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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Zum Lutherfeste.

kommt der wahre, wirkliche Mensch zum Vorschein. Dies erreichte er nicht etwa
durch seine Gelehrsamkeit oder seine Talente, sondern durch den religiösen, sitt¬
lichen Ernst, der sein Wesen durchdringt und seine ganze Person trägt und
gestaltet. Dieser tiefe religiöse Ernst ist der Grundzug seines Charakters, der
Stamm, der alles übrige trägt und belebt. Es ist nicht möglich, Luthers Person
und Wesen zu beschreiben oder ein Lutherfest zu feiern, ohne der religiösen
Seite den ersten und wichtigste" Platz einzuräumen.

Luther war ein ganzer Mann. Als er Mönch wurde, wurde er auch ein
ganzer Mönch. Frommes Augenaufschlageu, heiliges Gemurmel genügte ihm
nicht, er faßte das Problem: Buße deine Sünden, schaffe deine Seligkeit mit
guten Werken in seiner vollen Schärfe und wäre daran zu Grunde gegangen,
wenn nicht sein alter Freund, der Geucralvikar Stanpitz ihm die Bibel geöffnet
und das apostolische Wort: So halten wir dafür, daß der Mensch gerecht
werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben, vorgehalten hätte.
Daß Luther dieses Wort, einer tausendjährigen Gepflogenheit seiner Kirche zum
Trotz, annahm, daß er in ihm Frieden und Lebensfreudigkeit gewann, dieser
in stiller Klosterzelle errungene Sieg ist die größte That seines Lebens
gewesen. Seine spätern hochgepriesenen Thaten bestehen in nichts mehr
und nichts weniger als in der Treue zu dem, den er im Kloster gefunden
hatte und an dessen Wort er felsenfest glaubte. Diese Treue hieß ihn, wo
alle Welt Bedenken trug und Angst hatte, gegen Tetzel das Wort ergreifen:
Die, welche sagen, des Papstes Kreuz vermöge soviel als das Kreuz Christi,
lästern Gott. Als es sich zeigte, daß solche Gotteslästerung nicht von Tetzel
erfunden, sondern von obenher gelehrt und beschützt wurde, gab er den Papst
Preis. Noch blieb das Konzil übrig, das ja vielleicht selbst über dem Papste
stehen konnte. Aber Eck zeigte dem Reformator in Leipzig, daß er, wenn er
die Autorität der Schrift über alles stellen wollte, den Böhmen Recht und dem
Konzil zu Konstanz Unrecht geben müsse. -- "Nun wohl," entgegnete Luther,
"so verwerfe ich dies Konzil." "Das walt die Sucht," rief der Herzog Georg
dazwischen, und in der That, nichts ist so schwer empfunden worden als die
Nötigung, um des Wortes Gottes willen auch das allgemeine Konzil zu ver¬
werfen. Noch in Worms redete man Luther gütlich zu, er möge, um seine
Person und das Gute in seinen Büchern zu retten, an ein Konzil appelliren.
Luther gab sich und seine Bücher preis, aber was das Wort Gottes anlangt,
war er unbestechlich; er konnte das Wort Gottes, und wenn eine Welt zu ge¬
winne" gewesen wäre, einem menschlichen Tage nicht unterstellen.

Sein bekanntes Wort "Ich kann nicht anders" bezeichnet ihn und sein
Werk und alles, was evangelisch ist, durchaus. Es ist der Zwang des Ge¬
wissens, die Unbestechlichkeit der Überzeugung. Es wäre nach mancher Meinung
besser gewesen, wenn eine Einigung mit den Reformirten zu stände gekommen
wäre; sie scheitelte an dem van xossuw Luthers. Luther hätte nicht sein


Zum Lutherfeste.

kommt der wahre, wirkliche Mensch zum Vorschein. Dies erreichte er nicht etwa
durch seine Gelehrsamkeit oder seine Talente, sondern durch den religiösen, sitt¬
lichen Ernst, der sein Wesen durchdringt und seine ganze Person trägt und
gestaltet. Dieser tiefe religiöse Ernst ist der Grundzug seines Charakters, der
Stamm, der alles übrige trägt und belebt. Es ist nicht möglich, Luthers Person
und Wesen zu beschreiben oder ein Lutherfest zu feiern, ohne der religiösen
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Luther war ein ganzer Mann. Als er Mönch wurde, wurde er auch ein
ganzer Mönch. Frommes Augenaufschlageu, heiliges Gemurmel genügte ihm
nicht, er faßte das Problem: Buße deine Sünden, schaffe deine Seligkeit mit
guten Werken in seiner vollen Schärfe und wäre daran zu Grunde gegangen,
wenn nicht sein alter Freund, der Geucralvikar Stanpitz ihm die Bibel geöffnet
und das apostolische Wort: So halten wir dafür, daß der Mensch gerecht
werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben, vorgehalten hätte.
Daß Luther dieses Wort, einer tausendjährigen Gepflogenheit seiner Kirche zum
Trotz, annahm, daß er in ihm Frieden und Lebensfreudigkeit gewann, dieser
in stiller Klosterzelle errungene Sieg ist die größte That seines Lebens
gewesen. Seine spätern hochgepriesenen Thaten bestehen in nichts mehr
und nichts weniger als in der Treue zu dem, den er im Kloster gefunden
hatte und an dessen Wort er felsenfest glaubte. Diese Treue hieß ihn, wo
alle Welt Bedenken trug und Angst hatte, gegen Tetzel das Wort ergreifen:
Die, welche sagen, des Papstes Kreuz vermöge soviel als das Kreuz Christi,
lästern Gott. Als es sich zeigte, daß solche Gotteslästerung nicht von Tetzel
erfunden, sondern von obenher gelehrt und beschützt wurde, gab er den Papst
Preis. Noch blieb das Konzil übrig, das ja vielleicht selbst über dem Papste
stehen konnte. Aber Eck zeigte dem Reformator in Leipzig, daß er, wenn er
die Autorität der Schrift über alles stellen wollte, den Böhmen Recht und dem
Konzil zu Konstanz Unrecht geben müsse. — „Nun wohl," entgegnete Luther,
„so verwerfe ich dies Konzil." „Das walt die Sucht," rief der Herzog Georg
dazwischen, und in der That, nichts ist so schwer empfunden worden als die
Nötigung, um des Wortes Gottes willen auch das allgemeine Konzil zu ver¬
werfen. Noch in Worms redete man Luther gütlich zu, er möge, um seine
Person und das Gute in seinen Büchern zu retten, an ein Konzil appelliren.
Luther gab sich und seine Bücher preis, aber was das Wort Gottes anlangt,
war er unbestechlich; er konnte das Wort Gottes, und wenn eine Welt zu ge¬
winne» gewesen wäre, einem menschlichen Tage nicht unterstellen.

