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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Nacchiavelli,

ihm zu gehorchen, welcher Neid sich ihiu ividersetzen, welcher Italiener ihm nicht
dienen wollen? Jeden empört diese Barbnrcnherrschaft. Darum wolle Euer er¬
lauchtes Haus diese Aufgabe mit der Unerschrockenst und Hoffnung auf sich
nehmen, mit der man gerechte Werke beginnt, ans daß unter seiner Fahne unser
Vaterland zu Ehren komme und das Wort Petrarcas sich erfülle:


Mannhafter Sinn wird gegen blinde Wut
Zum Schwerte greifen; kurz nur währt das Streiten;
Denn nnvcrkiimmert flammt der alte Mut
In Jtalicncrhcrzcn fort durch alle Zeiten.

Macchiavellis Buch ist also eine nuf Erfahrung gegründete Auseinander¬
setzung der Grundregel, nach welcher ein Fürst, namentlich aber ein neuer Fürst,
ein Usurpator oder Eroberer seine Politik einrichten soll, wobei dem Verfasser
die Vorstellung und Hoffnung vorschwebt, derselbe werde den Erfolg, den er
mit dieser Methode für seine Person erreichen müsse, mit hohem Sinne zur
Erlangung größerer Erfolge und zuletzt des größten, zur Einigung Italiens
unter seiner Fahne und zur Errettung des Landes von der Fremdherrschaft be¬
nutzen. Das Geschlecht der Mediceer soll zu größerer Macht und zuletzt zur
Herrschaft über ganz Italien gelangen. Dies wird -- so liest man nach der
Lektüre des letzten Kapitels überall zwischen den Zeilen -- nur dann möglich
sein, wenn die betreffenden Fürsten nicht nnr sich, die Vermehrung ihrer Gewalt
und ihres Ansehens und überhaupt ihren persönlichen Vorteil vor Augen haben,
sondern alles dies als Mittel zur Erreichung eines letzten großen vaterländischen
Zweckes erstreben, der -- so dürfen wir hinzusetzen -- alle Schuld, die auf dem
Wege dahin durch Täuschung und Rechtsverletzung im einzelnen begangen worden
ist, aufwiegt und auslöscht. Der Gedankengang Macchiavellis bei seiner Dar¬
legung kennt keine Regel der gewöhnlichen bürgerlichen Moral, kein Gefühl und
kein Vorurteil. Er hat zunächst nur den Vorteil im Auge, den die Beachtung
seiner Regeln dem Fürsten persönlich bringen soll, das letzte Ziel, das höchste,
auf das er zustrebt, begleitet ihn bei seiner ganzen Betrachtung, bleibt aber bis
zum Schlüsse verschwiegen. Bei seinem Räsonnement erweist er sich ferner durch-
gehends als nüchterner, kalter Realpolitiker, der sich von aller Theorie fernhält
und seine Vorschriften lediglich aus der thatsächlichen Welt, aus der Kenntnis
der damaligen Menschen und Zustände ableitet. Macchiavelli ist keineswegs
gewissenlos. Er ist vielmehr das politische Gewissen des damaligen Italiens.
Er ersehnt ein einiges, in solcher Einheit nach außen hin freies Vaterland, und
diese Freiheit ist ihm mit vollem Rechte so sehr das höchste, daß er dafür die
Freiheit im Innern auf das Notwendigste beschränkt wissen will. Konzentrirung
der Gewalt, der Volks- und Staatskraft in der Hand eines Einzigen allein
giebt, wie ihn die Erfahrung gelehrt hat, der Nation die Stärke, welche zur
Abschüttelung des Joches der Barbaren erforderlich ist. Wenn der große Tyrann,
der nach Erdrückung der vielen kleinen übrig bleiben wird, sich zuletzt gegen die
Fremden kehrt, so ist er ein Segen. Der Standpunkt des Fürsten, der dem


Nacchiavelli,

ihm zu gehorchen, welcher Neid sich ihiu ividersetzen, welcher Italiener ihm nicht
dienen wollen? Jeden empört diese Barbnrcnherrschaft. Darum wolle Euer er¬
lauchtes Haus diese Aufgabe mit der Unerschrockenst und Hoffnung auf sich
nehmen, mit der man gerechte Werke beginnt, ans daß unter seiner Fahne unser
Vaterland zu Ehren komme und das Wort Petrarcas sich erfülle:


Mannhafter Sinn wird gegen blinde Wut
Zum Schwerte greifen; kurz nur währt das Streiten;
Denn nnvcrkiimmert flammt der alte Mut
In Jtalicncrhcrzcn fort durch alle Zeiten.

