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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

denn es schien ihm unmöglich, daß diese keine Erhörung bei einer solchen Mitt¬
lerin finden sollten. War er von einem solchen Ausgang in sein Atelier zurück¬
gekehrt, dann saß er oft stundenlang, ohne einen Strich zu thun, lediglich in
Gedanken an das Mädchen versunken. Immer mehr fühlte er, wie wenig er
ihrer würdig sei; er bereute sein Vorleben, das ihn so abseits von dem Wege
geführt hatte, der zu ihr lenkte. Aber wenn er sich so recht krank und elend
fühlte, dann hoffte er doch wieder, daß Francesca nicht minder ihm, wie so
vielen andern Mühseligen und Beladenen, Heil und Rettung bringen könnte. Und
der Gedanke tröstete ihn und richtete ihn wieder auf; er begann dann aufs neue
seine Arbeit, und von Hoffnung gestärkt brachte er sie rüstig vorwärts.

Aber mich in Francesca keimte mehr als bloße Freundschaft zu dem blonden
deutschen Maler. Kamille auch ihr reines Gemüt nur die Liebe zu dem An¬
denken an ihre unglückliche Mutter und eine hingebende Verehrung zu dem teuern
Oheim, so entwickelte sich doch unbewußt ein viel mächtigeres Gefühl für den
jungen Fremdling, und schon dachte sie nicht ohne Furcht an die Zeit, wenn
sie dieser verlassen und seinen Wanderstab weitersetzen würde. Ihrer Beobach¬
tung war es auch nicht entgangen, daß Oswald von einem schweren Kummer
bedrückt war, und so war es ihr eine besondre Genugthuung, ihn durch ein
freundliches Wort aufzurichten oder durch eine heitere Bemerkung die Wolken
von seiner Stirn zu verscheuchen. Das Atelier war über ihrem Zimmer, und
hörte sie zuweilen den Gast unruhig auf- und niederschreitcn, dann erfand sie
wohl einen Vorwand, um einen Blick in dessen Werkstatt zu werfen und ein
paar Worte an ihn zu richten. Kehrte sie dann in ihr Zimmer zurück, da war
es oben still geworden, und begegnete sie später dem Freunde, dann zeigte ihr
sein strahlendes Angesicht, wie guten Erfolg ihr Heilmittel gehabt hatte. "Sie
liebte ihn um ihres Mitleids willen."

Freilich, wer diesen Verkehr genauer beobachtet'hätte, dem hätte das Auf¬
sprießen der Liebe in dem Herzen beider nicht entgehen dürfen. Waren es auch
nicht Liebeleien oder zierliche Phrasen, die zwischen ihnen gewechselt wurden, so
gab doch jede Bewegung und jeder Blick Zeugnis von dem, was in ihnen vor¬
ging. Aber der Marchese wie Signor Rebecchini hatten für diese Vorgänge kein
Auge. Der erstere war wieder einmal sehr in seinen Dantestudien vertieft, eine neue
Deutung für die Person der Mathilde in dem irdischen Paradiese hatte sein
ganzes Interesse in Anspruch genommen, eine reiche Korrespondenz mit gleich-
gesinnten Forschern war zu bewältigen, und während er an seinen neuen Ge¬
danken, der vielfachen Widerspruch erhielt, sich festklammerte, merkte er nicht,
daß die Dantestudien zwischen dem Gast und seiner Nichte auf ein ganz andres
Gebiet überzugehen drohten. Der alte Poltron Rebecchini aber, der bei seinen
Abendbesuchen, wenn er irgend eine neue Schandthat der frühern Herrschaft be¬
richtete, in Oswald einen aufmerksamen Hörer zu haben glaubte, mußte häufig
entdecken, daß dem Fremdling, der unverrückt auf Francescas Handarbeit gesehen


Francesca von Rimini.

denn es schien ihm unmöglich, daß diese keine Erhörung bei einer solchen Mitt¬
lerin finden sollten. War er von einem solchen Ausgang in sein Atelier zurück¬
gekehrt, dann saß er oft stundenlang, ohne einen Strich zu thun, lediglich in
Gedanken an das Mädchen versunken. Immer mehr fühlte er, wie wenig er
ihrer würdig sei; er bereute sein Vorleben, das ihn so abseits von dem Wege
geführt hatte, der zu ihr lenkte. Aber wenn er sich so recht krank und elend
fühlte, dann hoffte er doch wieder, daß Francesca nicht minder ihm, wie so
vielen andern Mühseligen und Beladenen, Heil und Rettung bringen könnte. Und
der Gedanke tröstete ihn und richtete ihn wieder auf; er begann dann aufs neue
seine Arbeit, und von Hoffnung gestärkt brachte er sie rüstig vorwärts.

Aber mich in Francesca keimte mehr als bloße Freundschaft zu dem blonden
deutschen Maler. Kamille auch ihr reines Gemüt nur die Liebe zu dem An¬
denken an ihre unglückliche Mutter und eine hingebende Verehrung zu dem teuern
Oheim, so entwickelte sich doch unbewußt ein viel mächtigeres Gefühl für den
jungen Fremdling, und schon dachte sie nicht ohne Furcht an die Zeit, wenn
sie dieser verlassen und seinen Wanderstab weitersetzen würde. Ihrer Beobach¬
tung war es auch nicht entgangen, daß Oswald von einem schweren Kummer
bedrückt war, und so war es ihr eine besondre Genugthuung, ihn durch ein
freundliches Wort aufzurichten oder durch eine heitere Bemerkung die Wolken
von seiner Stirn zu verscheuchen. Das Atelier war über ihrem Zimmer, und
hörte sie zuweilen den Gast unruhig auf- und niederschreitcn, dann erfand sie
wohl einen Vorwand, um einen Blick in dessen Werkstatt zu werfen und ein
paar Worte an ihn zu richten. Kehrte sie dann in ihr Zimmer zurück, da war
es oben still geworden, und begegnete sie später dem Freunde, dann zeigte ihr
sein strahlendes Angesicht, wie guten Erfolg ihr Heilmittel gehabt hatte. „Sie
liebte ihn um ihres Mitleids willen."

