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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

der fand in dem Palazza bei San Giuliano Hilfe und Zuflucht. Der letztver¬
storbene Marchese hatte zwei Söhne, von denen der ältere, Don Riario, von
seiner Mutter, die vor seiner Geburt mit schweren Ahnungen erfüllt war, der
Kirche, noch ehe er in die Welt eintrat, gelobt wurde. Ach Herr, daß die
Frauen doch immer nur auf verkehrte Dinge kommen, und Donna Anna war
doch sonst eine so kluge Frau. Denn Don Riario hätte zu allem andern ge¬
taugt als zum Diener Gottes, wenn es gleich in damaliger Zeit deren viele
gab, die Gottes Gebote nur kannten, um sie zu übertreten. Don Riario aber
wurde seinem Stande gemäß erzogen, von den Eltern verzärtelt, während sein
jüngerer Bruder, Don Baldassare, in frischem Jugendmut wegen mancherlei
lustiger Streiche die Strenge des Vaters erfuhr. In ihm aber lebte der un¬
abhängige Sinn seiner Ahnen und ihr Heldenmut. Riario ging in das Se¬
minar nach Rom, Baldassare aber zog heimlich, ohne Vorwissen seiner Eltern,
nach Piemont und beteiligte sich in dem unglücklichen Jahre 1848 an dem
Feldzug gegen die verfluchten Tedeschi -- uun, blickt nur nicht so unwillig
Signore Oswaldo, Ihr seid ja nicht darunter gemeint, Ihr seid un 6vrmM0,
und Ihr wißt ja, wie ich Euern Cavour, den Principe Bismarck, verehre und
Euern greisen Jmperatore liebe. Seht, Signor, damals war ich auch ausge¬
rückt und zu den Fahnen Piemonts geeilt, bei welchen zu jener Zeit ganz
Italien war. Ich kam als Freiwilliger zu den Bersaglicri, wo Don Baldassare
als Offizier eingetreten war, und ob er gleich zu Hause, in Rimini, viel zu
vornehm gewesen, um auch nur Acht auf mich zu haben, im Felde war er ein
ganz andrer Mann. Auch gab es damals nur Unterschiede in der Liebe zu
unserm Vaterlande und in dem Haß gegen die Fremden; Adel und Reichtum
wurden hintangesetzt. Und so kam es, daß Don Baldassare, als er hörte, daß
auch ich aus Rimini sei, mir sehr freundlich begegnete, und daß wir gute
Waffenbrüder wurden, obwohl ich in der Strategie nicht ganz sira war und
es nur bis zum Sergente brachte. Nun hatte der alte Marchese auf dem Wege
nach San Marino -- Ihr könnt es gerade von jenem Hügel aus sehen, jetzt
gehört es einem Bologneser Fruchthändler -- ein Landgut, das schon seit Ge¬
schlechtern an die nämliche Familie verpachtet war. Der damalige Pächter,
Giulio Delbuvno, hatte von seiner Frau nur ein einziges Kind, ein Töchterchen,
Francesca, dessen Geburt der Mutter das Leben gekostet hatte. Giulio, der
sein Weib zärtlich geliebt hatte, konnte sich nimmer über den Verlust trösten;
er wandte alle seine Mühe dein Kinde zu und blieb unvermählt. Es war ihm
aber leid, daß er Francesca, als sie mehr und mehr heranwuchs, keine so gute
Erziehung geben konnte, und da er dies auch seinem Herrn merken ließ, ,so
nahmen die Marchesa und ihr Gatte, welche außer ihren beiden Söhnen noch
eine Tochter, Donna Felice, hatten, die kaum achtjährige Francesca in ihr Haus
und ließen sie neben ihrer Tochter mehr als Gespielin und Gesellschafterin denn
als Dienerin erziehen. Zwischen den beiden Mädchen aber -- ich habe meine


Francesca von Rimini.