Macchiavellis Buch ist also eine nuf Erfahrung gegründete Auseinander¬
setzung der Grundregel, nach welcher ein Fürst, namentlich aber ein neuer Fürst,
ein Usurpator oder Eroberer seine Politik einrichten soll, wobei dem Verfasser
die Vorstellung und Hoffnung vorschwebt, derselbe werde den Erfolg, den er
mit dieser Methode für seine Person erreichen müsse, mit hohem Sinne zur
Erlangung größerer Erfolge und zuletzt des größten, zur Einigung Italiens
unter seiner Fahne und zur Errettung des Landes von der Fremdherrschaft be¬
nutzen. Das Geschlecht der Mediceer soll zu größerer Macht und zuletzt zur
Herrschaft über ganz Italien gelangen. Dies wird — so liest man nach der
Lektüre des letzten Kapitels überall zwischen den Zeilen — nur dann möglich
sein, wenn die betreffenden Fürsten nicht nnr sich, die Vermehrung ihrer Gewalt
und ihres Ansehens und überhaupt ihren persönlichen Vorteil vor Augen haben,
sondern alles dies als Mittel zur Erreichung eines letzten großen vaterländischen
Zweckes erstreben, der — so dürfen wir hinzusetzen — alle Schuld, die auf dem
Wege dahin durch Täuschung und Rechtsverletzung im einzelnen begangen worden
ist, aufwiegt und auslöscht. Der Gedankengang Macchiavellis bei seiner Dar¬
legung kennt keine Regel der gewöhnlichen bürgerlichen Moral, kein Gefühl und
kein Vorurteil. Er hat zunächst nur den Vorteil im Auge, den die Beachtung
seiner Regeln dem Fürsten persönlich bringen soll, das letzte Ziel, das höchste,
auf das er zustrebt, begleitet ihn bei seiner ganzen Betrachtung, bleibt aber bis
zum Schlüsse verschwiegen. Bei seinem Räsonnement erweist er sich ferner durch-
gehends als nüchterner, kalter Realpolitiker, der sich von aller Theorie fernhält
und seine Vorschriften lediglich aus der thatsächlichen Welt, aus der Kenntnis
der damaligen Menschen und Zustände ableitet. Macchiavelli ist keineswegs
gewissenlos. Er ist vielmehr das politische Gewissen des damaligen Italiens.
Er ersehnt ein einiges, in solcher Einheit nach außen hin freies Vaterland, und
diese Freiheit ist ihm mit vollem Rechte so sehr das höchste, daß er dafür die
Freiheit im Innern auf das Notwendigste beschränkt wissen will. Konzentrirung
der Gewalt, der Volks- und Staatskraft in der Hand eines Einzigen allein
giebt, wie ihn die Erfahrung gelehrt hat, der Nation die Stärke, welche zur
Abschüttelung des Joches der Barbaren erforderlich ist. Wenn der große Tyrann,
der nach Erdrückung der vielen kleinen übrig bleiben wird, sich zuletzt gegen die
Fremden kehrt, so ist er ein Segen. Der Standpunkt des Fürsten, der dem


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[0297] Nacchiavelli, ihm zu gehorchen, welcher Neid sich ihiu ividersetzen, welcher Italiener ihm nicht dienen wollen? Jeden empört diese Barbnrcnherrschaft. Darum wolle Euer er¬ lauchtes Haus diese Aufgabe mit der Unerschrockenst und Hoffnung auf sich nehmen, mit der man gerechte Werke beginnt, ans daß unter seiner Fahne unser Vaterland zu Ehren komme und das Wort Petrarcas sich erfülle: Mannhafter Sinn wird gegen blinde Wut Zum Schwerte greifen; kurz nur währt das Streiten; Denn nnvcrkiimmert flammt der alte Mut In Jtalicncrhcrzcn fort durch alle Zeiten. Macchiavellis Buch ist also eine nuf Erfahrung gegründete Auseinander¬ setzung der Grundregel, nach welcher ein Fürst, namentlich aber ein neuer Fürst, ein Usurpator oder Eroberer seine Politik einrichten soll, wobei dem Verfasser die Vorstellung und Hoffnung vorschwebt, derselbe werde den Erfolg, den er mit dieser Methode für seine Person erreichen müsse, mit hohem Sinne zur Erlangung größerer Erfolge und zuletzt des größten, zur Einigung Italiens unter seiner Fahne und zur Errettung des Landes von der Fremdherrschaft be¬ nutzen. Das Geschlecht der Mediceer soll zu größerer Macht und zuletzt zur Herrschaft über ganz Italien gelangen. Dies wird — so liest man nach der Lektüre des letzten Kapitels überall zwischen den Zeilen — nur dann möglich sein, wenn die betreffenden Fürsten nicht nnr sich, die Vermehrung ihrer Gewalt und ihres Ansehens und überhaupt ihren persönlichen Vorteil vor Augen haben, sondern alles dies als Mittel zur Erreichung eines letzten großen vaterländischen Zweckes erstreben, der — so dürfen wir hinzusetzen — alle Schuld, die auf dem Wege dahin durch Täuschung und Rechtsverletzung im einzelnen begangen worden ist, aufwiegt und auslöscht. Der Gedankengang Macchiavellis bei seiner Dar¬ legung kennt keine Regel der gewöhnlichen bürgerlichen Moral, kein Gefühl und kein Vorurteil. Er hat zunächst nur den Vorteil im Auge, den die Beachtung seiner Regeln dem Fürsten persönlich bringen soll, das letzte Ziel, das höchste, auf das er zustrebt, begleitet ihn bei seiner ganzen Betrachtung, bleibt aber bis zum Schlüsse verschwiegen. Bei seinem Räsonnement erweist er sich ferner durch- gehends als nüchterner, kalter Realpolitiker, der sich von aller Theorie fernhält und seine Vorschriften lediglich aus der thatsächlichen Welt, aus der Kenntnis der damaligen Menschen und Zustände ableitet. Macchiavelli ist keineswegs gewissenlos. Er ist vielmehr das politische Gewissen des damaligen Italiens. Er ersehnt ein einiges, in solcher Einheit nach außen hin freies Vaterland, und diese Freiheit ist ihm mit vollem Rechte so sehr das höchste, daß er dafür die Freiheit im Innern auf das Notwendigste beschränkt wissen will. Konzentrirung der Gewalt, der Volks- und Staatskraft in der Hand eines Einzigen allein giebt, wie ihn die Erfahrung gelehrt hat, der Nation die Stärke, welche zur Abschüttelung des Joches der Barbaren erforderlich ist. Wenn der große Tyrann, der nach Erdrückung der vielen kleinen übrig bleiben wird, sich zuletzt gegen die Fremden kehrt, so ist er ein Segen. Der Standpunkt des Fürsten, der dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/297>, abgerufen am 28.07.2024.