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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Frankreichs Ariegsbereitschaft.

und Erfahrung eine gewisse Sicherheit in der Truppenführung aneignen und
auch tüchtige Nachfolger heranbilden. Aber es bedarf kaum eines Beweises,
daß das französische Gesetz, welches aller drei Jahre neunzehn neue komman-
dirende Generale schaffen will, dazu nicht Zeit läßt, und daß die "Altersgrenze"
oft vorzügliche Elemente rücksichtslos beseitigt. In einem Lande wie Frankreich,
wo der Soldat die Treue gegen ein angestammtes Fürstenhaus nicht mehr kennt,
wo das Volkstemperament schnell aufbrausend im Enthusiasmus bedeutendes zu
leisten vermag, wo die Begeisterung aber stets nur aus augenblicklichen Eindrücken,
nicht aus dauerndem, konsequenten Fühlen entspringt, wiegt die Person des
Führers besonders schwer. Hingebung, vertrauensvoller, freudiger Gehorsam,
die der moralischen Qualität immer neue Stärkung zuführen, kann in Frank¬
reich nur der Führer von seinen Leuten hoffen, der den sehnsüchtig erstrebten
Ruhm sich bereits auf früheren Schlachtfeldern erworben hat, und solche Ge¬
nerale besitzt das heutige Frankreich nicht. "Die Qualität der niedern Führung
wechselt sehr. Ein Drittel der Stellen bis zum Kapitän einschließlich wird mit
frühern Unteroffizieren besetzt, alten Praktikern, die vom Schliff der bessern
Gesellschaft wenig haben. Ilnit-s ä'oriZmö lautet zwar jetzt die kriegsministcrielle
Parole, aber indem man die sogenannte Unteroffizierskarriere erleichtert, die
Beförderung zur Leutnantscharge nach dem kostenfreien Besuche der Schulen
von Se. Maixent, Saumur und Versailles beschleunigt, nimmt man der kost¬
spieligen Anstalt von Se. Cyr und der polytechnischen Schule mit ihren mehr¬
jährigen Kursen eine große Anzahl von Zöglingen, verweist diese auf den billigern
und kürzern Weg durch die Unteroffizierschargen und drückt dadurch den all¬
gemeinen Bildungsstand herunter. Infolge der ungleichen Vorbildung wird
ein doppelter Beförderungsmodus erforderlich, der das Offizierkorps spaltet; die
Offiziere der besser gebildeten Art blicken mit Geringschätzung auf die andern
herab." Dazu kommt, daß die Offiziere des französischen "Parlamcntsheeres"
politischen Parteien angehören. Manche schwören noch zum Lilienbanner,
andre zum Sterne der napoleoniden, endlich hat jeder der Herren, die seit 1871
Kriegsminister in Paris waren, eine Partei hinterlassen, die nicht bloß mili¬
tärisch, sondern auch politisch seine Ansichten teilt. Und die Mannschaft? Sie
hat ihre lichten und dunkeln Seiten wie früher, niemand wird im Ernste be¬
haupten wollen, daß die neue Armee bessere moralische Eigenschaften hätte als
die kaiserliche. "Der militärische Geist wird den Franzosen nicht angeboren,
hat sich nicht durch Generationen vererbt wie in Deutschland und vorzüglich in
Preußen, und die Anstrengungen, welche die Regierung jetzt macht, um ihnen den¬
selben von Kindesbeinen ab anzuerziehen, können nicht die Wirkung haben wie
die Tradition, wie die ununterbrochne Zugehörigkeit von Großvater, Vater und
Sohn derselben Bauernfamilie zu demselben Regimentsverbande." Endlich ist
eine Hauptstärke unsrer Wehrvcrfassuug, die Gleichwertigkeit der einzelnen Truppen¬
teile, in Frankreich nicht zu finden. "Charaktereigenschaften und Lebensgcwohn-


Frankreichs Ariegsbereitschaft.

