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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Botho von Hülsen und seine Leute.

im studentischen Paukjargon heißt. Gerade die angeführten Beispiele zeugen jedoch
Wider den Beurteiler, denn wenn man auch eine mitunter sich einstellende Manier
sentimentaler Eintönigkeit, die übrigens bekanntermaßen selbst der großen Cre-
linger anhaftete, ungern über sich ergehen läßt, so findet man in der macht¬
vollen Tragik, in der großen Naturwahrheit der leidenschaftlichen Affekte, in
der tiefergreifender Innigkeit und Unmittelbarkeit der Schmerzempfindung, wie
sie namentlich sich in der Rolle der Luise mit überzeugender Kraft Bahn bricht,
reichlichen Ersatz und versöhnt sich nicht nur mit jener Schwäche, sondern auch
mit dem ein norddeutsches Ohr unangenehm berührenden ungarischen Accent,
den die Künstlerin leider noch nicht zu überwinden vermocht hat. Auch dies
ist kein willkürliches, subjektives, sondern ein von der kompetenten Berliner Kritik
wie dem ständigen gebildeten Theaterpublikum oft anerkanntes Urteil. Poesie
der Auffassung und eine starke dramatische Anschauung, Feuer und Schwung in
allen bedeutenderen Äußerungen des Seelenlebens sind diejenigen Gaben gewesen,
welche dieser, außerdem noch durch deu Vorzug der Jugend und einer inter¬
essanten Erscheinung ausgezeichneten Künstlerin die Pforten des Berliner Mnsen-
tempels erschlossen haben und sie in der That zu der ihr eingeräumten Stel¬
lung einer bedeutenden Künstlerin berechtigen, welche Herrn Schlenthers einseitig
negirende Methode ihr streitig zu machen vergebens bemüht sein wird.

Um die krasse Unzulänglichkeit in den Urteilen des Herrn Schlenther im
einzelnen zu erweisen und zu widerlegen, bedürfte es eines so genanen Ein¬
gehens auf dieselbe", wie es nicht einmal der Raum einer Fachzeitschrift ge¬
statten würde. Man müßte eine Kritik von dem doppelten oder dreifachen Um¬
fange der seinigen schreiben. Wäre letztere einer solchen wert? Für die geringe
Zahl der unmittelbar Jnteressirten vielleicht. Für das große Publikum, welches
ohnehin nicht gerne mit ästhetischen Diatriben befaßt sein will, gewiß nicht. Um
nicht dnrch Breite zu ermüden, muß ich deshalb, so sehr mich auch die Vor¬
liebe für die Sache verlockt, mich weitern Eingehens auf diesen Teil der Be¬
weisführung des Verfassers enthalten. Um mich indessen nicht ebenfalls des
von ihm begangenen Fehlers der Einseitigkeit schuldig zu machen, halte ich es
nicht sür überflüssig, hier noch einmal zu betonen, daß vielen seiner sonstigen
Äußerungen über die Schauspieler eine treffende Charakteristik, ein beachtenswertes
Körnchen Wahrheit zu Grunde liegt, dessen Auffindung jedoch leider durch seinen
bedauerlichen Hang zum summarischen Verfahren, zum Ballspiel mit glitzernde"
Antithesen und epigrammatischen Zuspitzungen dem mit den Verhältnissen nicht
genau vertrauten Leser sehr erschwert, mitunter sogar völlig unmöglich gemacht wird.
Aber gesetzt auch, er hätte mit seinen schroff negirenden Ansichten immer den
Nagel auf den Kopf getroffen, was bewiese er damit? Im besten Falle die
von den Kundigen aller Orte und aller Gattungen längst gekannte und nur
von heißspornigen Neulingen im Kunstleben bestrittene Wahrheit, die sich
in die banale Wendung kleidet, daß mau "überall mit Wasser kocht" und daß


Botho von Hülsen und seine Leute.

im studentischen Paukjargon heißt. Gerade die angeführten Beispiele zeugen jedoch
Wider den Beurteiler, denn wenn man auch eine mitunter sich einstellende Manier
sentimentaler Eintönigkeit, die übrigens bekanntermaßen selbst der großen Cre-
linger anhaftete, ungern über sich ergehen läßt, so findet man in der macht¬
vollen Tragik, in der großen Naturwahrheit der leidenschaftlichen Affekte, in
der tiefergreifender Innigkeit und Unmittelbarkeit der Schmerzempfindung, wie
sie namentlich sich in der Rolle der Luise mit überzeugender Kraft Bahn bricht,
reichlichen Ersatz und versöhnt sich nicht nur mit jener Schwäche, sondern auch
mit dem ein norddeutsches Ohr unangenehm berührenden ungarischen Accent,
den die Künstlerin leider noch nicht zu überwinden vermocht hat. Auch dies
ist kein willkürliches, subjektives, sondern ein von der kompetenten Berliner Kritik
wie dem ständigen gebildeten Theaterpublikum oft anerkanntes Urteil. Poesie
der Auffassung und eine starke dramatische Anschauung, Feuer und Schwung in
allen bedeutenderen Äußerungen des Seelenlebens sind diejenigen Gaben gewesen,
welche dieser, außerdem noch durch deu Vorzug der Jugend und einer inter¬
essanten Erscheinung ausgezeichneten Künstlerin die Pforten des Berliner Mnsen-
tempels erschlossen haben und sie in der That zu der ihr eingeräumten Stel¬
lung einer bedeutenden Künstlerin berechtigen, welche Herrn Schlenthers einseitig
negirende Methode ihr streitig zu machen vergebens bemüht sein wird.

Um die krasse Unzulänglichkeit in den Urteilen des Herrn Schlenther im
einzelnen zu erweisen und zu widerlegen, bedürfte es eines so genanen Ein¬
gehens auf dieselbe», wie es nicht einmal der Raum einer Fachzeitschrift ge¬
statten würde. Man müßte eine Kritik von dem doppelten oder dreifachen Um¬
fange der seinigen schreiben. Wäre letztere einer solchen wert? Für die geringe
Zahl der unmittelbar Jnteressirten vielleicht. Für das große Publikum, welches
ohnehin nicht gerne mit ästhetischen Diatriben befaßt sein will, gewiß nicht. Um
nicht dnrch Breite zu ermüden, muß ich deshalb, so sehr mich auch die Vor¬
liebe für die Sache verlockt, mich weitern Eingehens auf diesen Teil der Be¬
weisführung des Verfassers enthalten. Um mich indessen nicht ebenfalls des
von ihm begangenen Fehlers der Einseitigkeit schuldig zu machen, halte ich es
nicht sür überflüssig, hier noch einmal zu betonen, daß vielen seiner sonstigen
Äußerungen über die Schauspieler eine treffende Charakteristik, ein beachtenswertes
Körnchen Wahrheit zu Grunde liegt, dessen Auffindung jedoch leider durch seinen
bedauerlichen Hang zum summarischen Verfahren, zum Ballspiel mit glitzernde»
Antithesen und epigrammatischen Zuspitzungen dem mit den Verhältnissen nicht
genau vertrauten Leser sehr erschwert, mitunter sogar völlig unmöglich gemacht wird.
Aber gesetzt auch, er hätte mit seinen schroff negirenden Ansichten immer den
Nagel auf den Kopf getroffen, was bewiese er damit? Im besten Falle die
von den Kundigen aller Orte und aller Gattungen längst gekannte und nur
von heißspornigen Neulingen im Kunstleben bestrittene Wahrheit, die sich
in die banale Wendung kleidet, daß mau „überall mit Wasser kocht" und daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/41>, abgerufen am 01.09.2024.