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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Macchiavelli.

Recht gethan bis auf den letzten unklugen Akt, wo er nichts Schlechtes, aber
etwas Unpolitisches that.

Macchiavell ist ein Schwärmer des Verstandes, ein Prophet der unbedingten
Zweckmäßigkeit. Vor dem Nützlichen hat im einzelnen das Sittliche die Segel
zu streichen, wobei den Denker immer der Trost begleitet, daß das Ganze schließlich
die Verstoße gegen die Religion und Moral rechtfertigen wird. Der Staat ist
Selbstzweck, der italienische Einheitsstaat wird mit seiner Herrlichkeit alles vergessen
machen, was sein Gründer auf dem Wege zu ihm gesündigt hat. Der Fürst,
der ihn zunächst durch rein egoistisches Verfahren herstellt, handelt immer gut,
wenn er klug handelt. Nichts ist ihm unerlaubt, was seinem Zwecke frommt,
nur unzweckmäßiges Verfahren ist immer zu tadeln, und unzweckmäßig kam?
unter Umständen auch ein solches sein, welches an sich ins Kapitel der Tugenden
gehört. Während der Fürst bei seinem Denken und Verhalten nur seinen Vor¬
teil im Auge hat, rein sachgemäß, rein der augenblicklichen Lage entsprechend,
ohne Rücksicht auf irgend etwas andres handelt, fördert er, heute mit der Moral
im Einklange, morgen mit ihr im Widerspruche, je nachdem die Dinge sich gerade
gestalten, zugleich das große nationale Werk, wird er Werkzeug der nationalen
Idee, der alles zu dienen hat. Stets geht Macchiavell vom Vorhandenen, vom
Thatsächlichen aus. Mit der Größe seines Verstandes vermag er sich auf die
verschiedensten Standpunkte zu versetzen und sie zu einem höhern zu erheben^
Seine eigne Meinung giebt er dabei zuletzt kund -- eine Selbstbeherrschung,
deren Kälte erschreckt, zuletzt aber, wo die Ziele dieses eisigcns Denkens zu Tage
treten, nur Bewunderung erweckt. Fühllos geht seine politische Logik von Kon¬
sequenz zu Konsequenz. Das Gute und Schöne, das Edle und Heilige, die
Tugend, die Wahrheit, die Gerechtigkeit sollen nur Rechenpfennige für den Fürsten
sein, der vorwärts will und endlich den großen Wunsch des Patrioten, der ihm
mit seinem Buche Wegweiser zu sein vorhat, verwirklichen soll.

Die Zeitgenossen Macchiavellis nahmen an den Vorschriften, die er im
?rmvixo erteilt, keinerlei Anstoß, obwohl das Vues rasch weite Verbreitung er¬
langte. Selbst die Kirche hatte anfangs nichts dagegen einzuwenden, sie setzte
es erst dreißig Jahre nach seinem ersten Erscheinen auf den Index, und zwar
geschah dies nicht, weil es die Moral, sondern weil es an einigen Stellen die
Päpste angriff. Auch in nichtitalienischen Ländern fand die Schrift vom "Fürsten"
im sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderte vielen Beifall. Mehrere hervor¬
ragende Fürsten und Fürstinnen, darunter Kaiser Karl der Fünfte, die Könige
Heinrich der Vierte und Ludwig der Vierzehnte von Frankreich, Katharina von
Medici und Papst Sixtus der Fünfte betrachteten sie als ihr politisches Brevier,
und Sultan Mustafa der Dritte ließ sie ins Türkische übersetzen. Sehr günstig
urteilten Philosophen wie Baco und Spinoza über das Buch und seinen Ver¬
fasser, auch Voltaire äußerte sich lobend über beide. Dagegen wurden früh¬
zeitig auch tadelnde Stimmen über sie laut, die Jesuiten eiferten gegen die in


Macchiavelli.

Recht gethan bis auf den letzten unklugen Akt, wo er nichts Schlechtes, aber
etwas Unpolitisches that.

Macchiavell ist ein Schwärmer des Verstandes, ein Prophet der unbedingten
Zweckmäßigkeit. Vor dem Nützlichen hat im einzelnen das Sittliche die Segel
zu streichen, wobei den Denker immer der Trost begleitet, daß das Ganze schließlich
die Verstoße gegen die Religion und Moral rechtfertigen wird. Der Staat ist
Selbstzweck, der italienische Einheitsstaat wird mit seiner Herrlichkeit alles vergessen
machen, was sein Gründer auf dem Wege zu ihm gesündigt hat. Der Fürst,
der ihn zunächst durch rein egoistisches Verfahren herstellt, handelt immer gut,
wenn er klug handelt. Nichts ist ihm unerlaubt, was seinem Zwecke frommt,
nur unzweckmäßiges Verfahren ist immer zu tadeln, und unzweckmäßig kam?
unter Umständen auch ein solches sein, welches an sich ins Kapitel der Tugenden
gehört. Während der Fürst bei seinem Denken und Verhalten nur seinen Vor¬
teil im Auge hat, rein sachgemäß, rein der augenblicklichen Lage entsprechend,
ohne Rücksicht auf irgend etwas andres handelt, fördert er, heute mit der Moral
im Einklange, morgen mit ihr im Widerspruche, je nachdem die Dinge sich gerade
gestalten, zugleich das große nationale Werk, wird er Werkzeug der nationalen
Idee, der alles zu dienen hat. Stets geht Macchiavell vom Vorhandenen, vom
Thatsächlichen aus. Mit der Größe seines Verstandes vermag er sich auf die
verschiedensten Standpunkte zu versetzen und sie zu einem höhern zu erheben^
Seine eigne Meinung giebt er dabei zuletzt kund — eine Selbstbeherrschung,
deren Kälte erschreckt, zuletzt aber, wo die Ziele dieses eisigcns Denkens zu Tage
treten, nur Bewunderung erweckt. Fühllos geht seine politische Logik von Kon¬
sequenz zu Konsequenz. Das Gute und Schöne, das Edle und Heilige, die
Tugend, die Wahrheit, die Gerechtigkeit sollen nur Rechenpfennige für den Fürsten
sein, der vorwärts will und endlich den großen Wunsch des Patrioten, der ihm
mit seinem Buche Wegweiser zu sein vorhat, verwirklichen soll.