der fand in dem Palazza bei San Giuliano Hilfe und Zuflucht. Der letztver¬
storbene Marchese hatte zwei Söhne, von denen der ältere, Don Riario, von
seiner Mutter, die vor seiner Geburt mit schweren Ahnungen erfüllt war, der
Kirche, noch ehe er in die Welt eintrat, gelobt wurde. Ach Herr, daß die
Frauen doch immer nur auf verkehrte Dinge kommen, und Donna Anna war
doch sonst eine so kluge Frau. Denn Don Riario hätte zu allem andern ge¬
taugt als zum Diener Gottes, wenn es gleich in damaliger Zeit deren viele
gab, die Gottes Gebote nur kannten, um sie zu übertreten. Don Riario aber
wurde seinem Stande gemäß erzogen, von den Eltern verzärtelt, während sein
jüngerer Bruder, Don Baldassare, in frischem Jugendmut wegen mancherlei
lustiger Streiche die Strenge des Vaters erfuhr. In ihm aber lebte der un¬
abhängige Sinn seiner Ahnen und ihr Heldenmut. Riario ging in das Se¬
minar nach Rom, Baldassare aber zog heimlich, ohne Vorwissen seiner Eltern,
nach Piemont und beteiligte sich in dem unglücklichen Jahre 1848 an dem
Feldzug gegen die verfluchten Tedeschi — uun, blickt nur nicht so unwillig
Signore Oswaldo, Ihr seid ja nicht darunter gemeint, Ihr seid un 6vrmM0,
und Ihr wißt ja, wie ich Euern Cavour, den Principe Bismarck, verehre und
Euern greisen Jmperatore liebe. Seht, Signor, damals war ich auch ausge¬
rückt und zu den Fahnen Piemonts geeilt, bei welchen zu jener Zeit ganz
Italien war. Ich kam als Freiwilliger zu den Bersaglicri, wo Don Baldassare
als Offizier eingetreten war, und ob er gleich zu Hause, in Rimini, viel zu
vornehm gewesen, um auch nur Acht auf mich zu haben, im Felde war er ein
ganz andrer Mann. Auch gab es damals nur Unterschiede in der Liebe zu
unserm Vaterlande und in dem Haß gegen die Fremden; Adel und Reichtum
wurden hintangesetzt. Und so kam es, daß Don Baldassare, als er hörte, daß
auch ich aus Rimini sei, mir sehr freundlich begegnete, und daß wir gute
Waffenbrüder wurden, obwohl ich in der Strategie nicht ganz sira war und
es nur bis zum Sergente brachte. Nun hatte der alte Marchese auf dem Wege
nach San Marino — Ihr könnt es gerade von jenem Hügel aus sehen, jetzt
gehört es einem Bologneser Fruchthändler — ein Landgut, das schon seit Ge¬
schlechtern an die nämliche Familie verpachtet war. Der damalige Pächter,
Giulio Delbuvno, hatte von seiner Frau nur ein einziges Kind, ein Töchterchen,
Francesca, dessen Geburt der Mutter das Leben gekostet hatte. Giulio, der
sein Weib zärtlich geliebt hatte, konnte sich nimmer über den Verlust trösten;
er wandte alle seine Mühe dein Kinde zu und blieb unvermählt. Es war ihm
aber leid, daß er Francesca, als sie mehr und mehr heranwuchs, keine so gute
Erziehung geben konnte, und da er dies auch seinem Herrn merken ließ, ,so
nahmen die Marchesa und ihr Gatte, welche außer ihren beiden Söhnen noch
eine Tochter, Donna Felice, hatten, die kaum achtjährige Francesca in ihr Haus
und ließen sie neben ihrer Tochter mehr als Gespielin und Gesellschafterin denn
als Dienerin erziehen. Zwischen den beiden Mädchen aber — ich habe meine


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[0382] Francesca von Rimini. der fand in dem Palazza bei San Giuliano Hilfe und Zuflucht. Der letztver¬ storbene Marchese hatte zwei Söhne, von denen der ältere, Don Riario, von seiner Mutter, die vor seiner Geburt mit schweren Ahnungen erfüllt war, der Kirche, noch ehe er in die Welt eintrat, gelobt wurde. Ach Herr, daß die Frauen doch immer nur auf verkehrte Dinge kommen, und Donna Anna war doch sonst eine so kluge Frau. Denn Don Riario hätte zu allem andern ge¬ taugt als zum Diener Gottes, wenn es gleich in damaliger Zeit deren viele gab, die Gottes Gebote nur kannten, um sie zu übertreten. Don Riario aber wurde seinem Stande gemäß erzogen, von den Eltern verzärtelt, während sein jüngerer Bruder, Don Baldassare, in frischem Jugendmut wegen mancherlei lustiger Streiche die Strenge des Vaters erfuhr. In ihm aber lebte der un¬ abhängige Sinn seiner Ahnen und ihr Heldenmut. Riario ging in das Se¬ minar nach Rom, Baldassare aber zog heimlich, ohne Vorwissen seiner Eltern, nach Piemont und beteiligte sich in dem unglücklichen Jahre 1848 an dem Feldzug gegen die verfluchten Tedeschi — uun, blickt nur nicht so unwillig Signore Oswaldo, Ihr seid ja nicht darunter gemeint, Ihr seid un 6vrmM0, und Ihr wißt ja, wie ich Euern Cavour, den Principe Bismarck, verehre und Euern greisen Jmperatore liebe. Seht, Signor, damals war ich auch ausge¬ rückt und zu den Fahnen Piemonts geeilt, bei welchen zu jener Zeit ganz Italien war. Ich kam als Freiwilliger zu den Bersaglicri, wo Don Baldassare als Offizier eingetreten war, und ob er gleich zu Hause, in Rimini, viel zu vornehm gewesen, um auch nur Acht auf mich zu haben, im Felde war er ein ganz andrer Mann. Auch gab es damals nur Unterschiede in der Liebe zu unserm Vaterlande und in dem Haß gegen die Fremden; Adel und Reichtum wurden hintangesetzt. Und so kam es, daß Don Baldassare, als er hörte, daß auch ich aus Rimini sei, mir sehr freundlich begegnete, und daß wir gute Waffenbrüder wurden, obwohl ich in der Strategie nicht ganz sira war und es nur bis zum Sergente brachte. Nun hatte der alte Marchese auf dem Wege nach San Marino — Ihr könnt es gerade von jenem Hügel aus sehen, jetzt gehört es einem Bologneser Fruchthändler — ein Landgut, das schon seit Ge¬ schlechtern an die nämliche Familie verpachtet war. Der damalige Pächter, Giulio Delbuvno, hatte von seiner Frau nur ein einziges Kind, ein Töchterchen, Francesca, dessen Geburt der Mutter das Leben gekostet hatte. Giulio, der sein Weib zärtlich geliebt hatte, konnte sich nimmer über den Verlust trösten; er wandte alle seine Mühe dein Kinde zu und blieb unvermählt. Es war ihm aber leid, daß er Francesca, als sie mehr und mehr heranwuchs, keine so gute Erziehung geben konnte, und da er dies auch seinem Herrn merken ließ, ,so nahmen die Marchesa und ihr Gatte, welche außer ihren beiden Söhnen noch eine Tochter, Donna Felice, hatten, die kaum achtjährige Francesca in ihr Haus und ließen sie neben ihrer Tochter mehr als Gespielin und Gesellschafterin denn als Dienerin erziehen. Zwischen den beiden Mädchen aber — ich habe meine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/382>, abgerufen am 28.07.2024.