Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Kevir Schücking,

Agnanius der Retter Amelianiums ward; so sammelte der große Bischof Ulfilas
einen Teil der Gothen um sich, und ordnete ihr christliches Staats- und Volks¬
leben im Drang und Sturm seiner Tage, Als Krystallisationspunkt für die
Elemente der Wiederherstellung wird der Bischof der Zukunft eine große Mission
erfüllen; im Bewußtsein dieser Mission mag er schon heute der Welt zeigen,
was sein apostolisches Amt ihm einst gewahren wird."

Furchtbar kontrastirten mit diesem königlichen Stolz und dieser heiligen
Überzeugung der Ausgang des Bischofs und die Erkenntnis, welche den Edelsten
und Besten feiner Gläubigen, deren Repräsentanten der junge Bungenhausen
und Gerwin von Tungern sind, über die eigentliche Natur der letzten kirchlichen
Bewegungen wird. Der Schriftsteller steht hier durchaus auf dem Boden des
Altkatholizismus; er kann daher seinen Helden, wenn er sie nicht wie den Bi¬
schof in Wahnsinn enden lassen will, die Verzweiflung an und den Abfall von
der Kirche nicht ersparen. Nun läßt sich nicht verkennen, daß Schücking bei
allem Verständnis für die gewaltige Macht und das ethische Pathos der Kirche
doch kein rechtes Verständnis für die Momente gewonnen hat, kraft deren die Mehr¬
zahl der Katholiken auch nach 1870 bei der Einheit und in der Disziplin der Kirche
verblieben ist und ohne Zustimmung zu den Anschauungen und Plänen der Gesell¬
schaft Jesu doch den Schritt zur protestantischen Anschauung hinüber nicht gewagt hat.
Doch nicht das ists, warum wir dem Buche "Die Heiligen und die Ritter" gegenüber
mit unserm Schriftsteller rechten müssen. Der Reichtum der Lebensanschauung und
die Frende am naiven Schaffen werfen ihren besondern Glanz auch auf diesen,
wenn man will, Tendenzroman. Gestalten wie die des prächtigen Junkers
Erich von Tungern, dessen Liebe und Ehe mit der Bauerntochter Marianne
vom Lendruper Hofe zu Schückings besten Erfindungen gerechnet werden muß,
wie die lebensvolle Prinzessin Justine, Gestalten selbst wie Mathilde von Rincke-
wde, Erfindungen wie die beiden Hauptbandlungen des Romans hätten ein
gutes Recht, künstlerisch völlig ausgestaltet und durch keinerlei Beiwerk weder
reflektireuder noch äußerlich romanhafter Natur in ihrer Wirkung beeinträchtigt
zu werden. Nun geschieht aber auch hier, was bei Schücking so oft die letzte
Vollendung gehindert hat: er schlingt und verknüpft eine Menge von Fäden, die
er dann hastig und ohne innere Notwendigkeit entwirren muß, er zieht in dem
Bestreben, deu Leser mittlern Schlages durch die angeblich unerläßliche "Span¬
nung" zu befriedigen, ganz äußerliche und unausgcreifte Konflikte herein. Schon
das Verhältnis des abenteuerlichen Barons Soldesca zu dem ältern und jungem
Bungenhausen und der Verzweiflungsentschluß des ältern ist zwar nicht psycho¬
logisch unmöglich, aber es müßte, um wahrscheinlich und anteilerweckend zu
wirken, doch ganz anders gestaltet und detaillirt sein. Die Komposition ist
breiter, mannichfaltiger, polyphoner, als die Kraft und Kunst Schückings sie
durchzuführen vermag. So ist es denn auch unausbleiblich, daß der Schluß
des Buches überhastet erscheint: die Seelenkämpfe des Bischofs von Scherflein


Kevir Schücking,

Agnanius der Retter Amelianiums ward; so sammelte der große Bischof Ulfilas
einen Teil der Gothen um sich, und ordnete ihr christliches Staats- und Volks¬
leben im Drang und Sturm seiner Tage, Als Krystallisationspunkt für die
Elemente der Wiederherstellung wird der Bischof der Zukunft eine große Mission
erfüllen; im Bewußtsein dieser Mission mag er schon heute der Welt zeigen,
was sein apostolisches Amt ihm einst gewahren wird."

