man sieht hier wieder, wie die Geschichte immer noch ihre große Mission ausübt, die Lehrmeisterin des Lebens zu sein. Aus der unablässigen Beschäftigung mit den großen Männern der Renaissance, aus dem inbrünstigen Studium ihrer Gedanken und Thaten ist auch auf ihre Geschichtschreiber und Biographen jenes starke Selbstbewußtsein, jene Vorliebe für eine stark ausgeprägte Indivi¬ dualität übergegangen, welche, wie heute jedermann weiß, hervorstechende Cha- rnktereigentümlichkeiten jener Heroen des Quattro- und Cinquecento waren. Alfred von Reumont hat der zweiten Auflage seiner Biographie Lorenzos de' Medici mit der Gelassenheit des objektiven, hoch über dem irdischen Wirrsal der Diskussionen und Meinungen stehenden Historikers ein stolzes Wort vor¬ ausgeschickt, welches so recht das gewiß gut begründete Selbstbewußtsein der Renaissance-Geschichtschreiber charakterisirt: „Viel ist währenddessen shell demi Erscheinen der ersten Auslage^ geforscht und gearbeitet worden, in Italien, in Deutschland, in andern Ländern, über die Epoche, mit welcher dies Buch sich beschäftigt, über den Mann, dessen Geschichte es erzählt. Alles, soweit es mir bekannt geworden, wie manches Urkundliche habe ich durchgesehen, erwogen, dankbar benutzt. Manches in meiner Darstellung ist teils gekürzt, teils erweitert und ergänzt worden: die Physiognomie des Mannes und der Zeit ist dieselbe geblieben." Diese Worte könnte man ebensogut den biographischen Werken Springers und Thausiugs vorausschicken: „Die Physiognomie der Männer und der Zeit ist dieselbe geblieben," ein Zeichen, wie fest und sicher die Striche waren, mit welchen die erste Anlage der Charakterzeichnung erfolgt ist. Mit dem starken Selbstbewußtsein, mit der vollen Erkenntnis des eignen hohen Wertes ist aber gewöhnlich eine gleich starke Empfindlichkeit verbunden. Die Geschichte überliefert uns fast groteske Belege dafür aus dem Leben der Renaissancemänncr, z. B. aus demjenigen Michelangelos, und Thausing sprach gewiß aus eigner Erfahrung, als er in der Rezension von Springers „Raffael und Michelangelo" im Repertorium für Kunstwissenschaft schrieb: „Wir Kunst¬ historiker sind ein empfindliches Geschlecht. Wir lassen uns nicht gerne beraten, und bald bildet jeder Einzelne allein seine Partei." Auch in den neuen Auf¬ lagen der beiden Bücher, die uns hier beschäftigen, wird man Proben solcher Empfindlichkeit finden und vielleicht mehr noch in dem, was sie verschweigen, als in dem, was sie sagen. Thausing erwähnt den Aufsatz Springers über den Meister ^, welcher die Hypothese Thausiugs, daß gewisse altdeutsche, mit ^ bezeichnete Kupferstiche Arbeiten des Michael Wohlgemut!) und von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/457>, abgerufen am 27.07.2024.