Die Zeitgenossen Macchiavellis nahmen an den Vorschriften, die er im
?rmvixo erteilt, keinerlei Anstoß, obwohl das Vues rasch weite Verbreitung er¬
langte. Selbst die Kirche hatte anfangs nichts dagegen einzuwenden, sie setzte
es erst dreißig Jahre nach seinem ersten Erscheinen auf den Index, und zwar
geschah dies nicht, weil es die Moral, sondern weil es an einigen Stellen die
Päpste angriff. Auch in nichtitalienischen Ländern fand die Schrift vom „Fürsten"
im sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderte vielen Beifall. Mehrere hervor¬
ragende Fürsten und Fürstinnen, darunter Kaiser Karl der Fünfte, die Könige
Heinrich der Vierte und Ludwig der Vierzehnte von Frankreich, Katharina von
Medici und Papst Sixtus der Fünfte betrachteten sie als ihr politisches Brevier,
und Sultan Mustafa der Dritte ließ sie ins Türkische übersetzen. Sehr günstig
urteilten Philosophen wie Baco und Spinoza über das Buch und seinen Ver¬
fasser, auch Voltaire äußerte sich lobend über beide. Dagegen wurden früh¬
zeitig auch tadelnde Stimmen über sie laut, die Jesuiten eiferten gegen die in


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[0300] Macchiavelli. Recht gethan bis auf den letzten unklugen Akt, wo er nichts Schlechtes, aber etwas Unpolitisches that. Macchiavell ist ein Schwärmer des Verstandes, ein Prophet der unbedingten Zweckmäßigkeit. Vor dem Nützlichen hat im einzelnen das Sittliche die Segel zu streichen, wobei den Denker immer der Trost begleitet, daß das Ganze schließlich die Verstoße gegen die Religion und Moral rechtfertigen wird. Der Staat ist Selbstzweck, der italienische Einheitsstaat wird mit seiner Herrlichkeit alles vergessen machen, was sein Gründer auf dem Wege zu ihm gesündigt hat. Der Fürst, der ihn zunächst durch rein egoistisches Verfahren herstellt, handelt immer gut, wenn er klug handelt. Nichts ist ihm unerlaubt, was seinem Zwecke frommt, nur unzweckmäßiges Verfahren ist immer zu tadeln, und unzweckmäßig kam? unter Umständen auch ein solches sein, welches an sich ins Kapitel der Tugenden gehört. Während der Fürst bei seinem Denken und Verhalten nur seinen Vor¬ teil im Auge hat, rein sachgemäß, rein der augenblicklichen Lage entsprechend, ohne Rücksicht auf irgend etwas andres handelt, fördert er, heute mit der Moral im Einklange, morgen mit ihr im Widerspruche, je nachdem die Dinge sich gerade gestalten, zugleich das große nationale Werk, wird er Werkzeug der nationalen Idee, der alles zu dienen hat. Stets geht Macchiavell vom Vorhandenen, vom Thatsächlichen aus. Mit der Größe seines Verstandes vermag er sich auf die verschiedensten Standpunkte zu versetzen und sie zu einem höhern zu erheben^ Seine eigne Meinung giebt er dabei zuletzt kund — eine Selbstbeherrschung, deren Kälte erschreckt, zuletzt aber, wo die Ziele dieses eisigcns Denkens zu Tage treten, nur Bewunderung erweckt. Fühllos geht seine politische Logik von Kon¬ sequenz zu Konsequenz. Das Gute und Schöne, das Edle und Heilige, die Tugend, die Wahrheit, die Gerechtigkeit sollen nur Rechenpfennige für den Fürsten sein, der vorwärts will und endlich den großen Wunsch des Patrioten, der ihm mit seinem Buche Wegweiser zu sein vorhat, verwirklichen soll. Die Zeitgenossen Macchiavellis nahmen an den Vorschriften, die er im ?rmvixo erteilt, keinerlei Anstoß, obwohl das Vues rasch weite Verbreitung er¬ langte. Selbst die Kirche hatte anfangs nichts dagegen einzuwenden, sie setzte es erst dreißig Jahre nach seinem ersten Erscheinen auf den Index, und zwar geschah dies nicht, weil es die Moral, sondern weil es an einigen Stellen die Päpste angriff. Auch in nichtitalienischen Ländern fand die Schrift vom „Fürsten" im sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderte vielen Beifall. Mehrere hervor¬ ragende Fürsten und Fürstinnen, darunter Kaiser Karl der Fünfte, die Könige Heinrich der Vierte und Ludwig der Vierzehnte von Frankreich, Katharina von Medici und Papst Sixtus der Fünfte betrachteten sie als ihr politisches Brevier, und Sultan Mustafa der Dritte ließ sie ins Türkische übersetzen. Sehr günstig urteilten Philosophen wie Baco und Spinoza über das Buch und seinen Ver¬ fasser, auch Voltaire äußerte sich lobend über beide. Dagegen wurden früh¬ zeitig auch tadelnde Stimmen über sie laut, die Jesuiten eiferten gegen die in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/300>, abgerufen am 28.07.2024.