Furchtbar kontrastirten mit diesem königlichen Stolz und dieser heiligen
Überzeugung der Ausgang des Bischofs und die Erkenntnis, welche den Edelsten
und Besten feiner Gläubigen, deren Repräsentanten der junge Bungenhausen
und Gerwin von Tungern sind, über die eigentliche Natur der letzten kirchlichen
Bewegungen wird. Der Schriftsteller steht hier durchaus auf dem Boden des
Altkatholizismus; er kann daher seinen Helden, wenn er sie nicht wie den Bi¬
schof in Wahnsinn enden lassen will, die Verzweiflung an und den Abfall von
der Kirche nicht ersparen. Nun läßt sich nicht verkennen, daß Schücking bei
allem Verständnis für die gewaltige Macht und das ethische Pathos der Kirche
doch kein rechtes Verständnis für die Momente gewonnen hat, kraft deren die Mehr¬
zahl der Katholiken auch nach 1870 bei der Einheit und in der Disziplin der Kirche
verblieben ist und ohne Zustimmung zu den Anschauungen und Plänen der Gesell¬
schaft Jesu doch den Schritt zur protestantischen Anschauung hinüber nicht gewagt hat.
Doch nicht das ists, warum wir dem Buche „Die Heiligen und die Ritter" gegenüber
mit unserm Schriftsteller rechten müssen. Der Reichtum der Lebensanschauung und
die Frende am naiven Schaffen werfen ihren besondern Glanz auch auf diesen,
wenn man will, Tendenzroman. Gestalten wie die des prächtigen Junkers
Erich von Tungern, dessen Liebe und Ehe mit der Bauerntochter Marianne
vom Lendruper Hofe zu Schückings besten Erfindungen gerechnet werden muß,
wie die lebensvolle Prinzessin Justine, Gestalten selbst wie Mathilde von Rincke-
wde, Erfindungen wie die beiden Hauptbandlungen des Romans hätten ein
gutes Recht, künstlerisch völlig ausgestaltet und durch keinerlei Beiwerk weder
reflektireuder noch äußerlich romanhafter Natur in ihrer Wirkung beeinträchtigt
zu werden. Nun geschieht aber auch hier, was bei Schücking so oft die letzte
Vollendung gehindert hat: er schlingt und verknüpft eine Menge von Fäden, die
er dann hastig und ohne innere Notwendigkeit entwirren muß, er zieht in dem
Bestreben, deu Leser mittlern Schlages durch die angeblich unerläßliche „Span¬
nung" zu befriedigen, ganz äußerliche und unausgcreifte Konflikte herein. Schon
das Verhältnis des abenteuerlichen Barons Soldesca zu dem ältern und jungem
Bungenhausen und der Verzweiflungsentschluß des ältern ist zwar nicht psycho¬
logisch unmöglich, aber es müßte, um wahrscheinlich und anteilerweckend zu
wirken, doch ganz anders gestaltet und detaillirt sein. Die Komposition ist
breiter, mannichfaltiger, polyphoner, als die Kraft und Kunst Schückings sie
durchzuführen vermag. So ist es denn auch unausbleiblich, daß der Schluß
des Buches überhastet erscheint: die Seelenkämpfe des Bischofs von Scherflein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0205" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154370"/>
          <fw type="header" place="top"> Kevir Schücking,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_571" prev="#ID_570"> Agnanius der Retter Amelianiums ward; so sammelte der große Bischof Ulfilas<lb/>
einen Teil der Gothen um sich, und ordnete ihr christliches Staats- und Volks¬<lb/>
leben im Drang und Sturm seiner Tage, Als Krystallisationspunkt für die<lb/>
Elemente der Wiederherstellung wird der Bischof der Zukunft eine große Mission<lb/>
