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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Macchiavell!.

der Schrift vorgetragenen politischen Grundsätze, obwohl dieselben starke Ähnlichkeit
mit den ihrigen hatten und sich durch nicht vielmehr als dadurch von diesen
unterschieden, daß die macchiavellistische Politik die italienische Nation, die jesui¬
tische das Papsttum mächtig zu machen bestimmt war. In Shakespeares
"Heinrich dem Sechsten" sagt Gloster:


Ich will den Redner gut wie Nestor spielen,
Verschmitzter täuschen als Atys; gekonnt,
Ich leihe Farben dem Chamäleon,
Verwandte mehr als Proteus mich und nehme
Den mörderischen Macchiavell in Lehr!

Seckendorff nennt die Politik Macchiavellis "gottlos." Logan sagt in den Sinn¬
gedichten mit vollem Rechte, auch wenn man die neueste Zeit einschließt:


Mancher schilt auf diesen Mann, folget ihm doch heimlich nach,
Giebt ihm um die Lehre nicht, giebt ihm um die Öffnung ^Veröffentlichung dcr-
selbes Schmach.

Friedrich der Große schrieb einen "Antimacchiavell," wobei er sich auf den ab¬
strakt moralischen Standpunkt stellte, der von den konkreten Verhältnissen nichts
beachten ließ. Dagegen rief wieder der "Vater des deutschen Staatsrechts,"
'Johann Jakob v. Moser, aus: Lemots Ug,Lohn?ö1Il, ors, xro nobis! und Fichte,
dessen idealer Patriotismus im ?rinoix<z dem ihm verwandten Zuge warmer
Vaterlandsliebe begegnete, verfaßte eine Ehrenrettung des viel verschrienen Jta¬
lieners. Auch Herder stellte ihn hoch, und Goethe scheint im "Egmont" gleicher
Meinung zu sein. Trivial und zum Teil irrig ist Schlossers Ansicht, der in
seiner "Weltgeschichte für das deutsche Volk" (II, 433) von Macchiavell sagt:
"Dieser war ein Republikaner, sah alle Fürsten als Usurpatoren an, verachtete
die Menschen sowie die christliche oder vielmehr päpstliche Religion und lebte
in einer Zeit der List und des Betrugs, der Gewalt und der Anmaßung; er
gab daher in seiner Schrift ganz ernstlich Rat, wie man das damals herrschend
gewordene System der Despotie folgerecht durchführen könne." Warum der
"Republikaner" dies that, erfahren wir nicht, auch nimmt Schlosser vom letzten
Kapitel keinerlei Notiz. Dem gegenüber haben Ranke (in der Kritik neuerer
Geschichtschreiber) und Macaulay bekanntlich dem großen florentinischen Poli¬
tiker volle Gerechtigkeit widerfahren lassen und für ihn überhaupt erst das rechte
Verständnis eröffnet. Ranke faßt seine Ansicht in den Satz zusammen: "Mac^
chiavclli suchte die Heilung Italiens, doch der Zustand desselben schien ihm so
verzweifelt, daß er kühn genug war, ihm Gift vorzuschreiben."




Macchiavell!.

der Schrift vorgetragenen politischen Grundsätze, obwohl dieselben starke Ähnlichkeit
mit den ihrigen hatten und sich durch nicht vielmehr als dadurch von diesen
unterschieden, daß die macchiavellistische Politik die italienische Nation, die jesui¬
tische das Papsttum mächtig zu machen bestimmt war. In Shakespeares
„Heinrich dem Sechsten" sagt Gloster:


Ich will den Redner gut wie Nestor spielen,
Verschmitzter täuschen als Atys; gekonnt,
Ich leihe Farben dem Chamäleon,
Verwandte mehr als Proteus mich und nehme
Den mörderischen Macchiavell in Lehr!

Seckendorff nennt die Politik Macchiavellis „gottlos." Logan sagt in den Sinn¬
gedichten mit vollem Rechte, auch wenn man die neueste Zeit einschließt:


Mancher schilt auf diesen Mann, folget ihm doch heimlich nach,
Giebt ihm um die Lehre nicht, giebt ihm um die Öffnung ^Veröffentlichung dcr-
selbes Schmach.