Sein bekanntes Wort „Ich kann nicht anders" bezeichnet ihn und sein
Werk und alles, was evangelisch ist, durchaus. Es ist der Zwang des Ge¬
wissens, die Unbestechlichkeit der Überzeugung. Es wäre nach mancher Meinung
besser gewesen, wenn eine Einigung mit den Reformirten zu stände gekommen
wäre; sie scheitelte an dem van xossuw Luthers. Luther hätte nicht sein


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[0361] Zum Lutherfeste. kommt der wahre, wirkliche Mensch zum Vorschein. Dies erreichte er nicht etwa durch seine Gelehrsamkeit oder seine Talente, sondern durch den religiösen, sitt¬ lichen Ernst, der sein Wesen durchdringt und seine ganze Person trägt und gestaltet. Dieser tiefe religiöse Ernst ist der Grundzug seines Charakters, der Stamm, der alles übrige trägt und belebt. Es ist nicht möglich, Luthers Person und Wesen zu beschreiben oder ein Lutherfest zu feiern, ohne der religiösen Seite den ersten und wichtigste» Platz einzuräumen. Luther war ein ganzer Mann. Als er Mönch wurde, wurde er auch ein ganzer Mönch. Frommes Augenaufschlageu, heiliges Gemurmel genügte ihm nicht, er faßte das Problem: Buße deine Sünden, schaffe deine Seligkeit mit guten Werken in seiner vollen Schärfe und wäre daran zu Grunde gegangen, wenn nicht sein alter Freund, der Geucralvikar Stanpitz ihm die Bibel geöffnet und das apostolische Wort: So halten wir dafür, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben, vorgehalten hätte. Daß Luther dieses Wort, einer tausendjährigen Gepflogenheit seiner Kirche zum Trotz, annahm, daß er in ihm Frieden und Lebensfreudigkeit gewann, dieser in stiller Klosterzelle errungene Sieg ist die größte That seines Lebens gewesen. Seine spätern hochgepriesenen Thaten bestehen in nichts mehr und nichts weniger als in der Treue zu dem, den er im Kloster gefunden hatte und an dessen Wort er felsenfest glaubte. Diese Treue hieß ihn, wo alle Welt Bedenken trug und Angst hatte, gegen Tetzel das Wort ergreifen: Die, welche sagen, des Papstes Kreuz vermöge soviel als das Kreuz Christi, lästern Gott. Als es sich zeigte, daß solche Gotteslästerung nicht von Tetzel erfunden, sondern von obenher gelehrt und beschützt wurde, gab er den Papst Preis. Noch blieb das Konzil übrig, das ja vielleicht selbst über dem Papste stehen konnte. Aber Eck zeigte dem Reformator in Leipzig, daß er, wenn er die Autorität der Schrift über alles stellen wollte, den Böhmen Recht und dem Konzil zu Konstanz Unrecht geben müsse. — „Nun wohl," entgegnete Luther, „so verwerfe ich dies Konzil." „Das walt die Sucht," rief der Herzog Georg dazwischen, und in der That, nichts ist so schwer empfunden worden als die Nötigung, um des Wortes Gottes willen auch das allgemeine Konzil zu ver¬ werfen. Noch in Worms redete man Luther gütlich zu, er möge, um seine Person und das Gute in seinen Büchern zu retten, an ein Konzil appelliren. Luther gab sich und seine Bücher preis, aber was das Wort Gottes anlangt, war er unbestechlich; er konnte das Wort Gottes, und wenn eine Welt zu ge¬ winne» gewesen wäre, einem menschlichen Tage nicht unterstellen. Sein bekanntes Wort „Ich kann nicht anders" bezeichnet ihn und sein Werk und alles, was evangelisch ist, durchaus. Es ist der Zwang des Ge¬ wissens, die Unbestechlichkeit der Überzeugung. Es wäre nach mancher Meinung besser gewesen, wenn eine Einigung mit den Reformirten zu stände gekommen wäre; sie scheitelte an dem van xossuw Luthers. Luther hätte nicht sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/361>, abgerufen am 01.09.2024.