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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Das Volk in Waffen,

Nirgends finden wir allgemeine Erklärungen von natürlichen Begriffen und gelehrte
silbcnstechcnde Auseinandersetzungen über Strategie und Taktik (oder wie mau
jetzt gut deutsch zu sagen anfängt über Kriegsknnde und Gefechtsknnde), wie sie
einen guten Teil der gewöhnlichen militärischen Lehrbücher ausfüllen. "Im Kriege
handelt es sich um die einfachsten Dinge, um Meuscheu, Pferde, Waffen,
Straßen u, s. w, daher kann man über den Krieg auch in der einfachsten Weise
reden und ohne Kunststücke in Wortbildungen alles Notwendige auseinander¬
setzen." Von dieser Anschauung ausgehend, setzt der Verfasser die Bekanntschaft
mit den einfachen Begriffen voraus, vermeidet solche, die einer besondern Er¬
klärung bedürfen würden, und verknüpft die zahlreichen verschiednen Materien,
welche das weitverzweigte Gebiet der Kriegführung umschließt, zu einer Reihe
lebensvoller und charakteristischer Bilder. Erschöpfende Behandlung auf dem
engen Raume eines einzigen Bandes konnte nur ermöglicht werden, wenn aller
überflüssiige Ballast beiseite gelassen wurde. Der Verfasser hat sich deshalb
auf die Schilderung der modernen Kriegführung beschränkt, er schreibt für die
Gegenwart, und seine Betrachtungen gründen sich auf die immer massenhafter
anschwellenden Volksheere, deren Entwicklung noch im Aufsteigen begriffen ist.
Er beabsichtigt vor allen Dingen, der Heerführung im großen die Teilnahme
mehr und mehr zuzuwenden, welche bisher der Gefechtsführung gewidmet war.
und hofft, daß seine Darstellung dazu beitragen werde, daß daß Wort "Volk
in Waffen" in allen deutschen Herzen das volle Verständnis finde.

Ein zweiter Faktor zur gründlichen Bewältigung des massenhaften Ma¬
terials liegt in der übersichtlichen Gliederung, und auch in dieser Hinsicht hat
der Verfasser den Gegenstand völlig beherrscht.

Der erste Hauptabschnitt des Buches entwickelt die Berechtigung der
Heere der Gegenwart. Die großen Kulturvölker müssen ihre kriegerische
Rüstung mehr und mehr vervollständigen, um im Notfalle einen rücksichtslosen
Gebrauch aller ihrer Kräfte machen zu können. Die Zeit der Kabinetskriege
ist vorüber, die Kollision der Interessen führt zum Kampfe, aber die Leiden¬
schaften der Völker bestimmen unabhängig davon, bis zu welchem Grade er
durchgeführt werden soll. Der Krieg dient nach wie vor der Politik zur Er¬
reichung ihrer Zwecke, er muß aber auch um untergeordneter Ziele willen auf
vollständige Niederwerfung des Gegners ausgehen. Dies führt notwendiger¬
weise zum entscheidenden Gebrauche aller Mittel; der Versuch des mächtigen
Rußlands im letzten Kriege, mit einem Teil seiner Kräfte die weit schwächere
Türkei niederzuwerfen, mißglückte.

Die Kriegführung ist natürlich abhängig von allgemeinen Knlturverhcilt-
uissen und nimmt deshalb zu verschiedener Zeit gänzlich verschiedene Formen
an. In engster Beziehung zu der Kulturstufe eines Volkes steht seine Wehr-
verfnssung, welche, wenn sie gut sein soll, einen ausgeprägt nationalen Charakter
tragen muß. Die gegenwärtige deutsche Wehrverfassnng, welcher die der übrigen


Das Volk in Waffen,

Nirgends finden wir allgemeine Erklärungen von natürlichen Begriffen und gelehrte
silbcnstechcnde Auseinandersetzungen über Strategie und Taktik (oder wie mau
jetzt gut deutsch zu sagen anfängt über Kriegsknnde und Gefechtsknnde), wie sie
einen guten Teil der gewöhnlichen militärischen Lehrbücher ausfüllen. „Im Kriege
handelt es sich um die einfachsten Dinge, um Meuscheu, Pferde, Waffen,
Straßen u, s. w, daher kann man über den Krieg auch in der einfachsten Weise
reden und ohne Kunststücke in Wortbildungen alles Notwendige auseinander¬
setzen." Von dieser Anschauung ausgehend, setzt der Verfasser die Bekanntschaft
mit den einfachen Begriffen voraus, vermeidet solche, die einer besondern Er¬
klärung bedürfen würden, und verknüpft die zahlreichen verschiednen Materien,
welche das weitverzweigte Gebiet der Kriegführung umschließt, zu einer Reihe
lebensvoller und charakteristischer Bilder. Erschöpfende Behandlung auf dem
engen Raume eines einzigen Bandes konnte nur ermöglicht werden, wenn aller
überflüssiige Ballast beiseite gelassen wurde. Der Verfasser hat sich deshalb
auf die Schilderung der modernen Kriegführung beschränkt, er schreibt für die
Gegenwart, und seine Betrachtungen gründen sich auf die immer massenhafter
anschwellenden Volksheere, deren Entwicklung noch im Aufsteigen begriffen ist.
Er beabsichtigt vor allen Dingen, der Heerführung im großen die Teilnahme
mehr und mehr zuzuwenden, welche bisher der Gefechtsführung gewidmet war.
und hofft, daß seine Darstellung dazu beitragen werde, daß daß Wort „Volk
in Waffen" in allen deutschen Herzen das volle Verständnis finde.