Freilich, wer diesen Verkehr genauer beobachtet'hätte, dem hätte das Auf¬
sprießen der Liebe in dem Herzen beider nicht entgehen dürfen. Waren es auch
nicht Liebeleien oder zierliche Phrasen, die zwischen ihnen gewechselt wurden, so
gab doch jede Bewegung und jeder Blick Zeugnis von dem, was in ihnen vor¬
ging. Aber der Marchese wie Signor Rebecchini hatten für diese Vorgänge kein
Auge. Der erstere war wieder einmal sehr in seinen Dantestudien vertieft, eine neue
Deutung für die Person der Mathilde in dem irdischen Paradiese hatte sein
ganzes Interesse in Anspruch genommen, eine reiche Korrespondenz mit gleich-
gesinnten Forschern war zu bewältigen, und während er an seinen neuen Ge¬
danken, der vielfachen Widerspruch erhielt, sich festklammerte, merkte er nicht,
daß die Dantestudien zwischen dem Gast und seiner Nichte auf ein ganz andres
Gebiet überzugehen drohten. Der alte Poltron Rebecchini aber, der bei seinen
Abendbesuchen, wenn er irgend eine neue Schandthat der frühern Herrschaft be¬
richtete, in Oswald einen aufmerksamen Hörer zu haben glaubte, mußte häufig
entdecken, daß dem Fremdling, der unverrückt auf Francescas Handarbeit gesehen


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[0416] Francesca von Rimini. denn es schien ihm unmöglich, daß diese keine Erhörung bei einer solchen Mitt¬ lerin finden sollten. War er von einem solchen Ausgang in sein Atelier zurück¬ gekehrt, dann saß er oft stundenlang, ohne einen Strich zu thun, lediglich in Gedanken an das Mädchen versunken. Immer mehr fühlte er, wie wenig er ihrer würdig sei; er bereute sein Vorleben, das ihn so abseits von dem Wege geführt hatte, der zu ihr lenkte. Aber wenn er sich so recht krank und elend fühlte, dann hoffte er doch wieder, daß Francesca nicht minder ihm, wie so vielen andern Mühseligen und Beladenen, Heil und Rettung bringen könnte. Und der Gedanke tröstete ihn und richtete ihn wieder auf; er begann dann aufs neue seine Arbeit, und von Hoffnung gestärkt brachte er sie rüstig vorwärts. Aber mich in Francesca keimte mehr als bloße Freundschaft zu dem blonden deutschen Maler. Kamille auch ihr reines Gemüt nur die Liebe zu dem An¬ denken an ihre unglückliche Mutter und eine hingebende Verehrung zu dem teuern Oheim, so entwickelte sich doch unbewußt ein viel mächtigeres Gefühl für den jungen Fremdling, und schon dachte sie nicht ohne Furcht an die Zeit, wenn sie dieser verlassen und seinen Wanderstab weitersetzen würde. Ihrer Beobach¬ tung war es auch nicht entgangen, daß Oswald von einem schweren Kummer bedrückt war, und so war es ihr eine besondre Genugthuung, ihn durch ein freundliches Wort aufzurichten oder durch eine heitere Bemerkung die Wolken von seiner Stirn zu verscheuchen. Das Atelier war über ihrem Zimmer, und hörte sie zuweilen den Gast unruhig auf- und niederschreitcn, dann erfand sie wohl einen Vorwand, um einen Blick in dessen Werkstatt zu werfen und ein paar Worte an ihn zu richten. Kehrte sie dann in ihr Zimmer zurück, da war es oben still geworden, und begegnete sie später dem Freunde, dann zeigte ihr sein strahlendes Angesicht, wie guten Erfolg ihr Heilmittel gehabt hatte. „Sie liebte ihn um ihres Mitleids willen." Freilich, wer diesen Verkehr genauer beobachtet'hätte, dem hätte das Auf¬ sprießen der Liebe in dem Herzen beider nicht entgehen dürfen. Waren es auch nicht Liebeleien oder zierliche Phrasen, die zwischen ihnen gewechselt wurden, so gab doch jede Bewegung und jeder Blick Zeugnis von dem, was in ihnen vor¬ ging. Aber der Marchese wie Signor Rebecchini hatten für diese Vorgänge kein Auge. Der erstere war wieder einmal sehr in seinen Dantestudien vertieft, eine neue Deutung für die Person der Mathilde in dem irdischen Paradiese hatte sein ganzes Interesse in Anspruch genommen, eine reiche Korrespondenz mit gleich- gesinnten Forschern war zu bewältigen, und während er an seinen neuen Ge¬ danken, der vielfachen Widerspruch erhielt, sich festklammerte, merkte er nicht, daß die Dantestudien zwischen dem Gast und seiner Nichte auf ein ganz andres Gebiet überzugehen drohten. Der alte Poltron Rebecchini aber, der bei seinen Abendbesuchen, wenn er irgend eine neue Schandthat der frühern Herrschaft be¬ richtete, in Oswald einen aufmerksamen Hörer zu haben glaubte, mußte häufig entdecken, daß dem Fremdling, der unverrückt auf Francescas Handarbeit gesehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/416>, abgerufen am 01.09.2024.