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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Zum Lutherfeste.

können, der er war, wenn er um irgend eines Nutzens willen wider sein
Gewissen geurteilt hätte.

Es soll nicht verschwiegen werden, daß er in seinen späteren Jahren knor¬
riger und hartnäckiger wurde, als zu billigen ist, und daß auch seine Freunde
viel von ihm zu leiden hatten; wer aber Zeit seines Lebens hart gearbeitet hat,
wie soll der ohne Schwielen in den Händen davonkommen, wer mit der uner¬
schütterlichen Festigkeit seines Willens allen andern, die nach ihm kamen, Bahn
geschaffen hat, wie soll der nach einem Leben voll Kampf milde und nachgiebig
sein? Man muß unsern großen Veteranen ihr barsches Wesen zugute halten.
Und wenn man Luther vorwirft, daß er in seinen Ausdrücken nicht immer zart
gewesen sei, so ist zu erwägen: er war ein Mann des Volkes, er hat seine Jugend
unter Eislebener Bergleuten -- wer die kennt, weiß, was das bedeutet -- zu¬
gebracht. Vor allem: er lebte in einer Zeit, in welcher Se. Grobian -- wie
Sebastian Brand sagt -- die größte" Ehre" genoß. Übrigens sind seine Derb¬
heiten nie der Ausdruck einer gehässige" oder zügellosen Gesinnung, sonder"
stets treffend und witzig.

Luther war bei alledem eine feinfühlende Natur. So heftig und hart er
gegen die Feinde des Wortes Gottes ist, so schonend und zart ist er gegen die
Mitglieder seiner Gemeinde, sonderlich bei Einführung der Neuerungen. Er
zwingt niemand, er wartet, bis die neue Erkenntnis gereift ist; nur wer darnach
begehrt, erhält das Abendmahl in beiderlei Gestalt, Bilder und liturgische
Formen werden um der Schwachen und Einfältigen willen beibehalten, nur
vor dem Mißbräuche wird gewarnt. Wie rücksichtsvoll ist er in Predigt und
Seelsorge, wie freundlich und geduldig gegen jedermann!

Er hatte auch eine echt künstlerische Ader. Er war ein wirklicher Dichter.
Nicht allein im Liede tritt das hervor, sondern überall, wo er gestaltet, strömt
es ihm aus dem Vollen zu. Er war ein begeisterter Freund der Musik, ein
Kenner der bildenden Künste, der mit aufmerksamem Blicke verfolgte, was auf
dem Kunstgebiete in Deutschland, Italien oder Holland geschah. Er war, sobald
er sich und den Seinen leben konnte, eine frohe, harmlose Natur; sein köstlicher
Humor folgte ihm auch auf den Kampfplatz und flatterte wie ein lustiges Fähn¬
lein im Winde.

Es hat einen Luther und nur einen gegeben. Daß wir Deutschen einen
solchen Mann den unsern nennen durften, dessen freuen wir uns und sollen sich
Deutsche freuen, solange sie dieses Namens würdig sind.

Man hat uns beim Beginn dieses Jubeljahres gefragt, ob denn Luther
unser Nationalheiligcr sei. Wir vergöttern niemand, am wenigsten Luther, der
sich das so gründlich verbeten hat; aber wir geben Ehre, dem Ehre gebührt.
Man hat gemeint, ob denn Luther ein dreizehnter Apostel sei. Dr. Kögel hat
in Wittenberg darauf bereits die rechte Antwort gegeben: "Dies Bistum ist
längst vergeben und ausreichend besetzt -- der dreizehnte Apostel ist kein ge-


Zum Lutherfeste.

können, der er war, wenn er um irgend eines Nutzens willen wider sein
Gewissen geurteilt hätte.

Es soll nicht verschwiegen werden, daß er in seinen späteren Jahren knor¬
riger und hartnäckiger wurde, als zu billigen ist, und daß auch seine Freunde
viel von ihm zu leiden hatten; wer aber Zeit seines Lebens hart gearbeitet hat,
wie soll der ohne Schwielen in den Händen davonkommen, wer mit der uner¬
schütterlichen Festigkeit seines Willens allen andern, die nach ihm kamen, Bahn
geschaffen hat, wie soll der nach einem Leben voll Kampf milde und nachgiebig
sein? Man muß unsern großen Veteranen ihr barsches Wesen zugute halten.
Und wenn man Luther vorwirft, daß er in seinen Ausdrücken nicht immer zart
gewesen sei, so ist zu erwägen: er war ein Mann des Volkes, er hat seine Jugend
unter Eislebener Bergleuten — wer die kennt, weiß, was das bedeutet — zu¬
gebracht. Vor allem: er lebte in einer Zeit, in welcher Se. Grobian — wie
Sebastian Brand sagt — die größte» Ehre» genoß. Übrigens sind seine Derb¬
heiten nie der Ausdruck einer gehässige» oder zügellosen Gesinnung, sonder»
stets treffend und witzig.

Luther war bei alledem eine feinfühlende Natur. So heftig und hart er
gegen die Feinde des Wortes Gottes ist, so schonend und zart ist er gegen die
Mitglieder seiner Gemeinde, sonderlich bei Einführung der Neuerungen. Er
zwingt niemand, er wartet, bis die neue Erkenntnis gereift ist; nur wer darnach
begehrt, erhält das Abendmahl in beiderlei Gestalt, Bilder und liturgische
Formen werden um der Schwachen und Einfältigen willen beibehalten, nur
vor dem Mißbräuche wird gewarnt. Wie rücksichtsvoll ist er in Predigt und
Seelsorge, wie freundlich und geduldig gegen jedermann!

