Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Publikationen der Berliner Museen.

Vorzug desselben verdient seine Beschränkung auf das Notwendigste umsomehr
anerkannt zu werden, als neuerdings gewisse Galeriedirektoren den Gemälde¬
sammlungen ihrer Vaterländer dadurch ein höheres Relief zu geben vermeinen,
daß sie Verzeichnisse derselben publiziren, welche noch den Umfang des schreck¬
lichen Louvrekatalogs übertreffen.

In Bezug auf die italienischen Meister sind die Untersuchungen von Crowe
und Cavalcaselle, welche lange genug auf diesem Gebiete als "Kunstpäostc"
galten, sorgfältig gegen diejenigen Morcllis abgewogen und dadurch manches
interessante Werk für die Galerie gewissermaßen neu gewonnen worden, indem
es dem richtigen Meister zugeschrieben wurde. Wir erwähnen nur die inter¬
essante kleine "Caritas," welche bisher für ein Werk des Architekten und Malers
Valdassare Peruzzi galt, jetzt aber mit vollem Recht als eine Arbeit des in
deutschen Galerien fast garnicht vertretenen Sodoma bezeichnet wird. Auch
mag hervorgehoben werden, daß der neue Katalog die schönen allegorischen
Deckengemälde aus dem Foudaco dei Tedeschi in Venedig ihrem wirklichen Ur¬
heber, Paolo Veronese, wieder zurückgiebt. Endlich hat sich auch der Verfasser
des Katalogs zu der Ansicht bekehrt, daß Raffacl am 6. April und nicht,
wie Vasari angiebt, am 28. März geboren ist. Anton Springer, welcher
auch in der zweiten Auflage seines "Raffael und Michelangelo" am 28. März
festhält, steht also in Bezug auf diese Frage mit den Jtalianissimi so ziemlich
allein da.

Die Bedeutung der Berliner Gemäldegalerie wird im übrigen Deutschland
und im Auslande allgemein dahin aufgefaßt, daß die Galerie arm an Meisterwerken
aus der Periode der Blütezeit sei, dafür aber instruktive Beispiele aus allen
Schulen enthalte, welche sie besonders zu kunstgeschichtlichen Studien geeignet
mache. Dieses Urteil hat bis zur Mitte der siebziger Jahre seine Richtigkeit
gehabt. Seit dieser Zeit aber ist eine so stattliche Reihe von Werken ersten
Ranges -- wir nennen nur die Meister Luca Signorelli, Tizian, Dürer, Frans
Hals, Rembrandt, Pieter de Hvoch, Claude Lorrain -- in die Galerie gekommen,
daß das Gleichgewicht zwischen ästhetischem Genuß und instruktivem Nutzen voll¬
kommen hergestellt worden ist. Mit seinen sechzehn Rembrandts, von denen
mehr als die Hälfte ersten Ranges ist, übertrifft die Berliner Sammlung bereits
die Dresdner, und selbst die Kasseler Galerie hat mit ihren zweiundzwanzig
Rembrandts nur das numerische Übergewicht. Was die Berliner Galerie aber
vor allen übrigen des Kontinents auszeichnet, ist ihre musterhafte Ausstellung,
die allerdings erst durch einen vollständigen Umbau erzielt werden konnte, wobei
die neuesten Erfahrungen in Bezug auf Beleuchtung und Dekoration von
Gemülderüumen verwertet worden sind. Durch diesen Umbau sind einerseits
große Oberlichtsäle geschaffen, in welchen die umfangreichsten Altarbilder eine
genügende Beleuchtung finden, andrerseits kleine Kabinette eingerichtet worden,
in welchen die Perlen der niederländischen Kleinmeister mit ruhigem Behagen


Die Publikationen der Berliner Museen.

Vorzug desselben verdient seine Beschränkung auf das Notwendigste umsomehr
anerkannt zu werden, als neuerdings gewisse Galeriedirektoren den Gemälde¬
sammlungen ihrer Vaterländer dadurch ein höheres Relief zu geben vermeinen,
daß sie Verzeichnisse derselben publiziren, welche noch den Umfang des schreck¬
lichen Louvrekatalogs übertreffen.

In Bezug auf die italienischen Meister sind die Untersuchungen von Crowe
und Cavalcaselle, welche lange genug auf diesem Gebiete als „Kunstpäostc"
galten, sorgfältig gegen diejenigen Morcllis abgewogen und dadurch manches
interessante Werk für die Galerie gewissermaßen neu gewonnen worden, indem
es dem richtigen Meister zugeschrieben wurde. Wir erwähnen nur die inter¬
essante kleine „Caritas," welche bisher für ein Werk des Architekten und Malers
Valdassare Peruzzi galt, jetzt aber mit vollem Recht als eine Arbeit des in
deutschen Galerien fast garnicht vertretenen Sodoma bezeichnet wird. Auch
mag hervorgehoben werden, daß der neue Katalog die schönen allegorischen
Deckengemälde aus dem Foudaco dei Tedeschi in Venedig ihrem wirklichen Ur¬
heber, Paolo Veronese, wieder zurückgiebt. Endlich hat sich auch der Verfasser
des Katalogs zu der Ansicht bekehrt, daß Raffacl am 6. April und nicht,
wie Vasari angiebt, am 28. März geboren ist. Anton Springer, welcher
auch in der zweiten Auflage seines „Raffael und Michelangelo" am 28. März
festhält, steht also in Bezug auf diese Frage mit den Jtalianissimi so ziemlich
allein da.