und Erfahrung eine gewisse Sicherheit in der Truppenführung aneignen und
auch tüchtige Nachfolger heranbilden. Aber es bedarf kaum eines Beweises,
daß das französische Gesetz, welches aller drei Jahre neunzehn neue komman-
dirende Generale schaffen will, dazu nicht Zeit läßt, und daß die „Altersgrenze"
oft vorzügliche Elemente rücksichtslos beseitigt. In einem Lande wie Frankreich,
wo der Soldat die Treue gegen ein angestammtes Fürstenhaus nicht mehr kennt,
wo das Volkstemperament schnell aufbrausend im Enthusiasmus bedeutendes zu
leisten vermag, wo die Begeisterung aber stets nur aus augenblicklichen Eindrücken,
nicht aus dauerndem, konsequenten Fühlen entspringt, wiegt die Person des
Führers besonders schwer. Hingebung, vertrauensvoller, freudiger Gehorsam,
die der moralischen Qualität immer neue Stärkung zuführen, kann in Frank¬
reich nur der Führer von seinen Leuten hoffen, der den sehnsüchtig erstrebten
Ruhm sich bereits auf früheren Schlachtfeldern erworben hat, und solche Ge¬
nerale besitzt das heutige Frankreich nicht. „Die Qualität der niedern Führung
wechselt sehr. Ein Drittel der Stellen bis zum Kapitän einschließlich wird mit
frühern Unteroffizieren besetzt, alten Praktikern, die vom Schliff der bessern
Gesellschaft wenig haben. Ilnit-s ä'oriZmö lautet zwar jetzt die kriegsministcrielle
Parole, aber indem man die sogenannte Unteroffizierskarriere erleichtert, die
Beförderung zur Leutnantscharge nach dem kostenfreien Besuche der Schulen
von Se. Maixent, Saumur und Versailles beschleunigt, nimmt man der kost¬
spieligen Anstalt von Se. Cyr und der polytechnischen Schule mit ihren mehr¬
jährigen Kursen eine große Anzahl von Zöglingen, verweist diese auf den billigern
und kürzern Weg durch die Unteroffizierschargen und drückt dadurch den all¬
gemeinen Bildungsstand herunter. Infolge der ungleichen Vorbildung wird
ein doppelter Beförderungsmodus erforderlich, der das Offizierkorps spaltet; die
Offiziere der besser gebildeten Art blicken mit Geringschätzung auf die andern
herab." Dazu kommt, daß die Offiziere des französischen „Parlamcntsheeres"
politischen Parteien angehören. Manche schwören noch zum Lilienbanner,
andre zum Sterne der napoleoniden, endlich hat jeder der Herren, die seit 1871
Kriegsminister in Paris waren, eine Partei hinterlassen, die nicht bloß mili¬
tärisch, sondern auch politisch seine Ansichten teilt. Und die Mannschaft? Sie
hat ihre lichten und dunkeln Seiten wie früher, niemand wird im Ernste be¬
haupten wollen, daß die neue Armee bessere moralische Eigenschaften hätte als
die kaiserliche. „Der militärische Geist wird den Franzosen nicht angeboren,
hat sich nicht durch Generationen vererbt wie in Deutschland und vorzüglich in
Preußen, und die Anstrengungen, welche die Regierung jetzt macht, um ihnen den¬
selben von Kindesbeinen ab anzuerziehen, können nicht die Wirkung haben wie
die Tradition, wie die ununterbrochne Zugehörigkeit von Großvater, Vater und
Sohn derselben Bauernfamilie zu demselben Regimentsverbande." Endlich ist
eine Hauptstärke unsrer Wehrvcrfassuug, die Gleichwertigkeit der einzelnen Truppen¬
teile, in Frankreich nicht zu finden. „Charaktereigenschaften und Lebensgcwohn-


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[0392] Frankreichs Ariegsbereitschaft. und Erfahrung eine gewisse Sicherheit in der Truppenführung aneignen und auch tüchtige Nachfolger heranbilden. Aber es bedarf kaum eines Beweises, daß das französische Gesetz, welches aller drei Jahre neunzehn neue komman- dirende Generale schaffen will, dazu nicht Zeit läßt, und daß die „Altersgrenze" oft vorzügliche Elemente rücksichtslos beseitigt. In einem Lande wie Frankreich, wo der Soldat die Treue gegen ein angestammtes Fürstenhaus nicht mehr kennt, wo das Volkstemperament schnell aufbrausend im Enthusiasmus bedeutendes zu leisten vermag, wo die Begeisterung aber stets nur aus augenblicklichen Eindrücken, nicht aus dauerndem, konsequenten Fühlen entspringt, wiegt die Person des Führers besonders schwer. Hingebung, vertrauensvoller, freudiger Gehorsam, die der moralischen Qualität immer neue Stärkung zuführen, kann in Frank¬ reich nur der Führer von seinen Leuten hoffen, der den sehnsüchtig erstrebten Ruhm sich bereits auf früheren Schlachtfeldern erworben hat, und solche Ge¬ nerale besitzt das heutige Frankreich nicht. „Die Qualität der niedern Führung wechselt sehr. Ein Drittel der Stellen bis zum Kapitän einschließlich wird mit frühern Unteroffizieren besetzt, alten Praktikern, die vom Schliff der bessern Gesellschaft wenig haben. Ilnit-s ä'oriZmö lautet zwar jetzt die kriegsministcrielle Parole, aber indem man die sogenannte Unteroffizierskarriere erleichtert, die Beförderung zur Leutnantscharge nach dem kostenfreien Besuche der Schulen von Se. Maixent, Saumur und Versailles beschleunigt, nimmt man der kost¬ spieligen Anstalt von Se. Cyr und der polytechnischen Schule mit ihren mehr¬ jährigen Kursen eine große Anzahl von Zöglingen, verweist diese auf den billigern und kürzern Weg durch die Unteroffizierschargen und drückt dadurch den all¬ gemeinen Bildungsstand herunter. Infolge der ungleichen Vorbildung wird ein doppelter Beförderungsmodus erforderlich, der das Offizierkorps spaltet; die Offiziere der besser gebildeten Art blicken mit Geringschätzung auf die andern herab." Dazu kommt, daß die Offiziere des französischen „Parlamcntsheeres" politischen Parteien angehören. Manche schwören noch zum Lilienbanner, andre zum Sterne der napoleoniden, endlich hat jeder der Herren, die seit 1871 Kriegsminister in Paris waren, eine Partei hinterlassen, die nicht bloß mili¬ tärisch, sondern auch politisch seine Ansichten teilt. Und die Mannschaft? Sie hat ihre lichten und dunkeln Seiten wie früher, niemand wird im Ernste be¬ haupten wollen, daß die neue Armee bessere moralische Eigenschaften hätte als die kaiserliche. „Der militärische Geist wird den Franzosen nicht angeboren, hat sich nicht durch Generationen vererbt wie in Deutschland und vorzüglich in Preußen, und die Anstrengungen, welche die Regierung jetzt macht, um ihnen den¬ selben von Kindesbeinen ab anzuerziehen, können nicht die Wirkung haben wie die Tradition, wie die ununterbrochne Zugehörigkeit von Großvater, Vater und Sohn derselben Bauernfamilie zu demselben Regimentsverbande." Endlich ist eine Hauptstärke unsrer Wehrvcrfassuug, die Gleichwertigkeit der einzelnen Truppen¬ teile, in Frankreich nicht zu finden. „Charaktereigenschaften und Lebensgcwohn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/392>, abgerufen am 27.07.2024.