Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.Das Ministerium Ferry und seine Gegner. Wahlkreise werden fortan gegen ihn stimmen. Diese Lage hat ihre schwere Solche Fragen mögen jetzt noch nicht sehr nahe liegen. Vorläufig scheint Das Ministerium Ferry und seine Gegner. Wahlkreise werden fortan gegen ihn stimmen. Diese Lage hat ihre schwere Solche Fragen mögen jetzt noch nicht sehr nahe liegen. Vorläufig scheint <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0325" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154490"/> <fw type="header" place="top"> Das Ministerium Ferry und seine Gegner.</fw><lb/> <p xml:id="ID_985" prev="#ID_984"> Wahlkreise werden fortan gegen ihn stimmen. Diese Lage hat ihre schwere<lb/> Gefahr vorzüglich darin, daß Paris jetzt die Gesetzgebung in seinen Mauern<lb/> hat. Es ist nicht zu viel behauptet, weren man sagt, daß Frankreich im Mai<lb/> 1871 gerettet wurde, weil die Nationalversammlung damals nicht in der Haupt¬<lb/> stadt, sondern in Versailles tagte. Hier fand das Volk der Provinzen ein<lb/> gesetzlich geschaffenes Zentrum des Widerstandes gegen die Anmaßungen des<lb/> bösen Geistes der großen Stadt, denen es sich bis dahin geduldig gefügt hatte.<lb/> Sollte dagegen jetzt ein Aufstand der radikalen Massen nusbrechen, den Saal<lb/> der Gesetzgeber erstürmen, sich im Stadthause festsetzen und eine neue Regierung<lb/> ausrufen, so würde das Land außerhalb der Mauern von Paris keine Behörde<lb/> mehr haben, um die es sich sammeln könnte, um sein Bestimmungsrecht zu<lb/> wahren und den radikalen Drachen niederzuwerfen. Noch ist es nicht so weit.<lb/> Die argen Elemente sind noch nicht organisirt: es mangelt an einer National¬<lb/> garde neben der Armee. Aber andrerseits fragt es sich, ob die letztere in allen<lb/> ihren Teilen ganz zuverlässig ist. Sie war es im Frühjahr 1871 der großen<lb/> Mehrheit nach. Jetzt wollen Leute, die den französischen Herbstmanövern bei¬<lb/> wohnten, die Bemerkung gemacht haben, daß manche Gemeine nur mürrisch und<lb/> widerwillig die Gesetze der Subordination beobachteten, und gewiß ist, daß die<lb/> Offiziere durch Parteigeist unter einander gespalten sind, und daß es unter<lb/> ihnen Radikale giebt. Es ist vielleicht zuviel gesagt, wenn man wissen will,<lb/> die von 1871 an über das ganze Volk ausgedehnte Wehrpflicht habe den mili¬<lb/> tärischen Geist geschwächt, und die Masse der Mannschaften bestehe mehr aus<lb/> bewaffneten und eingeübten Bürgern als aus Soldaten. Dennoch darf man<lb/> sich wohl fragen, ob die Armee, wenn sie aufgerufen würde, den ausgestandenen<lb/> Pöbel der Hauptstadt zusammenzuschießen, dem Befehle wie im Juni 1848 und<lb/> wie drei Jahre später Gehorsam leisten oder wie bei der Revolution des Februar<lb/> 1848 vor der Epidemie der Revolution zusammenbrechen würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_986" next="#ID_987"> Solche Fragen mögen jetzt noch nicht sehr nahe liegen. Vorläufig scheint<lb/> es sich nur uni parlamentarische Kämpfe, Siege und Niederlagen zu Handel».<lb/> Die Meinungen über Ferrhs neues Programm und dessen nächste Zukunft<lb/> gehen auseinander. Doch sind Sachkenner übereinstimmend der Ansicht, daß<lb/> der Ministerpräsident auf einen harten Kampf in der Deputirtenkammer gefaßt<lb/> und vorbereitet ist, und daß er alle Mittel anwenden wird, sich eine feste Ma¬<lb/> jorität zu sichern. Nach verschiedenen Anzeichen zu schließen, ist das linke<lb/> Zentrum, das einige Jahre hindurch der Politik der Regierung kalt gegenüber¬<lb/> stand, das Kabinet ehrlich zu unterstützen bereit, falls man es durch Thaten<lb/> überzeugt, daß Ferry entschlossen sei, hinfort eine feste und würdige Politik zu<lb/> verfolgen. Der Abgeordnete Ribot, ein hervorragendes Mitglied dieser Gruppe<lb/> des französischen Unterhauses, drückte vor kurzem in starken Worten seine Mi߬<lb/> billigung der Angriffe aus, denen das Kabinet in den letzten Wochen ausgesetzt<lb/> war, und knüpfte daran die Bemerkung, daß er sich ihm energisch an die Seite<lb/> stellen werde, wenn es seine frühere Nachgiebigkeit gegen die Ansprüche und<lb/> Forderungen der äußersten Linken aufgeben und mit einem „ gesunden und ge¬<lb/> mäßigten Programme vor die Nation treten wolle. Diese Äußerungen folgten<lb/> auf die Erklärungen Ferrys in Rouen und Havre, und so darf man diese offene<lb/> Hindeutung des Führers der gemäßigten Republikaner auf seine zukünftige Stel-<lb/> ung zur gegenwä rtigen Regierung als sehr bezeichnend betrachten, nur wird nach<lb/> ihr Ferry- wahr machen müssen, was er versprochen hat. Der Ton, den selbst die<lb/> maßvollsten roh Mischen Organe anschlugen, lautete allerdings nicht ermutigend.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0325]
Das Ministerium Ferry und seine Gegner.
