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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Levin Schücking.

Wenn er einen französischen Emigranten zu schildern hatte, versagte er sich
Wendungen wie etwa: "Mit einer wunderbaren Geistesbeweglichkcit wußten sich
diese Franzosen in jede Lage zu finden; ohne ihrer Würde etwas zu vergeben,
ließen sie sich zu jeder Arbeit herab, und ein solcher Marquis-StrolMstcheu-
macher blieb eine ebenso vornehme und Achtung fordernde Gestalt, als er früher
gewesen, wo er noch nie mit anderm Stroh umgegangen als mit dem leeren
allenfalls, das er damals gedroschen," eine Wendung Theodor Mundes würdig,
keineswegs; er schachtelt, wenn es den Grafen Vittorio Alfieri in seinen Roman
einzuführen gilt, ohne jede poetische Form einen ganzen Auszug aus des Dichters
Selbstbiographie ein, er verflicht eine Fülle von Reflexionen in seine Darstellung.
Doch andrerseits wieder, wie vorteilhaft unterschied sich die Jugendarbeit "Ein
Schloß am Meer" von den Reiscnovellcn und Gedankensymphonien der damaligen
Modeschriftsteller! Eine Fülle eigentümlichen Lebens, interessante Gestalten, mit
denen die Phantasie des Knaben genährt war, eine romanhafte Erfindung, die
jugendlich unreif heißen mochte, aber einer gewissen Natürlichkeit nicht entbehrte,
sprachen für Schückings Begabung.

Wenige Jahre später erscheint diese Begabung gereift in dem Romane
"Der Bauerufürst" (1861). Ju gewissem Sinne blieb er die beste Schöpfung
des Schriftstellers: eine so prächtig-kräftige, bedeutungsvolle und farbenreiche
Exposition, wie sie der genannte Roman zeigt, hat keine andre Schückingsche
Erzählung. Die Entwicklung und der Ausgang entsprechen der ersten Anlage
nicht ganz, doch offenbart sich das eigentümliche Streben Schückings, den histo¬
rischen Roman ganz in einen Phantasieroman umzuwandeln, hier in der ge¬
winnendsten Weise. Er zeichnet den Hintergrund mit wenigen charakteristischen
Strichen, versetzt den Leser sehr rasch auf das Terrain, auf welchem seine Er¬
findungen spielen, nimmt aber die Hauptteilnahme niemals für die Zustände,
sondern immer für die Menschengestalten und ihre besondern romanhaften Schick¬
sale in Anspruch. Gerade der "Bauernfürst" ist es, der uns eine gewisse Leichtig¬
keit des Schückingschen Talents, ein Verschwenden gleichsam der originellen
Anschauungen, die der Autor besaß, beklagen läßt. Die Erfindung dieses Romans
hätte eine sorgfältigere Ausführung jedenfalls verdient.

Auch der nächste Roman "Ein Staatsgeheimnis" (1854) stellt wieder auf
historischem Hintergründe ein eigentümliches Abenteuer dar. Der Schauplatz
sind die linksrheinischen Lande, die Zeit die letzten Jahre von Bonapartes Kon¬
sulat, in der alle Welt jeden Tag erwartet, daß der erste Konsul sich zum
Kaiser aufwerfen wird, das Ganze selbst ist die sehr glänzende und geistig belebte
Ausführung jener Abenteuer, welche der angeblich aus dem Temple gerettete,
am Leben gebliebene Dauphin von Frankreich (der Uhrmacher K. W- Naundorf)
als seinen Lebensroman erzählte. Sowie man die Berichte des angeblichen
Ludwigs XVII. als wahr betrachtet (und das scheint unser Autor allen Ernstes
gethan zu haben), ergiebt sich gleichsam von selbst eine spannende Verwicklung,


Levin Schücking.

Wenn er einen französischen Emigranten zu schildern hatte, versagte er sich
Wendungen wie etwa: „Mit einer wunderbaren Geistesbeweglichkcit wußten sich
diese Franzosen in jede Lage zu finden; ohne ihrer Würde etwas zu vergeben,
ließen sie sich zu jeder Arbeit herab, und ein solcher Marquis-StrolMstcheu-
macher blieb eine ebenso vornehme und Achtung fordernde Gestalt, als er früher
gewesen, wo er noch nie mit anderm Stroh umgegangen als mit dem leeren
allenfalls, das er damals gedroschen," eine Wendung Theodor Mundes würdig,
keineswegs; er schachtelt, wenn es den Grafen Vittorio Alfieri in seinen Roman
einzuführen gilt, ohne jede poetische Form einen ganzen Auszug aus des Dichters
Selbstbiographie ein, er verflicht eine Fülle von Reflexionen in seine Darstellung.
Doch andrerseits wieder, wie vorteilhaft unterschied sich die Jugendarbeit „Ein
Schloß am Meer" von den Reiscnovellcn und Gedankensymphonien der damaligen
Modeschriftsteller! Eine Fülle eigentümlichen Lebens, interessante Gestalten, mit
denen die Phantasie des Knaben genährt war, eine romanhafte Erfindung, die
jugendlich unreif heißen mochte, aber einer gewissen Natürlichkeit nicht entbehrte,
sprachen für Schückings Begabung.

Wenige Jahre später erscheint diese Begabung gereift in dem Romane
„Der Bauerufürst" (1861). Ju gewissem Sinne blieb er die beste Schöpfung
des Schriftstellers: eine so prächtig-kräftige, bedeutungsvolle und farbenreiche
Exposition, wie sie der genannte Roman zeigt, hat keine andre Schückingsche
Erzählung. Die Entwicklung und der Ausgang entsprechen der ersten Anlage
nicht ganz, doch offenbart sich das eigentümliche Streben Schückings, den histo¬
rischen Roman ganz in einen Phantasieroman umzuwandeln, hier in der ge¬
winnendsten Weise. Er zeichnet den Hintergrund mit wenigen charakteristischen
Strichen, versetzt den Leser sehr rasch auf das Terrain, auf welchem seine Er¬
findungen spielen, nimmt aber die Hauptteilnahme niemals für die Zustände,
sondern immer für die Menschengestalten und ihre besondern romanhaften Schick¬
sale in Anspruch. Gerade der „Bauernfürst" ist es, der uns eine gewisse Leichtig¬
keit des Schückingschen Talents, ein Verschwenden gleichsam der originellen
Anschauungen, die der Autor besaß, beklagen läßt. Die Erfindung dieses Romans
hätte eine sorgfältigere Ausführung jedenfalls verdient.

Auch der nächste Roman „Ein Staatsgeheimnis" (1854) stellt wieder auf
historischem Hintergründe ein eigentümliches Abenteuer dar. Der Schauplatz
sind die linksrheinischen Lande, die Zeit die letzten Jahre von Bonapartes Kon¬
sulat, in der alle Welt jeden Tag erwartet, daß der erste Konsul sich zum
Kaiser aufwerfen wird, das Ganze selbst ist die sehr glänzende und geistig belebte
Ausführung jener Abenteuer, welche der angeblich aus dem Temple gerettete,
am Leben gebliebene Dauphin von Frankreich (der Uhrmacher K. W- Naundorf)
als seinen Lebensroman erzählte. Sowie man die Berichte des angeblichen
Ludwigs XVII. als wahr betrachtet (und das scheint unser Autor allen Ernstes
gethan zu haben), ergiebt sich gleichsam von selbst eine spannende Verwicklung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/199>, abgerufen am 28.07.2024.