Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber weiter. Herr von Hülsen ist nach Schlenthers Ansicht ein soldatischer
Autokrat mit dilettantischen Anlagen, dem eine dramaturgische Assistenz fehlt,
"ein Stabschef, der im Innern des Bühnenkörpers wirtschaftet, mit Hellem
Kopfe über die Pappwände des theatralischen Kriegsschauplatzes hinaus in die
Welt blickt, und zwischen Kunst und Lebe", zwischen Natur und Geist den ästhe¬
tischen Zusammenhang findet/' Was diese Phrasen für einen Sinn haben sollen,
ist mir unverständlich geblieben. Soll der Dramaturg etwa die Hofschauspieler
zur Vermählung von Kunst und Natur in ihren Schöpfungen einexerziren?
Als ob sich dieses höchste Geheimnis des Kunstschaffens nur so schlechthin wie
der große Pythagoras vordemonstriren ließe! Und als ob Künstler, welche
das Hoftheater seiner für wert erklärt hat, sich noch schulmeisterliche Belehrungen
gefallen lassen würden! Man lese nur, was Laube aus seinen Erfahrungen
als Dramaturg mitteilt. Und das war doch Laube, vor dem ja sogar Herr
Schleuther einigen Respekt zu haben scheint. Wie sind sie alle empört über
das Drillregiment seines Strcckosch! Übrigens, was ist denn Herr Dr. Titus
Ullrich, der einstige berühmte Kritiker der Rationalzeitung und gegenwärtige
dramaturgische Berater des Herrn von Hülsen? Was sind die Regisseure und
Mitglieder des Lesekomitees, von denen zwei eine vollständige akademische Durch¬
bildung, auch in literarischer Beziehung, aufzuweisen haben und in künstlerischer
Hinsicht, wie Herr Schleuther selber einräumt, Leute von ausgezeichneten Quali¬
täten sind?

Daß es sehr leicht ist, absprechende Behauptungen hinzustellen, schwierig
dagegen, sie zu beweisen, erkennt man aus der Bemerkung, Herr von Hülsen
habe nur Schattenmänner unter sich geduldet und es auf diese Weise dahin ge¬
bracht, daß das Theater in künstlerischer Hinsicht immer mehr gesunken sei. Auch
nicht ver Versuch einer Begründung dieses schweren Vorwurfs autokratischer Gro߬
mannssucht wird unternommen. Ob er den Schein der Wahrheit für sich hat,
vermag ich nicht zu ermessen. Aber was wird Wohl Herr Dr. Ullrich zu diesem
freundlichen Kompliment sagen, was die Herren Deetz, Berndal, Kahle und Hell-
muth-Bräu, Männer von Tüchtigkeit und bedeutender wissenschaftlicher Bil¬
dung? Sind sie alle Nullen?

Ob das Theater wirklich rückwärts gegangen sei, darüber weist der Verfasser
der Geschichte das Urteil zu. Allein man merkt es sehr deutlich aus der Form,
in der er dies thut, daß es seine Meinung ist. Möglich, daß er Recht hat.
Da wir nur die Vergangenheit historisch aufzufassen imstande sind, so naße
ich mir kein Votum über diese wichtige und schwierige Frage an, würde aber,
selbst wenn die Geschichte eine bejahende Antwort erteilen sollte, glauben, daß
es nicht so sehr die Leitung als der Geist der Zeit gewesen ist, der das künst¬
lerische Niveau zum Sinken gebracht hat. Hört man nicht von den Theater¬
leitern aller Orte die stete Klage, daß es an Stücken wie an Schauspielern in
gleichem Maße fehle? Sind etwa die andern Hoftheater bester daran? Keines-


Grmzbolen IV. 188-5. 4

Aber weiter. Herr von Hülsen ist nach Schlenthers Ansicht ein soldatischer
Autokrat mit dilettantischen Anlagen, dem eine dramaturgische Assistenz fehlt,
„ein Stabschef, der im Innern des Bühnenkörpers wirtschaftet, mit Hellem
Kopfe über die Pappwände des theatralischen Kriegsschauplatzes hinaus in die
Welt blickt, und zwischen Kunst und Lebe», zwischen Natur und Geist den ästhe¬
tischen Zusammenhang findet/' Was diese Phrasen für einen Sinn haben sollen,
ist mir unverständlich geblieben. Soll der Dramaturg etwa die Hofschauspieler
zur Vermählung von Kunst und Natur in ihren Schöpfungen einexerziren?
Als ob sich dieses höchste Geheimnis des Kunstschaffens nur so schlechthin wie
der große Pythagoras vordemonstriren ließe! Und als ob Künstler, welche
das Hoftheater seiner für wert erklärt hat, sich noch schulmeisterliche Belehrungen
gefallen lassen würden! Man lese nur, was Laube aus seinen Erfahrungen
als Dramaturg mitteilt. Und das war doch Laube, vor dem ja sogar Herr
Schleuther einigen Respekt zu haben scheint. Wie sind sie alle empört über
das Drillregiment seines Strcckosch! Übrigens, was ist denn Herr Dr. Titus
Ullrich, der einstige berühmte Kritiker der Rationalzeitung und gegenwärtige
dramaturgische Berater des Herrn von Hülsen? Was sind die Regisseure und
Mitglieder des Lesekomitees, von denen zwei eine vollständige akademische Durch¬
bildung, auch in literarischer Beziehung, aufzuweisen haben und in künstlerischer
Hinsicht, wie Herr Schleuther selber einräumt, Leute von ausgezeichneten Quali¬
täten sind?