erfüllen; im Bewußtsein dieser Mission mag er schon heute der Welt zeigen,<lb/>
was sein apostolisches Amt ihm einst gewahren wird."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_572" next="#ID_573"> Furchtbar kontrastirten mit diesem königlichen Stolz und dieser heiligen<lb/>
Überzeugung der Ausgang des Bischofs und die Erkenntnis, welche den Edelsten<lb/>
und Besten feiner Gläubigen, deren Repräsentanten der junge Bungenhausen<lb/>
und Gerwin von Tungern sind, über die eigentliche Natur der letzten kirchlichen<lb/>
Bewegungen wird. Der Schriftsteller steht hier durchaus auf dem Boden des<lb/>
Altkatholizismus; er kann daher seinen Helden, wenn er sie nicht wie den Bi¬<lb/>
schof in Wahnsinn enden lassen will, die Verzweiflung an und den Abfall von<lb/>
der Kirche nicht ersparen. Nun läßt sich nicht verkennen, daß Schücking bei<lb/>
allem Verständnis für die gewaltige Macht und das ethische Pathos der Kirche<lb/>
doch kein rechtes Verständnis für die Momente gewonnen hat, kraft deren die Mehr¬<lb/>
zahl der Katholiken auch nach 1870 bei der Einheit und in der Disziplin der Kirche<lb/>
verblieben ist und ohne Zustimmung zu den Anschauungen und Plänen der Gesell¬<lb/>
schaft Jesu doch den Schritt zur protestantischen Anschauung hinüber nicht gewagt hat.<lb/>
Doch nicht das ists, warum wir dem Buche &#x201E;Die Heiligen und die Ritter" gegenüber<lb/>
mit unserm Schriftsteller rechten müssen. Der Reichtum der Lebensanschauung und<lb/>
die Frende am naiven Schaffen werfen ihren besondern Glanz auch auf diesen,<lb/>
wenn man will, Tendenzroman. Gestalten wie die des prächtigen Junkers<lb/>
Erich von Tungern, dessen Liebe und Ehe mit der Bauerntochter Marianne<lb/>
vom Lendruper Hofe zu Schückings besten Erfindungen gerechnet werden muß,<lb/>
wie die lebensvolle Prinzessin Justine, Gestalten selbst wie Mathilde von Rincke-<lb/>
wde, Erfindungen wie die beiden Hauptbandlungen des Romans hätten ein<lb/>
gutes Recht, künstlerisch völlig ausgestaltet und durch keinerlei Beiwerk weder<lb/>
reflektireuder noch äußerlich romanhafter Natur in ihrer Wirkung beeinträchtigt<lb/>
zu werden. Nun geschieht aber auch hier, was bei Schücking so oft die letzte<lb/>
Vollendung gehindert hat: er schlingt und verknüpft eine Menge von Fäden, die<lb/>
er dann hastig und ohne innere Notwendigkeit entwirren muß, er zieht in dem<lb/>
Bestreben, deu Leser mittlern Schlages durch die angeblich unerläßliche &#x201E;Span¬<lb/>
nung" zu befriedigen, ganz äußerliche und unausgcreifte Konflikte herein. Schon<lb/>
das Verhältnis des abenteuerlichen Barons Soldesca zu dem ältern und jungem<lb/>
Bungenhausen und der Verzweiflungsentschluß des ältern ist zwar nicht psycho¬<lb/>
logisch unmöglich, aber es müßte, um wahrscheinlich und anteilerweckend zu<lb/>
wirken, doch ganz anders gestaltet und detaillirt sein. Die Komposition ist<lb/>
breiter, mannichfaltiger, polyphoner, als die Kraft und Kunst Schückings sie<lb/>
durchzuführen vermag. So ist es denn auch unausbleiblich, daß der Schluß<lb/>
