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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini,

sie, daß ihre Plätze neben einem jungen Paare freigebliebcn waren. Der Arzt
ging auf dasselbe zu und mit einer Schnelligkeit, noch ehe sich die Beteiligten
näher ins Ange fassen konnten, stellte er den Maler Oswald Hertel dem Herrn
und Frau van Köller vor. In letzterer erkannte Oswald -- Margarete
Genöve. Beide wechselten einen Blick glühenden Hasses, Margarete gewann
jedoch schnell ihre Fassung wieder und freute sich des Wiedersehens mit dem
Künstler, der, wie sie sehr laut ihrem Manne mitteilte, in frühern Jahren lange
Zeit eine Zierde des Salons ihrer Eltern gewesen sei. Oswald hatte auf die
hastige Anrede nur einsilbige Antworten. Er stürzte ein Glas Wein nach dem
andern hinunter und wurde dann so lustig und gesprächig, daß Herr Bankier
van Köller ans Amsterdam, der schon beschlossen hatte, der schlechten Ver¬
pflegung und armseligen Berge wegen Cortina zu verlassen, zur großen Über¬
raschung seiner Frau den Wagen abbestellte, um noch den Nachmittag mit ihrem
Berliner Freunde zusammenzuleben. Der Berliner Arzt, der seit zwei Jahren
mit seinem Sohne in Rom lebte, wußte von dem, was sich dereinst zwischen
Margarete und Oswald abgespielt hatte, kein Wort. Die Tischgenossen machten
einen gemeinsamen Ausflug, während dessen Margarete, die anfangs Zärtlich¬
keiten über Zärtlichkeiten an ihren sich stets gelangweilt fühlenden Gatten ver¬
schwendet hatte, bald zurückblieb und von den übrigen getrennt an Oswalds Seite
ging. Sie meinte, daß sie beide heute des höchsten Preises wert wären, und rühmte es
als ein Zeichen guter Gesittung, daß sie alle die kleinen Differenzen aus der Heimat
hier in der Fremde vergessen hätten, namentlich sie selbst, die -- wovon frei¬
lich ihr Mann keine Ahnung habe --, so arg durch Oswalds Bild kompro-
mittirt worden sei. Oswald erwiederte hierauf nichts, sondern fragte nur, ob
sie sich an der Seite ihres Gatten glücklich fände. Margarete bemerkte lachend,
daß sie vorläufig noch auf dem Wege zu ihrem Glücke sei, letzteres aber be¬
stimmt in dem glänzenden Palaste ihres Gatten und in dem Komfort eines
reichen Lebens zu finden hoffe. Ich habe mich eigentlich, so fuhr sie fort, nicht
so leicht zu der Heirat entschlossen, da ich -- und hier traf ein koketter Blick
Oswalds Augen -- einen gewissen Freund, der sich freilich sehr undankbar und
häßlich benommen hat, nicht so leicht habe vergessen können. Aber zuletzt ist
es doch für ein Mädchen das ärgste, sitzen zu bleiben und als alte Jungfer
sich mit Krankenpflege und Kanarienvögeln oder Katzen zu beschäftigen. Das
hat mir namentlich Mama im vergangenen Sonnner in Scheveningen eindring¬
lich vorgestellt, und so habe ich mir ein Herz gefaßt, dem Bankier van Köller,
der sich in diesem Bade, wahrscheinlich auf Bestellung der Eltern, sehr um mich
bemühte, die Hand zu reichen, womit freilich noch der Besitz des Herzens nicht
verbunden ist. In dem sitzt immer noch im Winkelchen ein wilder, ungestümer
Freund.

Auch ich bin auf dem Wege nach dem Glücke, erwiederte Oswald, durch
diese frivole Rede gereizt, aber ich werde vorsichtiger als Sie, meine Gnädige,


Francesca von Rimini,

sie, daß ihre Plätze neben einem jungen Paare freigebliebcn waren. Der Arzt
ging auf dasselbe zu und mit einer Schnelligkeit, noch ehe sich die Beteiligten
näher ins Ange fassen konnten, stellte er den Maler Oswald Hertel dem Herrn
und Frau van Köller vor. In letzterer erkannte Oswald — Margarete
Genöve. Beide wechselten einen Blick glühenden Hasses, Margarete gewann
jedoch schnell ihre Fassung wieder und freute sich des Wiedersehens mit dem
Künstler, der, wie sie sehr laut ihrem Manne mitteilte, in frühern Jahren lange
Zeit eine Zierde des Salons ihrer Eltern gewesen sei. Oswald hatte auf die
hastige Anrede nur einsilbige Antworten. Er stürzte ein Glas Wein nach dem
andern hinunter und wurde dann so lustig und gesprächig, daß Herr Bankier
van Köller ans Amsterdam, der schon beschlossen hatte, der schlechten Ver¬
pflegung und armseligen Berge wegen Cortina zu verlassen, zur großen Über¬
raschung seiner Frau den Wagen abbestellte, um noch den Nachmittag mit ihrem
Berliner Freunde zusammenzuleben. Der Berliner Arzt, der seit zwei Jahren
mit seinem Sohne in Rom lebte, wußte von dem, was sich dereinst zwischen
Margarete und Oswald abgespielt hatte, kein Wort. Die Tischgenossen machten
einen gemeinsamen Ausflug, während dessen Margarete, die anfangs Zärtlich¬
keiten über Zärtlichkeiten an ihren sich stets gelangweilt fühlenden Gatten ver¬
schwendet hatte, bald zurückblieb und von den übrigen getrennt an Oswalds Seite
ging. Sie meinte, daß sie beide heute des höchsten Preises wert wären, und rühmte es
als ein Zeichen guter Gesittung, daß sie alle die kleinen Differenzen aus der Heimat
hier in der Fremde vergessen hätten, namentlich sie selbst, die — wovon frei¬
lich ihr Mann keine Ahnung habe —, so arg durch Oswalds Bild kompro-
mittirt worden sei. Oswald erwiederte hierauf nichts, sondern fragte nur, ob
sie sich an der Seite ihres Gatten glücklich fände. Margarete bemerkte lachend,
daß sie vorläufig noch auf dem Wege zu ihrem Glücke sei, letzteres aber be¬
stimmt in dem glänzenden Palaste ihres Gatten und in dem Komfort eines
reichen Lebens zu finden hoffe. Ich habe mich eigentlich, so fuhr sie fort, nicht
so leicht zu der Heirat entschlossen, da ich — und hier traf ein koketter Blick
Oswalds Augen — einen gewissen Freund, der sich freilich sehr undankbar und
häßlich benommen hat, nicht so leicht habe vergessen können. Aber zuletzt ist
es doch für ein Mädchen das ärgste, sitzen zu bleiben und als alte Jungfer
sich mit Krankenpflege und Kanarienvögeln oder Katzen zu beschäftigen. Das
hat mir namentlich Mama im vergangenen Sonnner in Scheveningen eindring¬
lich vorgestellt, und so habe ich mir ein Herz gefaßt, dem Bankier van Köller,
der sich in diesem Bade, wahrscheinlich auf Bestellung der Eltern, sehr um mich
bemühte, die Hand zu reichen, womit freilich noch der Besitz des Herzens nicht
verbunden ist. In dem sitzt immer noch im Winkelchen ein wilder, ungestümer
Freund.

Auch ich bin auf dem Wege nach dem Glücke, erwiederte Oswald, durch
diese frivole Rede gereizt, aber ich werde vorsichtiger als Sie, meine Gnädige,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/272>, abgerufen am 28.07.2024.