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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Truppen des Nordkvrps verschwinden von der Vildflächc. Sie würden freilich in
einem ernsten Gefecht schwerlich entkommen sein; durch die Zwischenräume der
Infanterie jagt die Kavallerie zur Verfolgung hindurch, mehrere Batterien des¬
gleichen, sie protzen ab und geben den Geleitgruß.

Wie unähnlich ist ein solches Gefecht den Schlachten der alten Schule,
die ihre ganze Sorgfalt darauf wendete, das Zentrum stark und undurchbrechbar
zu machen, andrerseits beim Angriffe gewaltige Massen auf einen Punkt zu
werfen! Bei der furchtbaren Wirkung des gegenwärtigen Schnellfeuers läßt
sich mit Gewalt nichts mehr erzwingen. Es kommt darauf um, an entscheidenden
Stellen mit überwältigender Übermacht zu erscheinen; es müssen soviel kommen,
daß sie in der Eile garnicht alle totgeschossen werden können. Diese entscheidenden
Stellen sind die Flanken. Es kommt darum für das Gelingen -- wie beim
Schach -- alles auf ein wohldurchdachtes und glückliches Erösfnungsspiel an.

Dies Spiel wird jedoch blindlings, gleichsam mit verdecktem Brette gespielt,
die Gegner treffen aufeinander, nicht an festgesetzten Punkten, sondern nicht
selten ohne auch nur die Richtung und Ausdehnung ihrer Fronten zu kennen.
Daraus erhellt, wie wichtig trotz der Stärke der Infanteriewaffe für die gegen¬
wärtige Kriegführung gerade die Reiterei ist. Ein nicht gut ausgefallener
Aufklärungsdienst kann für den weiteren Verlauf verhängnisvoll werden und
die überraschendsten Resultate herbeiführen, wie es am 19. September in der
That der Fall war.

An diesem Tage manvvrirten die beiden Divisionen gegen einander. Die
siebente hatte bei Roßbach, die achte an der Unstrut bei Freiburg biwackirt. Es
war als das wahrscheinliche Resultat angenommen, daß die siebente Division
die achte zurückwerfen, zum Übergang über die Saale bei Naumburg zwingen
und darnach selbst die Saale bei Uichtritz nächst Weißenfels überschreiten würde.
Die Brücke bei Uichtritz war, wie üblich, bereits im voraus geschlagen und
wurde von einem Bataillon des 27. Regiments und Ulanen gedeckt; es blieb
zum Übergange "ur noch nötig, die achte Division zurückzuwerfen. Aber es kam
anders.

Wieder haben wir den Höhenzug von Pettstedt vor uns, aber diesmal
von der entgegengesetzten Seite. Auf dem Kamme läuft die schon neulich ge¬
sehene Baumallee. Gerade vor uns liegt ein einsames Wirtshaus, das sogenannte
Luftschiff. Auf der jenseitigen Roßbach-Pettstedter Chaussee ist der Anmarsch
der siebenten Division zu erwarten. Aber wo steckt die achte? Von der Haupt-
Höhe des Luftschiffes aus ziehen sich in schräger Richtung auf die Saale zu mehrere
Parallele Bodenwellen. Das unsern Standort von dem Hauptkammc trennende
Thal beginnt links vor uns als flache Mulde und läuft, sich vertiefend, bei Uichtritz
aus. Hinter uns in einem Pamllelthale liegt Markrölitz, noch weiter zurück
auf weit sichtbarer Höhe Goseck. In das Thal zwischen Markrölitz und Goscck
kann vom Luftschiffe aus trotz der größern Höhe nicht hineingesehen werden;


Truppen des Nordkvrps verschwinden von der Vildflächc. Sie würden freilich in
einem ernsten Gefecht schwerlich entkommen sein; durch die Zwischenräume der
Infanterie jagt die Kavallerie zur Verfolgung hindurch, mehrere Batterien des¬
gleichen, sie protzen ab und geben den Geleitgruß.

Wie unähnlich ist ein solches Gefecht den Schlachten der alten Schule,
die ihre ganze Sorgfalt darauf wendete, das Zentrum stark und undurchbrechbar
zu machen, andrerseits beim Angriffe gewaltige Massen auf einen Punkt zu
werfen! Bei der furchtbaren Wirkung des gegenwärtigen Schnellfeuers läßt
sich mit Gewalt nichts mehr erzwingen. Es kommt darauf um, an entscheidenden
Stellen mit überwältigender Übermacht zu erscheinen; es müssen soviel kommen,
daß sie in der Eile garnicht alle totgeschossen werden können. Diese entscheidenden
Stellen sind die Flanken. Es kommt darum für das Gelingen — wie beim
Schach — alles auf ein wohldurchdachtes und glückliches Erösfnungsspiel an.

Dies Spiel wird jedoch blindlings, gleichsam mit verdecktem Brette gespielt,
die Gegner treffen aufeinander, nicht an festgesetzten Punkten, sondern nicht
selten ohne auch nur die Richtung und Ausdehnung ihrer Fronten zu kennen.
Daraus erhellt, wie wichtig trotz der Stärke der Infanteriewaffe für die gegen¬
wärtige Kriegführung gerade die Reiterei ist. Ein nicht gut ausgefallener
Aufklärungsdienst kann für den weiteren Verlauf verhängnisvoll werden und
die überraschendsten Resultate herbeiführen, wie es am 19. September in der
That der Fall war.

An diesem Tage manvvrirten die beiden Divisionen gegen einander. Die
siebente hatte bei Roßbach, die achte an der Unstrut bei Freiburg biwackirt. Es
war als das wahrscheinliche Resultat angenommen, daß die siebente Division
die achte zurückwerfen, zum Übergang über die Saale bei Naumburg zwingen
und darnach selbst die Saale bei Uichtritz nächst Weißenfels überschreiten würde.
Die Brücke bei Uichtritz war, wie üblich, bereits im voraus geschlagen und
wurde von einem Bataillon des 27. Regiments und Ulanen gedeckt; es blieb
zum Übergange »ur noch nötig, die achte Division zurückzuwerfen. Aber es kam
anders.

Wieder haben wir den Höhenzug von Pettstedt vor uns, aber diesmal
von der entgegengesetzten Seite. Auf dem Kamme läuft die schon neulich ge¬
sehene Baumallee. Gerade vor uns liegt ein einsames Wirtshaus, das sogenannte
Luftschiff. Auf der jenseitigen Roßbach-Pettstedter Chaussee ist der Anmarsch
der siebenten Division zu erwarten. Aber wo steckt die achte? Von der Haupt-
Höhe des Luftschiffes aus ziehen sich in schräger Richtung auf die Saale zu mehrere
Parallele Bodenwellen. Das unsern Standort von dem Hauptkammc trennende
Thal beginnt links vor uns als flache Mulde und läuft, sich vertiefend, bei Uichtritz
aus. Hinter uns in einem Pamllelthale liegt Markrölitz, noch weiter zurück
auf weit sichtbarer Höhe Goseck. In das Thal zwischen Markrölitz und Goscck
kann vom Luftschiffe aus trotz der größern Höhe nicht hineingesehen werden;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/233>, abgerufen am 01.09.2024.