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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Aus den Thüringer Manövertagen.

die Karte in der Hand haltend, angejagt: "Ist das Luustedt?" -- "Nein," --
"Was denn?" -- "Das ist Nahlendorf." Die vorderste Häuserreihe heißt
nämlich allerdings in der Katasterrolle Nallendorf, was ein Schulmeister wissen
muß. Gleich daraus kommt ein andrer angesprengt: "Ist das Lunstedt?" --
"Jawohl," rapportirt ein dabeistehender alter Landstürmler. -- "Wenns wahr
ist," setzt unser Schulmeister hinzu, -- "Das ist nicht Luustedt?" -- "Nein,
Nahlendorf," Kluge Leute, die Schulmeister!

Nichts ist gefährlicher, als einen Standpunkt zu wählen und zu behaupten:
Hier muß das Manöver herkommen. Ist es doch selbst demi kommandirende"
General begegnet, daß er seine Freunde falsch dirigirte, weil das Gefecht eine"
andern Gang genommen hatte, als man zuvor annahm. Da hatte sich nun
am letzten Manövertage die Meinung gebildet, daß ein Übergang über die Saale
stattfinden würde. Der Übergang hatte zwar schon am Tage zuvor statt¬
gefunden, und das Manöver hatte sich bereits auf Naumburg zu gezogen; das
hinderte aber nicht, daß Tausende an diesem Tage auf einem Berge des Saal¬
randes standen und den ganzen Tag über weder den Kaiser noch einen Sol¬
daten, sondern nur eine einsame Schiffbrücke sahen.

Eine Neueinrichtung waren die Armcegcndarmen, d. h. die Vermehrung
derselben durch Kavallerieunteroffiziere. Die mit großen Vollmachten aus¬
gerüsteten Herrn Sergeanten hatten sichtlich an ihrer neuen Würde schwer zu
tragen und trugen selbst zur Annehmlichkeit des Tages wenig bei. Ein grober
Gendarm, welcher die Leute aus den Kartoffeln jagt, mag angehen, ist am
Ende in der Ordnung, aber ein Gendarm, der die Gönuermiene aufsteckt, dem
Publikum strategische "Weisungen erteilt" und mit der Kraft seines Amtes unter¬
stützt, ist nicht mehr schön zu nennen. Übrigens war der große Apparat den
paar hundert Menschen gegenüber, die sich auf dem Manöverterrain befanden
und sich durchweg anständig betrugen, kaum nötig. Aber köstlich war der Moment,
wie einer von den Herren Gendarmen den Stadtrat S. wutschnaubend ans
seinem eignen Rübenfelde hinausjagte. Seitdem entstand die Schwierigkeit, daß
jeder erst examinirt werden mußte, ehe man ihn zum Teufel schickte.

Der Kaiser hat sich wiederholt höchst anerkennend über die Leistungen der
Infanterie ausgesprochen. Man hat aber auch von ihr sehr viel verlangt. Der
schlimmste Tag dürfte das Korpsmanöver vom 15. September gewesen sein,
welches auf dem historischen Schlachtfelde von Roßbach gegen einen markirten
Feind ausgeführt wurde. Natürlich vermutete man im Publikum eine Auf¬
führung der Schlacht von 1757; aber um solche Schaustellungen handelt es sich
bei den deutschen Manövern bekanntlich nicht, sondern um sehr reale Dinge.
Bei einem Korps-Gefechtexerziercn sind die Bewegungen allerdings im voraus
bestimmt, dafür giebt es aber auch das Bild eines Norinalgcfechtes. Das vor¬
stehend erwähnte ging nach dem Paradigma der Schlacht von Sedan, das heißt:
eine lange, durch die natürliche Position geschlitzte Artillerielinie im Zentrum,


Aus den Thüringer Manövertagen.

die Karte in der Hand haltend, angejagt: „Ist das Luustedt?" — „Nein," —
„Was denn?" — „Das ist Nahlendorf." Die vorderste Häuserreihe heißt
nämlich allerdings in der Katasterrolle Nallendorf, was ein Schulmeister wissen
muß. Gleich daraus kommt ein andrer angesprengt: „Ist das Lunstedt?" —
„Jawohl," rapportirt ein dabeistehender alter Landstürmler. — „Wenns wahr
ist," setzt unser Schulmeister hinzu, — „Das ist nicht Luustedt?" — „Nein,
Nahlendorf," Kluge Leute, die Schulmeister!

Nichts ist gefährlicher, als einen Standpunkt zu wählen und zu behaupten:
Hier muß das Manöver herkommen. Ist es doch selbst demi kommandirende»
General begegnet, daß er seine Freunde falsch dirigirte, weil das Gefecht eine»
andern Gang genommen hatte, als man zuvor annahm. Da hatte sich nun
am letzten Manövertage die Meinung gebildet, daß ein Übergang über die Saale
stattfinden würde. Der Übergang hatte zwar schon am Tage zuvor statt¬
gefunden, und das Manöver hatte sich bereits auf Naumburg zu gezogen; das
hinderte aber nicht, daß Tausende an diesem Tage auf einem Berge des Saal¬
randes standen und den ganzen Tag über weder den Kaiser noch einen Sol¬
daten, sondern nur eine einsame Schiffbrücke sahen.

Eine Neueinrichtung waren die Armcegcndarmen, d. h. die Vermehrung
derselben durch Kavallerieunteroffiziere. Die mit großen Vollmachten aus¬
gerüsteten Herrn Sergeanten hatten sichtlich an ihrer neuen Würde schwer zu
tragen und trugen selbst zur Annehmlichkeit des Tages wenig bei. Ein grober
Gendarm, welcher die Leute aus den Kartoffeln jagt, mag angehen, ist am
Ende in der Ordnung, aber ein Gendarm, der die Gönuermiene aufsteckt, dem
Publikum strategische „Weisungen erteilt" und mit der Kraft seines Amtes unter¬
stützt, ist nicht mehr schön zu nennen. Übrigens war der große Apparat den
paar hundert Menschen gegenüber, die sich auf dem Manöverterrain befanden
und sich durchweg anständig betrugen, kaum nötig. Aber köstlich war der Moment,
wie einer von den Herren Gendarmen den Stadtrat S. wutschnaubend ans
seinem eignen Rübenfelde hinausjagte. Seitdem entstand die Schwierigkeit, daß
jeder erst examinirt werden mußte, ehe man ihn zum Teufel schickte.

Der Kaiser hat sich wiederholt höchst anerkennend über die Leistungen der
Infanterie ausgesprochen. Man hat aber auch von ihr sehr viel verlangt. Der
schlimmste Tag dürfte das Korpsmanöver vom 15. September gewesen sein,
welches auf dem historischen Schlachtfelde von Roßbach gegen einen markirten
Feind ausgeführt wurde. Natürlich vermutete man im Publikum eine Auf¬
führung der Schlacht von 1757; aber um solche Schaustellungen handelt es sich
bei den deutschen Manövern bekanntlich nicht, sondern um sehr reale Dinge.
Bei einem Korps-Gefechtexerziercn sind die Bewegungen allerdings im voraus
bestimmt, dafür giebt es aber auch das Bild eines Norinalgcfechtes. Das vor¬
stehend erwähnte ging nach dem Paradigma der Schlacht von Sedan, das heißt:
eine lange, durch die natürliche Position geschlitzte Artillerielinie im Zentrum,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/230>, abgerufen am 27.07.2024.