Ein zweiter Faktor zur gründlichen Bewältigung des massenhaften Ma¬
terials liegt in der übersichtlichen Gliederung, und auch in dieser Hinsicht hat
der Verfasser den Gegenstand völlig beherrscht.

Der erste Hauptabschnitt des Buches entwickelt die Berechtigung der
Heere der Gegenwart. Die großen Kulturvölker müssen ihre kriegerische
Rüstung mehr und mehr vervollständigen, um im Notfalle einen rücksichtslosen
Gebrauch aller ihrer Kräfte machen zu können. Die Zeit der Kabinetskriege
ist vorüber, die Kollision der Interessen führt zum Kampfe, aber die Leiden¬
schaften der Völker bestimmen unabhängig davon, bis zu welchem Grade er
durchgeführt werden soll. Der Krieg dient nach wie vor der Politik zur Er¬
reichung ihrer Zwecke, er muß aber auch um untergeordneter Ziele willen auf
vollständige Niederwerfung des Gegners ausgehen. Dies führt notwendiger¬
weise zum entscheidenden Gebrauche aller Mittel; der Versuch des mächtigen
Rußlands im letzten Kriege, mit einem Teil seiner Kräfte die weit schwächere
Türkei niederzuwerfen, mißglückte.

Die Kriegführung ist natürlich abhängig von allgemeinen Knlturverhcilt-
uissen und nimmt deshalb zu verschiedener Zeit gänzlich verschiedene Formen
an. In engster Beziehung zu der Kulturstufe eines Volkes steht seine Wehr-
verfnssung, welche, wenn sie gut sein soll, einen ausgeprägt nationalen Charakter
tragen muß. Die gegenwärtige deutsche Wehrverfassnng, welcher die der übrigen


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[0439] Das Volk in Waffen, Nirgends finden wir allgemeine Erklärungen von natürlichen Begriffen und gelehrte silbcnstechcnde Auseinandersetzungen über Strategie und Taktik (oder wie mau jetzt gut deutsch zu sagen anfängt über Kriegsknnde und Gefechtsknnde), wie sie einen guten Teil der gewöhnlichen militärischen Lehrbücher ausfüllen. „Im Kriege handelt es sich um die einfachsten Dinge, um Meuscheu, Pferde, Waffen, Straßen u, s. w, daher kann man über den Krieg auch in der einfachsten Weise reden und ohne Kunststücke in Wortbildungen alles Notwendige auseinander¬ setzen." Von dieser Anschauung ausgehend, setzt der Verfasser die Bekanntschaft mit den einfachen Begriffen voraus, vermeidet solche, die einer besondern Er¬ klärung bedürfen würden, und verknüpft die zahlreichen verschiednen Materien, welche das weitverzweigte Gebiet der Kriegführung umschließt, zu einer Reihe lebensvoller und charakteristischer Bilder. Erschöpfende Behandlung auf dem engen Raume eines einzigen Bandes konnte nur ermöglicht werden, wenn aller überflüssiige Ballast beiseite gelassen wurde. Der Verfasser hat sich deshalb auf die Schilderung der modernen Kriegführung beschränkt, er schreibt für die Gegenwart, und seine Betrachtungen gründen sich auf die immer massenhafter anschwellenden Volksheere, deren Entwicklung noch im Aufsteigen begriffen ist. Er beabsichtigt vor allen Dingen, der Heerführung im großen die Teilnahme mehr und mehr zuzuwenden, welche bisher der Gefechtsführung gewidmet war. und hofft, daß seine Darstellung dazu beitragen werde, daß daß Wort „Volk in Waffen" in allen deutschen Herzen das volle Verständnis finde. Ein zweiter Faktor zur gründlichen Bewältigung des massenhaften Ma¬ terials liegt in der übersichtlichen Gliederung, und auch in dieser Hinsicht hat der Verfasser den Gegenstand völlig beherrscht. Der erste Hauptabschnitt des Buches entwickelt die Berechtigung der Heere der Gegenwart. Die großen Kulturvölker müssen ihre kriegerische Rüstung mehr und mehr vervollständigen, um im Notfalle einen rücksichtslosen Gebrauch aller ihrer Kräfte machen zu können. Die Zeit der Kabinetskriege ist vorüber, die Kollision der Interessen führt zum Kampfe, aber die Leiden¬ schaften der Völker bestimmen unabhängig davon, bis zu welchem Grade er durchgeführt werden soll. Der Krieg dient nach wie vor der Politik zur Er¬ reichung ihrer Zwecke, er muß aber auch um untergeordneter Ziele willen auf vollständige Niederwerfung des Gegners ausgehen. Dies führt notwendiger¬ weise zum entscheidenden Gebrauche aller Mittel; der Versuch des mächtigen Rußlands im letzten Kriege, mit einem Teil seiner Kräfte die weit schwächere Türkei niederzuwerfen, mißglückte. Die Kriegführung ist natürlich abhängig von allgemeinen Knlturverhcilt- uissen und nimmt deshalb zu verschiedener Zeit gänzlich verschiedene Formen an. In engster Beziehung zu der Kulturstufe eines Volkes steht seine Wehr- verfnssung, welche, wenn sie gut sein soll, einen ausgeprägt nationalen Charakter tragen muß. Die gegenwärtige deutsche Wehrverfassnng, welcher die der übrigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/439>, abgerufen am 01.09.2024.