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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Dcis neue Aktiongesetz.

dem voraussichtlich die nieder zahlreicher sein werden als die Gewinne. Man
sehe nur die Resultate! In der Zeit von 1871 bis 1875 haben von 246 Ge¬
sellschaften 90 in allen fünf Jahren 0 Prozent Dividende gegeben, 114 durch¬
schnittlich weniger als 1 Prozent, 160 durchschnittlich weniger als 3 Prozent!
Wie viel besser wäre es gewesen, das Kapital in Staatsanleihen, in Pfand¬
briefen ritterschaftlicher Institute, in Sparkassen anzulegen! Rechnen wir dazu
noch die Verluste, welche die Aktionäre durch Reduktionen, Liquidation und Kon¬
kurse erlitten haben, so wird das Bild "och düsterer; bei 69 Liquidationen
haben die Aktionäre nichts, bei 70 weniger als pari erhalten, von den 84 Kon¬
kursen ist bei 57 auf die Aktionäre nichts gefallen.

Trotz dieser Schattenseiten wird aber doch nicht geleugnet werden können,
daß viele Unternehmungen, welche heute dem Handel und Verkehr einen außer¬
ordentlichen Aufschwung gegeben haben, ohne die Kapitalsvereinigung der Aktien¬
gesellschaften überhaupt nicht hätten entstehen können: Eisenbahnen, Kanäle,
Schisffahrtslinien u. dergl. in. Wir müssen also die Form der Vergesellschaf¬
tung beibehalten in allen solchen Fällen, wo die Kraft des Einzelnen nicht aus¬
reicht. Aber diese eignen sich eben nur für das Großkapital. Deshalb ist zu
hoffen, daß die Höhe der Aktien nur dieses zu Aktiengesellschaften vereinigen wird.
Hiermit hat also der Entwurf eine zweite Frage entschieden, welche gleichzeitig
von den entgegengesetzten Strömungen aufgeworfen wurde. Sozialpolitiker der
verschiedenen Richtungen haben verlangt, daß das Gesetz die Unternehmungen
bestimmen soll, welche allein in der Form von Aktiengesellschaften betrieben
werden dürfen. Zunächst zeigte sich das wunderliche Schauspiel, daß schon hier
die Meinungen weit auseinander gingen, denn die einen wollten alle öffentlichen
Unternehmungen dem Staate, den Kreisen und Gemeinden vindiziren und die
übrigen für die Aktiengesellschaften vorbehalten, die andern kamen gerade zu dem
entgegengesetzten Resultat. Aber gesetzt auch, es ließe sich hier eine Einigung
erzielen, so zeigt sich doch ein solcher Vorschlag praktisch unausführbar. Wo
läßt sich die Gesetzesformel finden, nach welcher mit Sicherheit entschieden werden
kann, ob eine Unternehmung dem öffentlichen oder gemeinen Nutzen dient, nach
welcher der Gesellschaftszweck genau präzisirt werden kann? Das sind Utopien,
und wer sie aufstellt, ohne in präzisirter Formel die Ausführbarkeit zu suchen,
wird dem Vorwurf des Charlatcms nicht entgehen können.

Mußte also die Aktiengesellschaft beibehalten werden, so war die Frage
nach der Reform des bestehenden Rechts eine umso dringendere geworden.
Denn das bestehende Gesetz erschien als der sichtbare Prügelknabe des Krachs.
In der That entziehen sich die einzelnen Ursachen der Krisis einer greifbaren
Kritik; der Aufschwung des politischen Lebens, die größere Entfaltung der Macht
des Staates, der Niedergang Frankreichs, der Milliardensegen des Krieges und
die ins maßlose betriebene Produktion und Spekulation, die Geldgier auf der
einen, der Leichtsinn und die Thorheit auf der andern Seite -- das alles sind


Dcis neue Aktiongesetz.

dem voraussichtlich die nieder zahlreicher sein werden als die Gewinne. Man
sehe nur die Resultate! In der Zeit von 1871 bis 1875 haben von 246 Ge¬
sellschaften 90 in allen fünf Jahren 0 Prozent Dividende gegeben, 114 durch¬
schnittlich weniger als 1 Prozent, 160 durchschnittlich weniger als 3 Prozent!
Wie viel besser wäre es gewesen, das Kapital in Staatsanleihen, in Pfand¬
briefen ritterschaftlicher Institute, in Sparkassen anzulegen! Rechnen wir dazu
noch die Verluste, welche die Aktionäre durch Reduktionen, Liquidation und Kon¬
kurse erlitten haben, so wird das Bild »och düsterer; bei 69 Liquidationen
haben die Aktionäre nichts, bei 70 weniger als pari erhalten, von den 84 Kon¬
kursen ist bei 57 auf die Aktionäre nichts gefallen.