Die Bedeutung der Berliner Gemäldegalerie wird im übrigen Deutschland
und im Auslande allgemein dahin aufgefaßt, daß die Galerie arm an Meisterwerken
aus der Periode der Blütezeit sei, dafür aber instruktive Beispiele aus allen
Schulen enthalte, welche sie besonders zu kunstgeschichtlichen Studien geeignet
mache. Dieses Urteil hat bis zur Mitte der siebziger Jahre seine Richtigkeit
gehabt. Seit dieser Zeit aber ist eine so stattliche Reihe von Werken ersten
Ranges — wir nennen nur die Meister Luca Signorelli, Tizian, Dürer, Frans
Hals, Rembrandt, Pieter de Hvoch, Claude Lorrain — in die Galerie gekommen,
daß das Gleichgewicht zwischen ästhetischem Genuß und instruktivem Nutzen voll¬
kommen hergestellt worden ist. Mit seinen sechzehn Rembrandts, von denen
mehr als die Hälfte ersten Ranges ist, übertrifft die Berliner Sammlung bereits
die Dresdner, und selbst die Kasseler Galerie hat mit ihren zweiundzwanzig
Rembrandts nur das numerische Übergewicht. Was die Berliner Galerie aber
vor allen übrigen des Kontinents auszeichnet, ist ihre musterhafte Ausstellung,
die allerdings erst durch einen vollständigen Umbau erzielt werden konnte, wobei
die neuesten Erfahrungen in Bezug auf Beleuchtung und Dekoration von
Gemülderüumen verwertet worden sind. Durch diesen Umbau sind einerseits
große Oberlichtsäle geschaffen, in welchen die umfangreichsten Altarbilder eine
genügende Beleuchtung finden, andrerseits kleine Kabinette eingerichtet worden,
in welchen die Perlen der niederländischen Kleinmeister mit ruhigem Behagen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154374"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Publikationen der Berliner Museen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_580" prev="#ID_579"> Vorzug desselben verdient seine Beschränkung auf das Notwendigste umsomehr<lb/>
anerkannt zu werden, als neuerdings gewisse Galeriedirektoren den Gemälde¬<lb/>
sammlungen ihrer Vaterländer dadurch ein höheres Relief zu geben vermeinen,<lb/>
daß sie Verzeichnisse derselben publiziren, welche noch den Umfang des schreck¬<lb/>
lichen Louvrekatalogs übertreffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_581"> In Bezug auf die italienischen Meister sind die Untersuchungen von Crowe<lb/>
und Cavalcaselle, welche lange genug auf diesem Gebiete als &#x201E;Kunstpäostc"<lb/>
galten, sorgfältig gegen diejenigen Morcllis abgewogen und dadurch manches<lb/>
interessante Werk für die Galerie gewissermaßen neu gewonnen worden, indem<lb/>
es dem richtigen Meister zugeschrieben wurde. Wir erwähnen nur die inter¬<lb/>
essante kleine &#x201E;Caritas," welche bisher für ein Werk des Architekten und Malers<lb/>
Valdassare Peruzzi galt, jetzt aber mit vollem Recht als eine Arbeit des in<lb/>
deutschen Galerien fast garnicht vertretenen Sodoma bezeichnet wird. Auch<lb/>
mag hervorgehoben werden, daß der neue Katalog die schönen allegorischen<lb/>
Deckengemälde aus dem Foudaco dei Tedeschi in Venedig ihrem wirklichen Ur¬<lb/>
heber, Paolo Veronese, wieder zurückgiebt. Endlich hat sich auch der Verfasser<lb/>
des Katalogs zu der Ansicht bekehrt, daß Raffacl am 6. April und nicht,<lb/>
wie Vasari angiebt, am 28. März geboren ist. Anton Springer, welcher<lb/>
auch in der zweiten Auflage seines &#x201E;Raffael und Michelangelo" am 28. März<lb/>
festhält, steht also in Bezug auf diese Frage mit den Jtalianissimi so ziemlich<lb/>
allein da.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_582" next="#ID_583"> Die Bedeutung der Berliner Gemäldegalerie wird im übrigen Deutschland<lb/>
und im Auslande allgemein dahin aufgefaßt, daß die Galerie arm an Meisterwerken<lb/>
aus der Periode der Blütezeit sei, dafür aber instruktive Beispiele aus allen<lb/>
Schulen enthalte, welche sie besonders zu kunstgeschichtlichen Studien geeignet<lb/>
mache. Dieses Urteil hat bis zur Mitte der siebziger Jahre seine Richtigkeit<lb/>
gehabt. Seit dieser Zeit aber ist eine so stattliche Reihe von Werken ersten<lb/>
Ranges &#x2014; wir nennen nur die Meister Luca Signorelli, Tizian, Dürer, Frans<lb/>
Hals, Rembrandt, Pieter de Hvoch, Claude Lorrain &#x2014; in die Galerie gekommen,<lb/>