Er hatte auch eine echt künstlerische Ader. Er war ein wirklicher Dichter.
Nicht allein im Liede tritt das hervor, sondern überall, wo er gestaltet, strömt
es ihm aus dem Vollen zu. Er war ein begeisterter Freund der Musik, ein
Kenner der bildenden Künste, der mit aufmerksamem Blicke verfolgte, was auf
dem Kunstgebiete in Deutschland, Italien oder Holland geschah. Er war, sobald
er sich und den Seinen leben konnte, eine frohe, harmlose Natur; sein köstlicher
Humor folgte ihm auch auf den Kampfplatz und flatterte wie ein lustiges Fähn¬
lein im Winde.

Es hat einen Luther und nur einen gegeben. Daß wir Deutschen einen
solchen Mann den unsern nennen durften, dessen freuen wir uns und sollen sich
Deutsche freuen, solange sie dieses Namens würdig sind.

Man hat uns beim Beginn dieses Jubeljahres gefragt, ob denn Luther
unser Nationalheiligcr sei. Wir vergöttern niemand, am wenigsten Luther, der
sich das so gründlich verbeten hat; aber wir geben Ehre, dem Ehre gebührt.
Man hat gemeint, ob denn Luther ein dreizehnter Apostel sei. Dr. Kögel hat
in Wittenberg darauf bereits die rechte Antwort gegeben: „Dies Bistum ist
längst vergeben und ausreichend besetzt — der dreizehnte Apostel ist kein ge-


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[0362] Zum Lutherfeste. können, der er war, wenn er um irgend eines Nutzens willen wider sein Gewissen geurteilt hätte. Es soll nicht verschwiegen werden, daß er in seinen späteren Jahren knor¬ riger und hartnäckiger wurde, als zu billigen ist, und daß auch seine Freunde viel von ihm zu leiden hatten; wer aber Zeit seines Lebens hart gearbeitet hat, wie soll der ohne Schwielen in den Händen davonkommen, wer mit der uner¬ schütterlichen Festigkeit seines Willens allen andern, die nach ihm kamen, Bahn geschaffen hat, wie soll der nach einem Leben voll Kampf milde und nachgiebig sein? Man muß unsern großen Veteranen ihr barsches Wesen zugute halten. Und wenn man Luther vorwirft, daß er in seinen Ausdrücken nicht immer zart gewesen sei, so ist zu erwägen: er war ein Mann des Volkes, er hat seine Jugend unter Eislebener Bergleuten — wer die kennt, weiß, was das bedeutet — zu¬ gebracht. Vor allem: er lebte in einer Zeit, in welcher Se. Grobian — wie Sebastian Brand sagt — die größte» Ehre» genoß. Übrigens sind seine Derb¬ heiten nie der Ausdruck einer gehässige» oder zügellosen Gesinnung, sonder» stets treffend und witzig. Luther war bei alledem eine feinfühlende Natur. So heftig und hart er gegen die Feinde des Wortes Gottes ist, so schonend und zart ist er gegen die Mitglieder seiner Gemeinde, sonderlich bei Einführung der Neuerungen. Er zwingt niemand, er wartet, bis die neue Erkenntnis gereift ist; nur wer darnach begehrt, erhält das Abendmahl in beiderlei Gestalt, Bilder und liturgische Formen werden um der Schwachen und Einfältigen willen beibehalten, nur vor dem Mißbräuche wird gewarnt. Wie rücksichtsvoll ist er in Predigt und Seelsorge, wie freundlich und geduldig gegen jedermann! Er hatte auch eine echt künstlerische Ader. Er war ein wirklicher Dichter. Nicht allein im Liede tritt das hervor, sondern überall, wo er gestaltet, strömt es ihm aus dem Vollen zu. Er war ein begeisterter Freund der Musik, ein Kenner der bildenden Künste, der mit aufmerksamem Blicke verfolgte, was auf dem Kunstgebiete in Deutschland, Italien oder Holland geschah. Er war, sobald er sich und den Seinen leben konnte, eine frohe, harmlose Natur; sein köstlicher Humor folgte ihm auch auf den Kampfplatz und flatterte wie ein lustiges Fähn¬ lein im Winde. Es hat einen Luther und nur einen gegeben. Daß wir Deutschen einen solchen Mann den unsern nennen durften, dessen freuen wir uns und sollen sich Deutsche freuen, solange sie dieses Namens würdig sind. Man hat uns beim Beginn dieses Jubeljahres gefragt, ob denn Luther unser Nationalheiligcr sei. Wir vergöttern niemand, am wenigsten Luther, der sich das so gründlich verbeten hat; aber wir geben Ehre, dem Ehre gebührt. Man hat gemeint, ob denn Luther ein dreizehnter Apostel sei. Dr. Kögel hat in Wittenberg darauf bereits die rechte Antwort gegeben: „Dies Bistum ist längst vergeben und ausreichend besetzt — der dreizehnte Apostel ist kein ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/362>, abgerufen am 27.07.2024.