Trotz dieser Schattenseiten wird aber doch nicht geleugnet werden können,
daß viele Unternehmungen, welche heute dem Handel und Verkehr einen außer¬
ordentlichen Aufschwung gegeben haben, ohne die Kapitalsvereinigung der Aktien¬
gesellschaften überhaupt nicht hätten entstehen können: Eisenbahnen, Kanäle,
Schisffahrtslinien u. dergl. in. Wir müssen also die Form der Vergesellschaf¬
tung beibehalten in allen solchen Fällen, wo die Kraft des Einzelnen nicht aus¬
reicht. Aber diese eignen sich eben nur für das Großkapital. Deshalb ist zu
hoffen, daß die Höhe der Aktien nur dieses zu Aktiengesellschaften vereinigen wird.
Hiermit hat also der Entwurf eine zweite Frage entschieden, welche gleichzeitig
von den entgegengesetzten Strömungen aufgeworfen wurde. Sozialpolitiker der
verschiedenen Richtungen haben verlangt, daß das Gesetz die Unternehmungen
bestimmen soll, welche allein in der Form von Aktiengesellschaften betrieben
werden dürfen. Zunächst zeigte sich das wunderliche Schauspiel, daß schon hier
die Meinungen weit auseinander gingen, denn die einen wollten alle öffentlichen
Unternehmungen dem Staate, den Kreisen und Gemeinden vindiziren und die
übrigen für die Aktiengesellschaften vorbehalten, die andern kamen gerade zu dem
entgegengesetzten Resultat. Aber gesetzt auch, es ließe sich hier eine Einigung
erzielen, so zeigt sich doch ein solcher Vorschlag praktisch unausführbar. Wo
läßt sich die Gesetzesformel finden, nach welcher mit Sicherheit entschieden werden
kann, ob eine Unternehmung dem öffentlichen oder gemeinen Nutzen dient, nach
welcher der Gesellschaftszweck genau präzisirt werden kann? Das sind Utopien,
und wer sie aufstellt, ohne in präzisirter Formel die Ausführbarkeit zu suchen,
wird dem Vorwurf des Charlatcms nicht entgehen können.

Mußte also die Aktiengesellschaft beibehalten werden, so war die Frage
nach der Reform des bestehenden Rechts eine umso dringendere geworden.
Denn das bestehende Gesetz erschien als der sichtbare Prügelknabe des Krachs.
In der That entziehen sich die einzelnen Ursachen der Krisis einer greifbaren
Kritik; der Aufschwung des politischen Lebens, die größere Entfaltung der Macht
des Staates, der Niedergang Frankreichs, der Milliardensegen des Krieges und
die ins maßlose betriebene Produktion und Spekulation, die Geldgier auf der
einen, der Leichtsinn und die Thorheit auf der andern Seite — das alles sind


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[0286] Dcis neue Aktiongesetz. dem voraussichtlich die nieder zahlreicher sein werden als die Gewinne. Man sehe nur die Resultate! In der Zeit von 1871 bis 1875 haben von 246 Ge¬ sellschaften 90 in allen fünf Jahren 0 Prozent Dividende gegeben, 114 durch¬ schnittlich weniger als 1 Prozent, 160 durchschnittlich weniger als 3 Prozent! Wie viel besser wäre es gewesen, das Kapital in Staatsanleihen, in Pfand¬ briefen ritterschaftlicher Institute, in Sparkassen anzulegen! Rechnen wir dazu noch die Verluste, welche die Aktionäre durch Reduktionen, Liquidation und Kon¬ kurse erlitten haben, so wird das Bild »och düsterer; bei 69 Liquidationen haben die Aktionäre nichts, bei 70 weniger als pari erhalten, von den 84 Kon¬ kursen ist bei 57 auf die Aktionäre nichts gefallen. Trotz dieser Schattenseiten wird aber doch nicht geleugnet werden können, daß viele Unternehmungen, welche heute dem Handel und Verkehr einen außer¬ ordentlichen Aufschwung gegeben haben, ohne die Kapitalsvereinigung der Aktien¬ gesellschaften überhaupt nicht hätten entstehen können: Eisenbahnen, Kanäle, Schisffahrtslinien u. dergl. in. Wir müssen also die Form der Vergesellschaf¬ tung beibehalten in allen solchen Fällen, wo die Kraft des Einzelnen nicht aus¬ reicht. Aber diese eignen sich eben nur für das Großkapital. Deshalb ist zu hoffen, daß die Höhe der Aktien nur dieses zu Aktiengesellschaften vereinigen wird. Hiermit hat also der Entwurf eine zweite Frage entschieden, welche gleichzeitig von den entgegengesetzten Strömungen aufgeworfen wurde. Sozialpolitiker der verschiedenen Richtungen haben verlangt, daß das Gesetz die Unternehmungen bestimmen soll, welche allein in der Form von Aktiengesellschaften betrieben werden dürfen. Zunächst zeigte sich das wunderliche Schauspiel, daß schon hier die Meinungen weit auseinander gingen, denn die einen wollten alle öffentlichen Unternehmungen dem Staate, den Kreisen und Gemeinden vindiziren und die übrigen für die Aktiengesellschaften vorbehalten, die andern kamen gerade zu dem entgegengesetzten Resultat. Aber gesetzt auch, es ließe sich hier eine Einigung erzielen, so zeigt sich doch ein solcher Vorschlag praktisch unausführbar. Wo läßt sich die Gesetzesformel finden, nach welcher mit Sicherheit entschieden werden kann, ob eine Unternehmung dem öffentlichen oder gemeinen Nutzen dient, nach welcher der Gesellschaftszweck genau präzisirt werden kann? Das sind Utopien, und wer sie aufstellt, ohne in präzisirter Formel die Ausführbarkeit zu suchen, wird dem Vorwurf des Charlatcms nicht entgehen können. Mußte also die Aktiengesellschaft beibehalten werden, so war die Frage nach der Reform des bestehenden Rechts eine umso dringendere geworden. Denn das bestehende Gesetz erschien als der sichtbare Prügelknabe des Krachs. In der That entziehen sich die einzelnen Ursachen der Krisis einer greifbaren Kritik; der Aufschwung des politischen Lebens, die größere Entfaltung der Macht des Staates, der Niedergang Frankreichs, der Milliardensegen des Krieges und die ins maßlose betriebene Produktion und Spekulation, die Geldgier auf der einen, der Leichtsinn und die Thorheit auf der andern Seite — das alles sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/286>, abgerufen am 28.07.2024.