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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Gedanken über Goethe.

Worte mit dem Liebsten, doch gereicht es ihr nicht zum Ruhm. Ju der Kammer
oben aber wird gesponnen:


Wenn unsereins am Spinnen war,
Uns nachts die Mutter nicht hinunterließ

sagt Lieschen; am Spinnrade finden wir auch Gretchen, "ut Brackenburg muß
Klarchen das Garn halten, indes die Mutter strickend dabei sitzt. Aber auch
das Spinnen geschieht nur in freien Stunden, und diese sind selten, denn im
Hause giebt es viel zu thun. Das Mädchen muß überall Hand anlegen, muß
kochen, fegen, nähen, nachts das kleine Schwesterlein wiegen und zum Schweigen
bringen, am Waschtrog stehen; dies erzählt uns Gretchen selbst, und doch haben
sie sich nicht gerade einzuschränken, denn der Vater hinterließ ein hübsch Ver¬
mögen. Auch Dora trägt selbst die Früchte zu Markt, Dorothea ist zu jeder
Arbeit geschickt und verdingt sich sogar als Magd, und was das auf sich hat,
hält ihr der Pfarrer mit beredtem Munde vor, Hermanns Mutter bringt selbst
den Wein und die Gläser auf den Tisch u. s. w. Damit hängt es zusammen,
daß in "Hermann und Dorothea" die Bürgerfamilie sich den armen Flüchtlingen
gegenüber nicht mit einem Beitrag an Geld abfindet, also einer Hilfleistung in
üvstraoto: sie sendet den Überfluß der Wirtschaft, Leinwand und Kleider, Bier,
Schinken und Brot und läßt deu Notleidenden also unmittelbar teilnehmen an
der eignen Wohlhabenheit. "Denn seht," sagt auch der Brautvater im "Götz,"
eines Haus und Hof steht gut, aber wo soll baar Geld herkommen?" So ent¬
nimmt der echte Bürger auch seine Bedürfnisse nicht gern für Geld dem Laden,
er bäckt sein eigen Brot, gewinnt seine Wäsche aus eignem Flachs und mästet
das Schwein selbst, das ihm den Schinken und die Würste liefert. Ist das
Erzeugnis der eignen Arbeit auch nicht immer so vollkommen, wie die aus
großen Anstalten bezogene Waare, so ist es doch lauter und echt, nicht bloß
scheinbar, auch nicht vermengt und gefälscht. Und auch besser schmeckt es und
trägt sich besser, denn die Erinnerung an die eigne Mühe, an manche aufge¬
wandte Kunst und Fertigkeit haftet daran.

(Schluß folgt.)




Grenzboten IV. 1333.
Gedanken über Goethe.

Worte mit dem Liebsten, doch gereicht es ihr nicht zum Ruhm. Ju der Kammer
oben aber wird gesponnen:


Wenn unsereins am Spinnen war,
Uns nachts die Mutter nicht hinunterließ

sagt Lieschen; am Spinnrade finden wir auch Gretchen, »ut Brackenburg muß
Klarchen das Garn halten, indes die Mutter strickend dabei sitzt. Aber auch
das Spinnen geschieht nur in freien Stunden, und diese sind selten, denn im
Hause giebt es viel zu thun. Das Mädchen muß überall Hand anlegen, muß
kochen, fegen, nähen, nachts das kleine Schwesterlein wiegen und zum Schweigen
bringen, am Waschtrog stehen; dies erzählt uns Gretchen selbst, und doch haben
sie sich nicht gerade einzuschränken, denn der Vater hinterließ ein hübsch Ver¬
mögen. Auch Dora trägt selbst die Früchte zu Markt, Dorothea ist zu jeder
Arbeit geschickt und verdingt sich sogar als Magd, und was das auf sich hat,
hält ihr der Pfarrer mit beredtem Munde vor, Hermanns Mutter bringt selbst
den Wein und die Gläser auf den Tisch u. s. w. Damit hängt es zusammen,
daß in „Hermann und Dorothea" die Bürgerfamilie sich den armen Flüchtlingen
gegenüber nicht mit einem Beitrag an Geld abfindet, also einer Hilfleistung in
üvstraoto: sie sendet den Überfluß der Wirtschaft, Leinwand und Kleider, Bier,
Schinken und Brot und läßt deu Notleidenden also unmittelbar teilnehmen an
der eignen Wohlhabenheit. „Denn seht," sagt auch der Brautvater im „Götz,"
eines Haus und Hof steht gut, aber wo soll baar Geld herkommen?" So ent¬
nimmt der echte Bürger auch seine Bedürfnisse nicht gern für Geld dem Laden,
er bäckt sein eigen Brot, gewinnt seine Wäsche aus eignem Flachs und mästet
das Schwein selbst, das ihm den Schinken und die Würste liefert. Ist das
Erzeugnis der eignen Arbeit auch nicht immer so vollkommen, wie die aus
großen Anstalten bezogene Waare, so ist es doch lauter und echt, nicht bloß
scheinbar, auch nicht vermengt und gefälscht. Und auch besser schmeckt es und
trägt sich besser, denn die Erinnerung an die eigne Mühe, an manche aufge¬
wandte Kunst und Fertigkeit haftet daran.

(Schluß folgt.)




Grenzboten IV. 1333.
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[0267] Gedanken über Goethe. Worte mit dem Liebsten, doch gereicht es ihr nicht zum Ruhm. Ju der Kammer oben aber wird gesponnen: Wenn unsereins am Spinnen war, Uns nachts die Mutter nicht hinunterließ sagt Lieschen; am Spinnrade finden wir auch Gretchen, »ut Brackenburg muß Klarchen das Garn halten, indes die Mutter strickend dabei sitzt. Aber auch das Spinnen geschieht nur in freien Stunden, und diese sind selten, denn im Hause giebt es viel zu thun. Das Mädchen muß überall Hand anlegen, muß kochen, fegen, nähen, nachts das kleine Schwesterlein wiegen und zum Schweigen bringen, am Waschtrog stehen; dies erzählt uns Gretchen selbst, und doch haben sie sich nicht gerade einzuschränken, denn der Vater hinterließ ein hübsch Ver¬ mögen. Auch Dora trägt selbst die Früchte zu Markt, Dorothea ist zu jeder Arbeit geschickt und verdingt sich sogar als Magd, und was das auf sich hat, hält ihr der Pfarrer mit beredtem Munde vor, Hermanns Mutter bringt selbst den Wein und die Gläser auf den Tisch u. s. w. Damit hängt es zusammen, daß in „Hermann und Dorothea" die Bürgerfamilie sich den armen Flüchtlingen gegenüber nicht mit einem Beitrag an Geld abfindet, also einer Hilfleistung in üvstraoto: sie sendet den Überfluß der Wirtschaft, Leinwand und Kleider, Bier, Schinken und Brot und läßt deu Notleidenden also unmittelbar teilnehmen an der eignen Wohlhabenheit. „Denn seht," sagt auch der Brautvater im „Götz," eines Haus und Hof steht gut, aber wo soll baar Geld herkommen?" So ent¬ nimmt der echte Bürger auch seine Bedürfnisse nicht gern für Geld dem Laden, er bäckt sein eigen Brot, gewinnt seine Wäsche aus eignem Flachs und mästet das Schwein selbst, das ihm den Schinken und die Würste liefert. Ist das Erzeugnis der eignen Arbeit auch nicht immer so vollkommen, wie die aus großen Anstalten bezogene Waare, so ist es doch lauter und echt, nicht bloß scheinbar, auch nicht vermengt und gefälscht. Und auch besser schmeckt es und trägt sich besser, denn die Erinnerung an die eigne Mühe, an manche aufge¬ wandte Kunst und Fertigkeit haftet daran. (Schluß folgt.) Grenzboten IV. 1333.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/267>, abgerufen am 28.07.2024.