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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Gedanken über Goethe.

Füßen, sondern in stiller Kammer hat er sich einsam gefühlt, die Geschäfte sind
ihm öde erschienen, der Vater wird alt, die Habe mehrt sich -- für wen schaffen
und sich mühen? Er entbehrte der Gattin, er sehnte sich nach einer Lebens¬
gefährtin. In solcher Stimmung begegnete er Dorvtheen; er sah sie am Wagen
in froher Gewandtheit,


sah die Starke des Arms und die volle Gesundheit der Glieder,

vernahm ihre verständigen Worte, und mit reinem Gefühl ist er im Augenblick
entschieden, und seine Neigung ist so herzlich, daß sie sicherlich durch ein blei¬
bendes häusliches Glück belohnt werden wird.

Hermann hatte in gehobener Rede die entschlossenen Völker gepriesen,
die für Gott und Herd gegen den Feind mit den Waffen einstehen, aber er
schließt doch mit den Worten: "Und wir erfreuten uns alle des Friedens." So
auch der Vater am Anfang des Gedichtes: "Müde schon sind die Streiter,"
sagt er und sieht mit ungeduldiger Freude dem erwünschten glücklichen Feste
entgegen, wo das Tedeum in der Kirche den Frieden verkündigt und die Ge¬
meinde dem Himmel ihren Dank dafür darbringt. Und was anders ist der
Sinn der ganzen Dichtung von Hermann und Dorothea, als daß in wilder
Zeit, in der Auflösung alles Gewordenen, doch die heilende Naturkraft sich be¬
währt und in Haus und Besitz, in Stiftung der Familie, in begrenztem Dasein
und wiederkehrender, sich bescheidender Thätigkeit die ewige Ordnung unzerstörbar
ist? So sagt der Pfarrer:


Aber jener ist mir auch wert, der ruhige Bürger,
Der sei" väterlich Erbe mit stillen Schritte" umgehet
Und die Erde besorgt, so wie es die Stunden gebieten. --
Glücklich, wem die Natur ein so gestimmtes Gemüt gab!

Und in demselben Sinne die Mutter zu Hermann:


Denn es ist deine Bestimmung, so wacker und brav du auch sonst bist,
Wohl zu verwahren das Haus und stille das Feld zu besorgen.

Der Krieg ist ein Übel, und er bleibe fern von uns:


Doch nur zu Hause bleibs beim Alten --

aber wie es süß ist, vom Hafen Schiffbrüchige zu sehen, so giebt es nichts
besseres, als an Sonn- und Feiertagen (in der Woche ist keine Zeit dazu) bei
dem Kruge Bier oder dem Glase Wein über die Absichten der Fürsten und den
Marsch der Armeen weise Meinungen auszutauschen und, wenn dies mit Hitze
geschehen ist, abends ruhig nach Hause zu gehen und Fried und Friedenszeiten
zu segnen. Besonders reich an Zügen bürgerlicher Politik ist "Egmont." "So
seid ihr Bürgersleute," ruft Bansen den ehrsamen Meistern Schneider, Zimmer¬
mann und Seifensieder zu, "ihr lebt nur so in den Tag hinein, und wie ihr
euer Gewerb von eueren Eltern überkommen habt, so laßt ihr auch das Regiment


Gedanken über Goethe.

Füßen, sondern in stiller Kammer hat er sich einsam gefühlt, die Geschäfte sind
ihm öde erschienen, der Vater wird alt, die Habe mehrt sich — für wen schaffen
und sich mühen? Er entbehrte der Gattin, er sehnte sich nach einer Lebens¬
gefährtin. In solcher Stimmung begegnete er Dorvtheen; er sah sie am Wagen
in froher Gewandtheit,


sah die Starke des Arms und die volle Gesundheit der Glieder,

vernahm ihre verständigen Worte, und mit reinem Gefühl ist er im Augenblick
entschieden, und seine Neigung ist so herzlich, daß sie sicherlich durch ein blei¬
bendes häusliches Glück belohnt werden wird.

Hermann hatte in gehobener Rede die entschlossenen Völker gepriesen,
die für Gott und Herd gegen den Feind mit den Waffen einstehen, aber er
schließt doch mit den Worten: „Und wir erfreuten uns alle des Friedens." So
auch der Vater am Anfang des Gedichtes: „Müde schon sind die Streiter,"
sagt er und sieht mit ungeduldiger Freude dem erwünschten glücklichen Feste
entgegen, wo das Tedeum in der Kirche den Frieden verkündigt und die Ge¬
meinde dem Himmel ihren Dank dafür darbringt. Und was anders ist der
Sinn der ganzen Dichtung von Hermann und Dorothea, als daß in wilder
Zeit, in der Auflösung alles Gewordenen, doch die heilende Naturkraft sich be¬
währt und in Haus und Besitz, in Stiftung der Familie, in begrenztem Dasein
und wiederkehrender, sich bescheidender Thätigkeit die ewige Ordnung unzerstörbar
ist? So sagt der Pfarrer:


Aber jener ist mir auch wert, der ruhige Bürger,
Der sei» väterlich Erbe mit stillen Schritte» umgehet
Und die Erde besorgt, so wie es die Stunden gebieten. —
Glücklich, wem die Natur ein so gestimmtes Gemüt gab!

Und in demselben Sinne die Mutter zu Hermann:


Denn es ist deine Bestimmung, so wacker und brav du auch sonst bist,
Wohl zu verwahren das Haus und stille das Feld zu besorgen.

Der Krieg ist ein Übel, und er bleibe fern von uns:


Doch nur zu Hause bleibs beim Alten —

aber wie es süß ist, vom Hafen Schiffbrüchige zu sehen, so giebt es nichts
besseres, als an Sonn- und Feiertagen (in der Woche ist keine Zeit dazu) bei
dem Kruge Bier oder dem Glase Wein über die Absichten der Fürsten und den
Marsch der Armeen weise Meinungen auszutauschen und, wenn dies mit Hitze
geschehen ist, abends ruhig nach Hause zu gehen und Fried und Friedenszeiten
zu segnen. Besonders reich an Zügen bürgerlicher Politik ist „Egmont." „So
seid ihr Bürgersleute," ruft Bansen den ehrsamen Meistern Schneider, Zimmer¬
mann und Seifensieder zu, „ihr lebt nur so in den Tag hinein, und wie ihr
euer Gewerb von eueren Eltern überkommen habt, so laßt ihr auch das Regiment


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/258>, abgerufen am 28.07.2024.