Wahlkreise werden fortan gegen ihn stimmen. Diese Lage hat ihre schwere
Gefahr vorzüglich darin, daß Paris jetzt die Gesetzgebung in seinen Mauern
hat. Es ist nicht zu viel behauptet, weren man sagt, daß Frankreich im Mai
1871 gerettet wurde, weil die Nationalversammlung damals nicht in der Haupt¬
stadt, sondern in Versailles tagte. Hier fand das Volk der Provinzen ein
gesetzlich geschaffenes Zentrum des Widerstandes gegen die Anmaßungen des
bösen Geistes der großen Stadt, denen es sich bis dahin geduldig gefügt hatte.
Sollte dagegen jetzt ein Aufstand der radikalen Massen nusbrechen, den Saal
der Gesetzgeber erstürmen, sich im Stadthause festsetzen und eine neue Regierung
ausrufen, so würde das Land außerhalb der Mauern von Paris keine Behörde
mehr haben, um die es sich sammeln könnte, um sein Bestimmungsrecht zu
wahren und den radikalen Drachen niederzuwerfen. Noch ist es nicht so weit.
Die argen Elemente sind noch nicht organisirt: es mangelt an einer National¬
garde neben der Armee. Aber andrerseits fragt es sich, ob die letztere in allen
ihren Teilen ganz zuverlässig ist. Sie war es im Frühjahr 1871 der großen
Mehrheit nach. Jetzt wollen Leute, die den französischen Herbstmanövern bei¬
wohnten, die Bemerkung gemacht haben, daß manche Gemeine nur mürrisch und
widerwillig die Gesetze der Subordination beobachteten, und gewiß ist, daß die
Offiziere durch Parteigeist unter einander gespalten sind, und daß es unter
ihnen Radikale giebt. Es ist vielleicht zuviel gesagt, wenn man wissen will,
die von 1871 an über das ganze Volk ausgedehnte Wehrpflicht habe den mili¬
tärischen Geist geschwächt, und die Masse der Mannschaften bestehe mehr aus
bewaffneten und eingeübten Bürgern als aus Soldaten. Dennoch darf man
sich wohl fragen, ob die Armee, wenn sie aufgerufen würde, den ausgestandenen
Pöbel der Hauptstadt zusammenzuschießen, dem Befehle wie im Juni 1848 und
wie drei Jahre später Gehorsam leisten oder wie bei der Revolution des Februar
1848 vor der Epidemie der Revolution zusammenbrechen würde.
Solche Fragen mögen jetzt noch nicht sehr nahe liegen. Vorläufig scheint
es sich nur uni parlamentarische Kämpfe, Siege und Niederlagen zu Handel».
Die Meinungen über Ferrhs neues Programm und dessen nächste Zukunft
gehen auseinander. Doch sind Sachkenner übereinstimmend der Ansicht, daß
der Ministerpräsident auf einen harten Kampf in der Deputirtenkammer gefaßt
und vorbereitet ist, und daß er alle Mittel anwenden wird, sich eine feste Ma¬
jorität zu sichern. Nach verschiedenen Anzeichen zu schließen, ist das linke
Zentrum, das einige Jahre hindurch der Politik der Regierung kalt gegenüber¬
stand, das Kabinet ehrlich zu unterstützen bereit, falls man es durch Thaten
überzeugt, daß Ferry entschlossen sei, hinfort eine feste und würdige Politik zu
verfolgen. Der Abgeordnete Ribot, ein hervorragendes Mitglied dieser Gruppe
des französischen Unterhauses, drückte vor kurzem in starken Worten seine Mi߬
billigung der Angriffe aus, denen das Kabinet in den letzten Wochen ausgesetzt
war, und knüpfte daran die Bemerkung, daß er sich ihm energisch an die Seite
stellen werde, wenn es seine frühere Nachgiebigkeit gegen die Ansprüche und
Forderungen der äußersten Linken aufgeben und mit einem „ gesunden und ge¬
mäßigten Programme vor die Nation treten wolle. Diese Äußerungen folgten
auf die Erklärungen Ferrys in Rouen und Havre, und so darf man diese offene
Hindeutung des Führers der gemäßigten Republikaner auf seine zukünftige Stel-
ung zur gegenwä rtigen Regierung als sehr bezeichnend betrachten, nur wird nach
ihr Ferry- wahr machen müssen, was er versprochen hat. Der Ton, den selbst die
maßvollsten roh Mischen Organe anschlugen, lautete allerdings nicht ermutigend.
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