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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der verfassnngsbruch der Fortschrittspartei.

besoldeten Abgeordneten ein Ende zu machen. Ob man mit Artikel 32 aus¬
kommen wird, dürfte zweifelhaft erscheinen; fast alle Staatsrechtslehrer bezeichnen
ihn als eine Isx iinporköLta, weil er ans seine Übertretung keine Strafe setze;
aber sie hofften alle, daß eine Übertretung nicht vorkommen würde. Das ist
nun geschehen, der Fortschritt in seiner Maß- und Schrankenlosigkeit hat es glück¬
lich zuwege gebracht. Soll man sich etwa damit begnügen, daß derFiskns auf Grund
des Allgemeinen Landrechts (I, 16, H 173, 205 f.) oder der sonstigen Gesetze des
gemeinen Rechts die von den Abgeordneten empfangenen Besoldungen zurückfordere?
Denn was zu verbotenen, unerlaubten und ungesetzlichen Zwecken oder der
Ehrbarkeit zuwider gegeben wird, fällt als Strafe dem Fiskus anheim. Mit
einer solchen Verurteilung wären ja die Herren vom Fortschritt ganz besonders
zu Mandaten qnalifizirt. Ob andre Mittel zur Zeit anzuwenden sind -- ab¬
gesehen von der Beamtendisziplin --, mag noch dahingestellt bleiben, auch uns
scheint es, als ob die rechten Mittel noch fehlen. Zwar will Mohl gegen solche
Abgeordneten wegen Bestechung strafrechtlich vorgehen, allein er übersieht, daß
uach dem Strafgesetzbuch einer Bestechung sich nur Beamte schuldig machen
können, und daß Abgeordnete hierzu nicht gerechnet werden. Thudichum will,
daß Abgeordnete, welche eine Entschädigung annehmen, als Demissionäre be¬
trachtet werden und ihren Sitz im Reichstag verlieren. Das wäre in der That
ein Ausweg, der sich freilich nicht ausdrücklich ausgesprochen findet.

Die Sachlage erfordert eine ernste Behandlung. Wenn der Richter zu
prüfen hat. ob ein Gesetz verfassungsmäßig zustande gekommen sei -- und die
Reichsverfassung legt in dieser Hinsicht dem Gericht keine Schranken auf, wie
dies die preußische thut --, so kann leicht die Giltigkeit von Gesetzen in Frage
gezogen werden, an deren Abstimmung besoldete Abgeordneten teilgenommen
haben. Denn Abgeordnete, welche aus Privatmitteln oder aus öffentlichen
Mitteln für ihre Thätigkeit eine Besoldung oder Entschädigung beziehen, sind
nicht Abgeordnete im Sinne der Reichsverfassung. Es ist nicht erforderlich
darauf hinzuweisen, wie die Rechtssicherheit unter diesem Verfassuugsbruch des
Fortschritts leiden muß, und es erscheint fraglich, ob die Rcichsregierung ver¬
fassungsmäßig in der Lage ist, gemeinsam mit einem Reichstag zu verhandeln,
der unter sich Mitglieder duldet, welche die im Artikel 32 der Verfassungs-
urkunde vorausgesetzte Eigenschaft der Unabhängigkeit nicht besitzen. Vielleicht
weiß der große Staatsrechtslehrer or. Hänel -- ohne sittliche Entrüstung und
ohne Pathos -- einen Ausweg aus diesem Dilemma anzugeben.




Der verfassnngsbruch der Fortschrittspartei.

besoldeten Abgeordneten ein Ende zu machen. Ob man mit Artikel 32 aus¬
kommen wird, dürfte zweifelhaft erscheinen; fast alle Staatsrechtslehrer bezeichnen
ihn als eine Isx iinporköLta, weil er ans seine Übertretung keine Strafe setze;
aber sie hofften alle, daß eine Übertretung nicht vorkommen würde. Das ist
nun geschehen, der Fortschritt in seiner Maß- und Schrankenlosigkeit hat es glück¬
lich zuwege gebracht. Soll man sich etwa damit begnügen, daß derFiskns auf Grund
des Allgemeinen Landrechts (I, 16, H 173, 205 f.) oder der sonstigen Gesetze des
gemeinen Rechts die von den Abgeordneten empfangenen Besoldungen zurückfordere?
Denn was zu verbotenen, unerlaubten und ungesetzlichen Zwecken oder der
Ehrbarkeit zuwider gegeben wird, fällt als Strafe dem Fiskus anheim. Mit
einer solchen Verurteilung wären ja die Herren vom Fortschritt ganz besonders
zu Mandaten qnalifizirt. Ob andre Mittel zur Zeit anzuwenden sind — ab¬
gesehen von der Beamtendisziplin —, mag noch dahingestellt bleiben, auch uns
scheint es, als ob die rechten Mittel noch fehlen. Zwar will Mohl gegen solche
Abgeordneten wegen Bestechung strafrechtlich vorgehen, allein er übersieht, daß
uach dem Strafgesetzbuch einer Bestechung sich nur Beamte schuldig machen
können, und daß Abgeordnete hierzu nicht gerechnet werden. Thudichum will,
daß Abgeordnete, welche eine Entschädigung annehmen, als Demissionäre be¬
trachtet werden und ihren Sitz im Reichstag verlieren. Das wäre in der That
ein Ausweg, der sich freilich nicht ausdrücklich ausgesprochen findet.

