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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Gedanken über Goethe.

bändigt wird u. s, w. Und wie der Stier, so auch das Roß: Hermann ver¬
traut seine Hengste keinem andern, er schirrt sie selbst vor den Wagen, donnert
mit ihnen durch den Thorweg (et't'F<?D<7et s^>täov?rc>s), und wenn sie dann des
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stratus oder einer der andern epischen Wagenlenker. Dorothea ist auch herbe
wie Antigone und jede ungezähmte Jungfrau ("6^s), sie ist auch tapferund
streitbar, gleich der kämpfenden Amazone, und schlägt den rohen Feind nieder
("prete^e/^"); in friedlichem, schönem Geschäft aber kommt sie zu dem Quell,
den die Linden umstehe", schöpft und füllt ihre Krüge, beugt sich über, und der
Wasserspiegel giebt ihr Antlitz zurück, wie das ihres jungen Freundes -- eine
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den ungleichen Stufen, und Hermann fängt sie in den Armen auf, wie der rö¬
mische Jüngling die Sabinerin, die sich sträubt und windet und sich doch gern
rauben läßt, und der Dichter ruft selbst aus:


so stand er,
Starr wie ein Marmorbild, vom ernsten Willen gebändigt.

So verschmilzt auch in diesem Gedicht die plastische Anschauung und die grie¬
chische Sitte mit dem heutigen Dorfleben zu reiner Form der Menschlichkeit.
Schon die Romantiker empfanden dies: z. B. A. W. Schlegel in der Elegie
an Goethe:


Leib den Gestalten dein bildendes Wort, aus verbrüderten! Geiste
Freundlich zurückgestrahlt spiegle sich Kunst in der Kunst --

und Schellina. meinte im Jahre 1797, also wohl unter dem Eindruck, den er
von "Alexis und Dora" und "Hermann und Dorothea" empfangen, die Odyssee
sei Goethes Mutterboden, der Kommentar für ihn (f. Novalis' Briefwechsel mit
Fr. und A. W. Schlegel, S. 44 und 48). Ja die Personen des Gedichtes
scheinen selbst ein dunkles Bewußtsein ihrer typischen Art zu haben, so wenn
die Mutter ausruft: So sind die Männer! oder der Vater: Sind doch ein wunder¬
lich Volk die Weiber! oder wenn er klagt:


Muß ich doch heut erfahren, was jedem Vater gedroht ist --

Hermann, von seiner Liebe sprechend, äußert:


Ja es löset die Liebe, das fühl' ich, jegliche Baude,
Wenn sie die ihrigen knüpft --

Gedanken über Goethe.

bändigt wird u. s, w. Und wie der Stier, so auch das Roß: Hermann ver¬
traut seine Hengste keinem andern, er schirrt sie selbst vor den Wagen, donnert
mit ihnen durch den Thorweg (et't'F<?D<7et s^>täov?rc>s), und wenn sie dann des
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stratus oder einer der andern epischen Wagenlenker. Dorothea ist auch herbe
wie Antigone und jede ungezähmte Jungfrau («6^s), sie ist auch tapferund
streitbar, gleich der kämpfenden Amazone, und schlägt den rohen Feind nieder
(«prete^e/^«); in friedlichem, schönem Geschäft aber kommt sie zu dem Quell,
den die Linden umstehe», schöpft und füllt ihre Krüge, beugt sich über, und der
Wasserspiegel giebt ihr Antlitz zurück, wie das ihres jungen Freundes — eine
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so stand er,
Starr wie ein Marmorbild, vom ernsten Willen gebändigt.

So verschmilzt auch in diesem Gedicht die plastische Anschauung und die grie¬
chische Sitte mit dem heutigen Dorfleben zu reiner Form der Menschlichkeit.
Schon die Romantiker empfanden dies: z. B. A. W. Schlegel in der Elegie
an Goethe:


Leib den Gestalten dein bildendes Wort, aus verbrüderten! Geiste
Freundlich zurückgestrahlt spiegle sich Kunst in der Kunst —

und Schellina. meinte im Jahre 1797, also wohl unter dem Eindruck, den er
von „Alexis und Dora" und „Hermann und Dorothea" empfangen, die Odyssee
sei Goethes Mutterboden, der Kommentar für ihn (f. Novalis' Briefwechsel mit
Fr. und A. W. Schlegel, S. 44 und 48). Ja die Personen des Gedichtes
scheinen selbst ein dunkles Bewußtsein ihrer typischen Art zu haben, so wenn
die Mutter ausruft: So sind die Männer! oder der Vater: Sind doch ein wunder¬
lich Volk die Weiber! oder wenn er klagt:


Muß ich doch heut erfahren, was jedem Vater gedroht ist —

Hermann, von seiner Liebe sprechend, äußert:


Ja es löset die Liebe, das fühl' ich, jegliche Baude,
Wenn sie die ihrigen knüpft —

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[0024] Gedanken über Goethe. bändigt wird u. s, w. Und wie der Stier, so auch das Roß: Hermann ver¬ traut seine Hengste keinem andern, er schirrt sie selbst vor den Wagen, donnert mit ihnen durch den Thorweg (et't'F<?D<7et s^>täov?rc>s), und wenn sie dann des Weges dahinrennen, quillt der Staub unter den mächtigen Hufen lxov/^ r^v c^c?«v 6^6vo?rot nMeg t^r/rcov), und er selbst erscheint als Automedon oder Pisi- stratus oder einer der andern epischen Wagenlenker. Dorothea ist auch herbe wie Antigone und jede ungezähmte Jungfrau («6^s), sie ist auch tapferund streitbar, gleich der kämpfenden Amazone, und schlägt den rohen Feind nieder («prete^e/^«); in friedlichem, schönem Geschäft aber kommt sie zu dem Quell, den die Linden umstehe», schöpft und füllt ihre Krüge, beugt sich über, und der Wasserspiegel giebt ihr Antlitz zurück, wie das ihres jungen Freundes — eine Brunnenszene, uralt und von heitern, reinen Linien, ein Brunnen, lieblich wie der auf Ithaka (x^^ x«),).^von,', «^t<jvt ö'«^> «t/^c-lo v6«?or^ef/>^c,^ oÄ<?os); dann wandeln beide, die Jungfrau und der Jüngling (Tra^Sev»-,- ^eos 5«), den Gang durch den Weinberg, bei sinkender Sonne, im Scheine des Vollmondes, unter drohenden Gewitterwolken, ruhen eine Weile unter dem Dache des Birnbaums, und Dorothea, dnrch den dunkelnden Pfad (<?v»?e5o ^6^,ox vAtö^vro ^«er««, «/vt«/) die Schritte verdoppelnd, strauchelt auf den ungleichen Stufen, und Hermann fängt sie in den Armen auf, wie der rö¬ mische Jüngling die Sabinerin, die sich sträubt und windet und sich doch gern rauben läßt, und der Dichter ruft selbst aus: so stand er, Starr wie ein Marmorbild, vom ernsten Willen gebändigt. So verschmilzt auch in diesem Gedicht die plastische Anschauung und die grie¬ chische Sitte mit dem heutigen Dorfleben zu reiner Form der Menschlichkeit. Schon die Romantiker empfanden dies: z. B. A. W. Schlegel in der Elegie an Goethe: Leib den Gestalten dein bildendes Wort, aus verbrüderten! Geiste Freundlich zurückgestrahlt spiegle sich Kunst in der Kunst — und Schellina. meinte im Jahre 1797, also wohl unter dem Eindruck, den er von „Alexis und Dora" und „Hermann und Dorothea" empfangen, die Odyssee sei Goethes Mutterboden, der Kommentar für ihn (f. Novalis' Briefwechsel mit Fr. und A. W. Schlegel, S. 44 und 48). Ja die Personen des Gedichtes scheinen selbst ein dunkles Bewußtsein ihrer typischen Art zu haben, so wenn die Mutter ausruft: So sind die Männer! oder der Vater: Sind doch ein wunder¬ lich Volk die Weiber! oder wenn er klagt: Muß ich doch heut erfahren, was jedem Vater gedroht ist — Hermann, von seiner Liebe sprechend, äußert: Ja es löset die Liebe, das fühl' ich, jegliche Baude, Wenn sie die ihrigen knüpft —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/24>, abgerufen am 27.07.2024.