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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Botho von Hülsen und seine Leute.

der Mangel an genialen Künstlern immer fühlbarer wird, je mehr der Zug
der Zeit sich auf das Materielle, auf das Praktische und Nüchterne richtet.
Oder sollte er etwa leugnen wollen, daß die Kunst und mit ihr auch die Künstler
Kinder ihrer Zeit sind? Ist es etwa anderswo im deutschen Reiche besser be¬
stellt? Wer Gelegenheit gehabt hat, sich dort umzusehen, wer die lange Reihe
von mehr oder minder durch die Reklame künstlich zu Celebritäten aufgestützten
Halbgötter der modernen Bühne an sich hat vorüberziehen sehen, der wird
mit schmerzlicher Enttäuschung a" das Bismarcksche Wort erinnert worden
sein, daß es "auch nichts ist." Talente zu suchen und auszubilden war aus¬
nahmsweise einem Laube vergönnt. Was einem Privattheater möglich ist, wenn
besonders günstige Umstände sich vereinen, gelingt Hoftheatern nur selten einmal
in vereinzelten Fällen. Was das "Deutsche Theater," dem niemand mit innigern
Wünschen und freudigerer Spannung entgegensehen kann als ich, uns sein wird,
bleibt abzuwarten. Ich fürchte, daß auch hier das Horazische post, sauitsnr se^et,
g,trg, eurg, sich nur zu bald erfüllen wird. Jedenfalls aber wäre es voreilig,
schon jetzt auf dieses Institut exemplifiziren zu wollen.

Aber wie dem auch sei: selbst wenn wir das künstlerische Defizit des Ber¬
liner Personals summiren -- immer bleibt noch für den, der nicht in hochmütiger
Befangenheit schwebt, ein so bedeutender Überschuß an Aktiven, daß man innige
Freude und wahre Erbauung an den Schöpfungen jeuer Künstler findet, trotz des
verblüffenden Ausspruches des Herrn Schleuther, daß es an der Berliner Hofbühne
kein Zusammenspiel, sondern nur ein Durcheinander von Solospieler" gebe und
daß niemand dort einen Blankvers zu sprechen verstehe!


Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort,
Eng ist die Welt und das Gehirn ist weit

sagt Wallenstein zu Max. Um wieviel weiser wäre es gewesen, wenn Herr
Schleuther statt mit unbeweisbaren, weil durchaus übertriebenen Orakelsprüchen
sein junges schriftstellerisches Prestige zu schädigen, dieser Mahnung eingedenk
geblieben wäre. Wie oft hört man, wenn ein dilcttirender Kunstmeier nichts
andres zu sagen weiß, das große Wort: "Aber das Ensemble taugt nichts!"
Das imponirt in der Regel dem Philister, weil er keinen Maßstab für das
Ensemble hat, und verständnisinnig nickt er mit dem dicken Michelschädel zu
solcher profunden Kennerschaft. Daß ab und zu kleine Unebenheiten unterlaufen,
daß zuweilen eine Schauspielerin, von dem Reize zu gefallen verführt, etwas
stärkere Töne und Nüancen wählt, als es dienlich, daß ein Held eine Rede mehr
in das Publikum hineinspricht, als es die Situation verträgt, oder daß jemand
den Witz seiner Rolle zu stark auf den Effekt hin anlegt, sind verzeihliche Ver¬
sehen, die nirgendwo fehlen, aber keineswegs zu einer vollständigen Leugnung
des Ensembles berechtigen. Gerade das Ensemble ist es, welches die Stärke
der Berliner Hofbühne bildet und dafür Ersatz bietet, wenn zufällig die eine oder die


Botho von Hülsen und seine Leute.

der Mangel an genialen Künstlern immer fühlbarer wird, je mehr der Zug
der Zeit sich auf das Materielle, auf das Praktische und Nüchterne richtet.
Oder sollte er etwa leugnen wollen, daß die Kunst und mit ihr auch die Künstler
Kinder ihrer Zeit sind? Ist es etwa anderswo im deutschen Reiche besser be¬
stellt? Wer Gelegenheit gehabt hat, sich dort umzusehen, wer die lange Reihe
von mehr oder minder durch die Reklame künstlich zu Celebritäten aufgestützten
Halbgötter der modernen Bühne an sich hat vorüberziehen sehen, der wird
mit schmerzlicher Enttäuschung a» das Bismarcksche Wort erinnert worden
sein, daß es „auch nichts ist." Talente zu suchen und auszubilden war aus¬
nahmsweise einem Laube vergönnt. Was einem Privattheater möglich ist, wenn
besonders günstige Umstände sich vereinen, gelingt Hoftheatern nur selten einmal
in vereinzelten Fällen. Was das „Deutsche Theater," dem niemand mit innigern
Wünschen und freudigerer Spannung entgegensehen kann als ich, uns sein wird,
bleibt abzuwarten. Ich fürchte, daß auch hier das Horazische post, sauitsnr se^et,
g,trg, eurg, sich nur zu bald erfüllen wird. Jedenfalls aber wäre es voreilig,
schon jetzt auf dieses Institut exemplifiziren zu wollen.

Aber wie dem auch sei: selbst wenn wir das künstlerische Defizit des Ber¬
liner Personals summiren — immer bleibt noch für den, der nicht in hochmütiger
Befangenheit schwebt, ein so bedeutender Überschuß an Aktiven, daß man innige
Freude und wahre Erbauung an den Schöpfungen jeuer Künstler findet, trotz des
verblüffenden Ausspruches des Herrn Schleuther, daß es an der Berliner Hofbühne
kein Zusammenspiel, sondern nur ein Durcheinander von Solospieler» gebe und
daß niemand dort einen Blankvers zu sprechen verstehe!


Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort,
Eng ist die Welt und das Gehirn ist weit

sagt Wallenstein zu Max. Um wieviel weiser wäre es gewesen, wenn Herr
Schleuther statt mit unbeweisbaren, weil durchaus übertriebenen Orakelsprüchen
sein junges schriftstellerisches Prestige zu schädigen, dieser Mahnung eingedenk
geblieben wäre. Wie oft hört man, wenn ein dilcttirender Kunstmeier nichts
andres zu sagen weiß, das große Wort: „Aber das Ensemble taugt nichts!"
Das imponirt in der Regel dem Philister, weil er keinen Maßstab für das
Ensemble hat, und verständnisinnig nickt er mit dem dicken Michelschädel zu
solcher profunden Kennerschaft. Daß ab und zu kleine Unebenheiten unterlaufen,
daß zuweilen eine Schauspielerin, von dem Reize zu gefallen verführt, etwas
stärkere Töne und Nüancen wählt, als es dienlich, daß ein Held eine Rede mehr
in das Publikum hineinspricht, als es die Situation verträgt, oder daß jemand
den Witz seiner Rolle zu stark auf den Effekt hin anlegt, sind verzeihliche Ver¬
sehen, die nirgendwo fehlen, aber keineswegs zu einer vollständigen Leugnung
des Ensembles berechtigen. Gerade das Ensemble ist es, welches die Stärke
der Berliner Hofbühne bildet und dafür Ersatz bietet, wenn zufällig die eine oder die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/42>, abgerufen am 27.07.2024.