Daß es sehr leicht ist, absprechende Behauptungen hinzustellen, schwierig
dagegen, sie zu beweisen, erkennt man aus der Bemerkung, Herr von Hülsen
habe nur Schattenmänner unter sich geduldet und es auf diese Weise dahin ge¬
bracht, daß das Theater in künstlerischer Hinsicht immer mehr gesunken sei. Auch
nicht ver Versuch einer Begründung dieses schweren Vorwurfs autokratischer Gro߬
mannssucht wird unternommen. Ob er den Schein der Wahrheit für sich hat,
vermag ich nicht zu ermessen. Aber was wird Wohl Herr Dr. Ullrich zu diesem
freundlichen Kompliment sagen, was die Herren Deetz, Berndal, Kahle und Hell-
muth-Bräu, Männer von Tüchtigkeit und bedeutender wissenschaftlicher Bil¬
dung? Sind sie alle Nullen?

Ob das Theater wirklich rückwärts gegangen sei, darüber weist der Verfasser
der Geschichte das Urteil zu. Allein man merkt es sehr deutlich aus der Form,
in der er dies thut, daß es seine Meinung ist. Möglich, daß er Recht hat.
Da wir nur die Vergangenheit historisch aufzufassen imstande sind, so naße
ich mir kein Votum über diese wichtige und schwierige Frage an, würde aber,
selbst wenn die Geschichte eine bejahende Antwort erteilen sollte, glauben, daß
es nicht so sehr die Leitung als der Geist der Zeit gewesen ist, der das künst¬
lerische Niveau zum Sinken gebracht hat. Hört man nicht von den Theater¬
leitern aller Orte die stete Klage, daß es an Stücken wie an Schauspielern in
gleichem Maße fehle? Sind etwa die andern Hoftheater bester daran? Keines-