daß das Gleichgewicht zwischen ästhetischem Genuß und instruktivem Nutzen voll¬<lb/>
kommen hergestellt worden ist. Mit seinen sechzehn Rembrandts, von denen<lb/>
mehr als die Hälfte ersten Ranges ist, übertrifft die Berliner Sammlung bereits<lb/>
die Dresdner, und selbst die Kasseler Galerie hat mit ihren zweiundzwanzig<lb/>
Rembrandts nur das numerische Übergewicht. Was die Berliner Galerie aber<lb/>
vor allen übrigen des Kontinents auszeichnet, ist ihre musterhafte Ausstellung,<lb/>
die allerdings erst durch einen vollständigen Umbau erzielt werden konnte, wobei<lb/>
die neuesten Erfahrungen in Bezug auf Beleuchtung und Dekoration von<lb/>
Gemülderüumen verwertet worden sind. Durch diesen Umbau sind einerseits<lb/>
große Oberlichtsäle geschaffen, in welchen die umfangreichsten Altarbilder eine<lb/>
genügende Beleuchtung finden, andrerseits kleine Kabinette eingerichtet worden,<lb/>
in welchen die Perlen der niederländischen Kleinmeister mit ruhigem Behagen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0209] Die Publikationen der Berliner Museen. Vorzug desselben verdient seine Beschränkung auf das Notwendigste umsomehr anerkannt zu werden, als neuerdings gewisse Galeriedirektoren den Gemälde¬ sammlungen ihrer Vaterländer dadurch ein höheres Relief zu geben vermeinen, daß sie Verzeichnisse derselben publiziren, welche noch den Umfang des schreck¬ lichen Louvrekatalogs übertreffen. In Bezug auf die italienischen Meister sind die Untersuchungen von Crowe und Cavalcaselle, welche lange genug auf diesem Gebiete als „Kunstpäostc" galten, sorgfältig gegen diejenigen Morcllis abgewogen und dadurch manches interessante Werk für die Galerie gewissermaßen neu gewonnen worden, indem es dem richtigen Meister zugeschrieben wurde. Wir erwähnen nur die inter¬ essante kleine „Caritas," welche bisher für ein Werk des Architekten und Malers Valdassare Peruzzi galt, jetzt aber mit vollem Recht als eine Arbeit des in deutschen Galerien fast garnicht vertretenen Sodoma bezeichnet wird. Auch mag hervorgehoben werden, daß der neue Katalog die schönen allegorischen Deckengemälde aus dem Foudaco dei Tedeschi in Venedig ihrem wirklichen Ur¬ heber, Paolo Veronese, wieder zurückgiebt. Endlich hat sich auch der Verfasser des Katalogs zu der Ansicht bekehrt, daß Raffacl am 6. April und nicht, wie Vasari angiebt, am 28. März geboren ist. Anton Springer, welcher auch in der zweiten Auflage seines „Raffael und Michelangelo" am 28. März festhält, steht also in Bezug auf diese Frage mit den Jtalianissimi so ziemlich allein da. Die Bedeutung der Berliner Gemäldegalerie wird im übrigen Deutschland und im Auslande allgemein dahin aufgefaßt, daß die Galerie arm an Meisterwerken aus der Periode der Blütezeit sei, dafür aber instruktive Beispiele aus allen Schulen enthalte, welche sie besonders zu kunstgeschichtlichen Studien geeignet mache. Dieses Urteil hat bis zur Mitte der siebziger Jahre seine Richtigkeit gehabt. Seit dieser Zeit aber ist eine so stattliche Reihe von Werken ersten Ranges — wir nennen nur die Meister Luca Signorelli, Tizian, Dürer, Frans Hals, Rembrandt, Pieter de Hvoch, Claude Lorrain — in die Galerie gekommen, daß das Gleichgewicht zwischen ästhetischem Genuß und instruktivem Nutzen voll¬ kommen hergestellt worden ist. Mit seinen sechzehn Rembrandts, von denen mehr als die Hälfte ersten Ranges ist, übertrifft die Berliner Sammlung bereits die Dresdner, und selbst die Kasseler Galerie hat mit ihren zweiundzwanzig Rembrandts nur das numerische Übergewicht. Was die Berliner Galerie aber vor allen übrigen des Kontinents auszeichnet, ist ihre musterhafte Ausstellung, die allerdings erst durch einen vollständigen Umbau erzielt werden konnte, wobei die neuesten Erfahrungen in Bezug auf Beleuchtung und Dekoration von Gemülderüumen verwertet worden sind. Durch diesen Umbau sind einerseits große Oberlichtsäle geschaffen, in welchen die umfangreichsten Altarbilder eine genügende Beleuchtung finden, andrerseits kleine Kabinette eingerichtet worden, in welchen die Perlen der niederländischen Kleinmeister mit ruhigem Behagen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/209
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/209>, abgerufen am 27.07.2024.