des Buches überhastet erscheint: die Seelenkämpfe des Bischofs von Scherflein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0205] Kevir Schücking, Agnanius der Retter Amelianiums ward; so sammelte der große Bischof Ulfilas einen Teil der Gothen um sich, und ordnete ihr christliches Staats- und Volks¬ leben im Drang und Sturm seiner Tage, Als Krystallisationspunkt für die Elemente der Wiederherstellung wird der Bischof der Zukunft eine große Mission erfüllen; im Bewußtsein dieser Mission mag er schon heute der Welt zeigen, was sein apostolisches Amt ihm einst gewahren wird." Furchtbar kontrastirten mit diesem königlichen Stolz und dieser heiligen Überzeugung der Ausgang des Bischofs und die Erkenntnis, welche den Edelsten und Besten feiner Gläubigen, deren Repräsentanten der junge Bungenhausen und Gerwin von Tungern sind, über die eigentliche Natur der letzten kirchlichen Bewegungen wird. Der Schriftsteller steht hier durchaus auf dem Boden des Altkatholizismus; er kann daher seinen Helden, wenn er sie nicht wie den Bi¬ schof in Wahnsinn enden lassen will, die Verzweiflung an und den Abfall von der Kirche nicht ersparen. Nun läßt sich nicht verkennen, daß Schücking bei allem Verständnis für die gewaltige Macht und das ethische Pathos der Kirche doch kein rechtes Verständnis für die Momente gewonnen hat, kraft deren die Mehr¬ zahl der Katholiken auch nach 1870 bei der Einheit und in der Disziplin der Kirche verblieben ist und ohne Zustimmung zu den Anschauungen und Plänen der Gesell¬ schaft Jesu doch den Schritt zur protestantischen Anschauung hinüber nicht gewagt hat. Doch nicht das ists, warum wir dem Buche „Die Heiligen und die Ritter" gegenüber mit unserm Schriftsteller rechten müssen. Der Reichtum der Lebensanschauung und die Frende am naiven Schaffen werfen ihren besondern Glanz auch auf diesen, wenn man will, Tendenzroman. Gestalten wie die des prächtigen Junkers Erich von Tungern, dessen Liebe und Ehe mit der Bauerntochter Marianne vom Lendruper Hofe zu Schückings besten Erfindungen gerechnet werden muß, wie die lebensvolle Prinzessin Justine, Gestalten selbst wie Mathilde von Rincke- wde, Erfindungen wie die beiden Hauptbandlungen des Romans hätten ein gutes Recht, künstlerisch völlig ausgestaltet und durch keinerlei Beiwerk weder reflektireuder noch äußerlich romanhafter Natur in ihrer Wirkung beeinträchtigt zu werden. Nun geschieht aber auch hier, was bei Schücking so oft die letzte Vollendung gehindert hat: er schlingt und verknüpft eine Menge von Fäden, die er dann hastig und ohne innere Notwendigkeit entwirren muß, er zieht in dem Bestreben, deu Leser mittlern Schlages durch die angeblich unerläßliche „Span¬ nung" zu befriedigen, ganz äußerliche und unausgcreifte Konflikte herein. Schon das Verhältnis des abenteuerlichen Barons Soldesca zu dem ältern und jungem Bungenhausen und der Verzweiflungsentschluß des ältern ist zwar nicht psycho¬ logisch unmöglich, aber es müßte, um wahrscheinlich und anteilerweckend zu wirken, doch ganz anders gestaltet und detaillirt sein. Die Komposition ist breiter, mannichfaltiger, polyphoner, als die Kraft und Kunst Schückings sie durchzuführen vermag. So ist es denn auch unausbleiblich, daß der Schluß des Buches überhastet erscheint: die Seelenkämpfe des Bischofs von Scherflein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/205
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/205>, abgerufen am 01.09.2024.