Grmzbolen IV. 188-5. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0035" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154200"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_98"> Aber weiter. Herr von Hülsen ist nach Schlenthers Ansicht ein soldatischer<lb/>
Autokrat mit dilettantischen Anlagen, dem eine dramaturgische Assistenz fehlt,<lb/>
&#x201E;ein Stabschef, der im Innern des Bühnenkörpers wirtschaftet, mit Hellem<lb/>
Kopfe über die Pappwände des theatralischen Kriegsschauplatzes hinaus in die<lb/>
Welt blickt, und zwischen Kunst und Lebe», zwischen Natur und Geist den ästhe¬<lb/>
tischen Zusammenhang findet/' Was diese Phrasen für einen Sinn haben sollen,<lb/>
ist mir unverständlich geblieben. Soll der Dramaturg etwa die Hofschauspieler<lb/>
zur Vermählung von Kunst und Natur in ihren Schöpfungen einexerziren?<lb/>
Als ob sich dieses höchste Geheimnis des Kunstschaffens nur so schlechthin wie<lb/>
der große Pythagoras vordemonstriren ließe! Und als ob Künstler, welche<lb/>
das Hoftheater seiner für wert erklärt hat, sich noch schulmeisterliche Belehrungen<lb/>
gefallen lassen würden! Man lese nur, was Laube aus seinen Erfahrungen<lb/>
als Dramaturg mitteilt. Und das war doch Laube, vor dem ja sogar Herr<lb/>
Schleuther einigen Respekt zu haben scheint. Wie sind sie alle empört über<lb/>
das Drillregiment seines Strcckosch! Übrigens, was ist denn Herr Dr. Titus<lb/>
Ullrich, der einstige berühmte Kritiker der Rationalzeitung und gegenwärtige<lb/>
dramaturgische Berater des Herrn von Hülsen? Was sind die Regisseure und<lb/>
Mitglieder des Lesekomitees, von denen zwei eine vollständige akademische Durch¬<lb/>
bildung, auch in literarischer Beziehung, aufzuweisen haben und in künstlerischer<lb/>
Hinsicht, wie Herr Schleuther selber einräumt, Leute von ausgezeichneten Quali¬<lb/>
täten sind?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_99"> Daß es sehr leicht ist, absprechende Behauptungen hinzustellen, schwierig<lb/>
dagegen, sie zu beweisen, erkennt man aus der Bemerkung, Herr von Hülsen<lb/>
habe nur Schattenmänner unter sich geduldet und es auf diese Weise dahin ge¬<lb/>
bracht, daß das Theater in künstlerischer Hinsicht immer mehr gesunken sei. Auch<lb/>
nicht ver Versuch einer Begründung dieses schweren Vorwurfs autokratischer Gro߬<lb/>
mannssucht wird unternommen. Ob er den Schein der Wahrheit für sich hat,<lb/>
vermag ich nicht zu ermessen. Aber was wird Wohl Herr Dr. Ullrich zu diesem<lb/>
freundlichen Kompliment sagen, was die Herren Deetz, Berndal, Kahle und Hell-<lb/>
muth-Bräu, Männer von Tüchtigkeit und bedeutender wissenschaftlicher Bil¬<lb/>
dung? Sind sie alle Nullen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_100" next="#ID_101"> Ob das Theater wirklich rückwärts gegangen sei, darüber weist der Verfasser<lb/>
der Geschichte das Urteil zu. Allein man merkt es sehr deutlich aus der Form,<lb/>
in der er dies thut, daß es seine Meinung ist. Möglich, daß er Recht hat.<lb/>
Da wir nur die Vergangenheit historisch aufzufassen imstande sind, so naße<lb/>
ich mir kein Votum über diese wichtige und schwierige Frage an, würde aber,<lb/>
selbst wenn die Geschichte eine bejahende Antwort erteilen sollte, glauben, daß<lb/>
es nicht so sehr die Leitung als der Geist der Zeit gewesen ist, der das künst¬<lb/>
lerische Niveau zum Sinken gebracht hat. Hört man nicht von den Theater¬<lb/>
leitern aller Orte die stete Klage, daß es an Stücken wie an Schauspielern in<lb/>
gleichem Maße fehle? Sind etwa die andern Hoftheater bester daran? Keines-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grmzbolen IV. 188-5. 4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0035] Aber weiter. Herr von Hülsen ist nach Schlenthers Ansicht ein soldatischer Autokrat mit dilettantischen Anlagen, dem eine dramaturgische Assistenz fehlt, „ein Stabschef, der im Innern des Bühnenkörpers wirtschaftet, mit Hellem Kopfe über die Pappwände des theatralischen Kriegsschauplatzes hinaus in die Welt blickt, und zwischen Kunst und Lebe», zwischen Natur und Geist den ästhe¬ tischen Zusammenhang findet/' Was diese Phrasen für einen Sinn haben sollen, ist mir unverständlich geblieben. Soll der Dramaturg etwa die Hofschauspieler zur Vermählung von Kunst und Natur in ihren Schöpfungen einexerziren? Als ob sich dieses höchste Geheimnis des Kunstschaffens nur so schlechthin wie der große Pythagoras vordemonstriren ließe! Und als ob Künstler, welche das Hoftheater seiner für wert erklärt hat, sich noch schulmeisterliche Belehrungen gefallen lassen würden! Man lese nur, was Laube aus seinen Erfahrungen als Dramaturg mitteilt. Und das war doch Laube, vor dem ja sogar Herr Schleuther einigen Respekt zu haben scheint. Wie sind sie alle empört über das Drillregiment seines Strcckosch! Übrigens, was ist denn Herr Dr. Titus Ullrich, der einstige berühmte Kritiker der Rationalzeitung und gegenwärtige dramaturgische Berater des Herrn von Hülsen? Was sind die Regisseure und Mitglieder des Lesekomitees, von denen zwei eine vollständige akademische Durch¬ bildung, auch in literarischer Beziehung, aufzuweisen haben und in künstlerischer Hinsicht, wie Herr Schleuther selber einräumt, Leute von ausgezeichneten Quali¬ täten sind? Daß es sehr leicht ist, absprechende Behauptungen hinzustellen, schwierig dagegen, sie zu beweisen, erkennt man aus der Bemerkung, Herr von Hülsen habe nur Schattenmänner unter sich geduldet und es auf diese Weise dahin ge¬ bracht, daß das Theater in künstlerischer Hinsicht immer mehr gesunken sei. Auch nicht ver Versuch einer Begründung dieses schweren Vorwurfs autokratischer Gro߬ mannssucht wird unternommen. Ob er den Schein der Wahrheit für sich hat, vermag ich nicht zu ermessen. Aber was wird Wohl Herr Dr. Ullrich zu diesem freundlichen Kompliment sagen, was die Herren Deetz, Berndal, Kahle und Hell- muth-Bräu, Männer von Tüchtigkeit und bedeutender wissenschaftlicher Bil¬ dung? Sind sie alle Nullen? Ob das Theater wirklich rückwärts gegangen sei, darüber weist der Verfasser der Geschichte das Urteil zu. Allein man merkt es sehr deutlich aus der Form, in der er dies thut, daß es seine Meinung ist. Möglich, daß er Recht hat. Da wir nur die Vergangenheit historisch aufzufassen imstande sind, so naße ich mir kein Votum über diese wichtige und schwierige Frage an, würde aber, selbst wenn die Geschichte eine bejahende Antwort erteilen sollte, glauben, daß es nicht so sehr die Leitung als der Geist der Zeit gewesen ist, der das künst¬ lerische Niveau zum Sinken gebracht hat. Hört man nicht von den Theater¬ leitern aller Orte die stete Klage, daß es an Stücken wie an Schauspielern in gleichem Maße fehle? Sind etwa die andern Hoftheater bester daran? Keines- Grmzbolen IV. 188-5. 4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/35
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/35>, abgerufen am 27.07.2024.