Friedrich der Große schrieb einen „Antimacchiavell," wobei er sich auf den ab¬
strakt moralischen Standpunkt stellte, der von den konkreten Verhältnissen nichts
beachten ließ. Dagegen rief wieder der „Vater des deutschen Staatsrechts,"
'Johann Jakob v. Moser, aus: Lemots Ug,Lohn?ö1Il, ors, xro nobis! und Fichte,
dessen idealer Patriotismus im ?rinoix<z dem ihm verwandten Zuge warmer
Vaterlandsliebe begegnete, verfaßte eine Ehrenrettung des viel verschrienen Jta¬
lieners. Auch Herder stellte ihn hoch, und Goethe scheint im „Egmont" gleicher
Meinung zu sein. Trivial und zum Teil irrig ist Schlossers Ansicht, der in
seiner „Weltgeschichte für das deutsche Volk" (II, 433) von Macchiavell sagt:
„Dieser war ein Republikaner, sah alle Fürsten als Usurpatoren an, verachtete
die Menschen sowie die christliche oder vielmehr päpstliche Religion und lebte
in einer Zeit der List und des Betrugs, der Gewalt und der Anmaßung; er
gab daher in seiner Schrift ganz ernstlich Rat, wie man das damals herrschend
gewordene System der Despotie folgerecht durchführen könne." Warum der
„Republikaner" dies that, erfahren wir nicht, auch nimmt Schlosser vom letzten
Kapitel keinerlei Notiz. Dem gegenüber haben Ranke (in der Kritik neuerer
Geschichtschreiber) und Macaulay bekanntlich dem großen florentinischen Poli¬
tiker volle Gerechtigkeit widerfahren lassen und für ihn überhaupt erst das rechte
Verständnis eröffnet. Ranke faßt seine Ansicht in den Satz zusammen: „Mac^
chiavclli suchte die Heilung Italiens, doch der Zustand desselben schien ihm so
verzweifelt, daß er kühn genug war, ihm Gift vorzuschreiben."




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[0301] Macchiavell!. der Schrift vorgetragenen politischen Grundsätze, obwohl dieselben starke Ähnlichkeit mit den ihrigen hatten und sich durch nicht vielmehr als dadurch von diesen unterschieden, daß die macchiavellistische Politik die italienische Nation, die jesui¬ tische das Papsttum mächtig zu machen bestimmt war. In Shakespeares „Heinrich dem Sechsten" sagt Gloster: Ich will den Redner gut wie Nestor spielen, Verschmitzter täuschen als Atys; gekonnt, Ich leihe Farben dem Chamäleon, Verwandte mehr als Proteus mich und nehme Den mörderischen Macchiavell in Lehr! Seckendorff nennt die Politik Macchiavellis „gottlos." Logan sagt in den Sinn¬ gedichten mit vollem Rechte, auch wenn man die neueste Zeit einschließt: Mancher schilt auf diesen Mann, folget ihm doch heimlich nach, Giebt ihm um die Lehre nicht, giebt ihm um die Öffnung ^Veröffentlichung dcr- selbes Schmach. Friedrich der Große schrieb einen „Antimacchiavell," wobei er sich auf den ab¬ strakt moralischen Standpunkt stellte, der von den konkreten Verhältnissen nichts beachten ließ. Dagegen rief wieder der „Vater des deutschen Staatsrechts," 'Johann Jakob v. Moser, aus: Lemots Ug,Lohn?ö1Il, ors, xro nobis! und Fichte, dessen idealer Patriotismus im ?rinoix<z dem ihm verwandten Zuge warmer Vaterlandsliebe begegnete, verfaßte eine Ehrenrettung des viel verschrienen Jta¬ lieners. Auch Herder stellte ihn hoch, und Goethe scheint im „Egmont" gleicher Meinung zu sein. Trivial und zum Teil irrig ist Schlossers Ansicht, der in seiner „Weltgeschichte für das deutsche Volk" (II, 433) von Macchiavell sagt: „Dieser war ein Republikaner, sah alle Fürsten als Usurpatoren an, verachtete die Menschen sowie die christliche oder vielmehr päpstliche Religion und lebte in einer Zeit der List und des Betrugs, der Gewalt und der Anmaßung; er gab daher in seiner Schrift ganz ernstlich Rat, wie man das damals herrschend gewordene System der Despotie folgerecht durchführen könne." Warum der „Republikaner" dies that, erfahren wir nicht, auch nimmt Schlosser vom letzten Kapitel keinerlei Notiz. Dem gegenüber haben Ranke (in der Kritik neuerer Geschichtschreiber) und Macaulay bekanntlich dem großen florentinischen Poli¬ tiker volle Gerechtigkeit widerfahren lassen und für ihn überhaupt erst das rechte Verständnis eröffnet. Ranke faßt seine Ansicht in den Satz zusammen: „Mac^ chiavclli suchte die Heilung Italiens, doch der Zustand desselben schien ihm so verzweifelt, daß er kühn genug war, ihm Gift vorzuschreiben."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/301>, abgerufen am 01.09.2024.