Die Sachlage erfordert eine ernste Behandlung. Wenn der Richter zu
prüfen hat. ob ein Gesetz verfassungsmäßig zustande gekommen sei — und die
Reichsverfassung legt in dieser Hinsicht dem Gericht keine Schranken auf, wie
dies die preußische thut —, so kann leicht die Giltigkeit von Gesetzen in Frage
gezogen werden, an deren Abstimmung besoldete Abgeordneten teilgenommen
haben. Denn Abgeordnete, welche aus Privatmitteln oder aus öffentlichen
Mitteln für ihre Thätigkeit eine Besoldung oder Entschädigung beziehen, sind
nicht Abgeordnete im Sinne der Reichsverfassung. Es ist nicht erforderlich
darauf hinzuweisen, wie die Rechtssicherheit unter diesem Verfassuugsbruch des
Fortschritts leiden muß, und es erscheint fraglich, ob die Rcichsregierung ver¬
fassungsmäßig in der Lage ist, gemeinsam mit einem Reichstag zu verhandeln,
der unter sich Mitglieder duldet, welche die im Artikel 32 der Verfassungs-
urkunde vorausgesetzte Eigenschaft der Unabhängigkeit nicht besitzen. Vielleicht
weiß der große Staatsrechtslehrer or. Hänel — ohne sittliche Entrüstung und
ohne Pathos — einen Ausweg aus diesem Dilemma anzugeben.




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[0343] Der verfassnngsbruch der Fortschrittspartei. besoldeten Abgeordneten ein Ende zu machen. Ob man mit Artikel 32 aus¬ kommen wird, dürfte zweifelhaft erscheinen; fast alle Staatsrechtslehrer bezeichnen ihn als eine Isx iinporköLta, weil er ans seine Übertretung keine Strafe setze; aber sie hofften alle, daß eine Übertretung nicht vorkommen würde. Das ist nun geschehen, der Fortschritt in seiner Maß- und Schrankenlosigkeit hat es glück¬ lich zuwege gebracht. Soll man sich etwa damit begnügen, daß derFiskns auf Grund des Allgemeinen Landrechts (I, 16, H 173, 205 f.) oder der sonstigen Gesetze des gemeinen Rechts die von den Abgeordneten empfangenen Besoldungen zurückfordere? Denn was zu verbotenen, unerlaubten und ungesetzlichen Zwecken oder der Ehrbarkeit zuwider gegeben wird, fällt als Strafe dem Fiskus anheim. Mit einer solchen Verurteilung wären ja die Herren vom Fortschritt ganz besonders zu Mandaten qnalifizirt. Ob andre Mittel zur Zeit anzuwenden sind — ab¬ gesehen von der Beamtendisziplin —, mag noch dahingestellt bleiben, auch uns scheint es, als ob die rechten Mittel noch fehlen. Zwar will Mohl gegen solche Abgeordneten wegen Bestechung strafrechtlich vorgehen, allein er übersieht, daß uach dem Strafgesetzbuch einer Bestechung sich nur Beamte schuldig machen können, und daß Abgeordnete hierzu nicht gerechnet werden. Thudichum will, daß Abgeordnete, welche eine Entschädigung annehmen, als Demissionäre be¬ trachtet werden und ihren Sitz im Reichstag verlieren. Das wäre in der That ein Ausweg, der sich freilich nicht ausdrücklich ausgesprochen findet. Die Sachlage erfordert eine ernste Behandlung. Wenn der Richter zu prüfen hat. ob ein Gesetz verfassungsmäßig zustande gekommen sei — und die Reichsverfassung legt in dieser Hinsicht dem Gericht keine Schranken auf, wie dies die preußische thut —, so kann leicht die Giltigkeit von Gesetzen in Frage gezogen werden, an deren Abstimmung besoldete Abgeordneten teilgenommen haben. Denn Abgeordnete, welche aus Privatmitteln oder aus öffentlichen Mitteln für ihre Thätigkeit eine Besoldung oder Entschädigung beziehen, sind nicht Abgeordnete im Sinne der Reichsverfassung. Es ist nicht erforderlich darauf hinzuweisen, wie die Rechtssicherheit unter diesem Verfassuugsbruch des Fortschritts leiden muß, und es erscheint fraglich, ob die Rcichsregierung ver¬ fassungsmäßig in der Lage ist, gemeinsam mit einem Reichstag zu verhandeln, der unter sich Mitglieder duldet, welche die im Artikel 32 der Verfassungs- urkunde vorausgesetzte Eigenschaft der Unabhängigkeit nicht besitzen. Vielleicht weiß der große Staatsrechtslehrer or. Hänel — ohne sittliche Entrüstung und ohne Pathos — einen Ausweg aus diesem Dilemma anzugeben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/343>, abgerufen am 28.07.2024.