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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Zur Vereinfachung des gegenwärtigen Strafvollzuges.

der Zahl der Gefangenen auch die Größe und Menge der zu ihrer Unterbringung
erforderlichen Räume wächst; je weitläufiger, je unübersichtlicher eine Strafanstalt
ist, desto mehr braucht sie neben einem zahlreichen Aufsichtspersonal auch Arbeits¬
kräfte, um im Innern Ordnung und Sauberkeit aufrecht zu erhalten, und zwar
nicht in arithmetischer, sondern in geometrischer Progression.

Wir wollen endlich nicht vergessen, daß auch gewisse Professionell aus
naheliegenden sicherheitspolizeilichen Gründen in einer Gefangenanstalt nicht
betrieben werden können. Was nützt z. B. der beste Pyrotechniker oder der
geschickteste Pharmazeut, der vielleicht wegen Giftmordes verurteilt ist?

Immerhin muß man zugestehen, daß die Züchtlinge noch die erheblichsten
Beiträge zu ihrem Unterhalte liefern, zumal da sie nach den Vorschriften des
Strafgesetzbuches zur Arbeit gezwungen werden können, nötigenfalls unter An¬
wendung drastischer Strafen, wovon freilich in neuerer Zeit ein viel zu wenig
ausgiebiger Gebrauch gemacht zu werden scheint, sonst würden die Fälle, wo Ver¬
brechen begangen werden, um im Zuchthause wieder Aufnahme zu finden, nicht
so häufig vorkommen, wie es thatsächlich geschieht. Die Verdienstfähigkeit der
Gefangenen ist schon eine weit geringere. Nach den Vorschriften des
Strafgesetzbuches ist der Arbeitszwang den Gefangenen gegenüber min¬
destens sehr zweifelhafter Natur. Es kommt hinzu, daß Gefangenschaft schon
mit einem Tage beginnen, aber niemals fünf Jahre überschreiten kann. Sie
bewegt sich mithin innerhalb einer nicht allzu langen mittlern Strafdauer,
die es in der größten Mehrzahl der Fälle nicht gestattet, mit Erfolg auf
Erlernung einer lohnenden Beschäftigung hinzuarbeiten. Was soll man
z. B. mit einem Redakteur anfangen, der wegen eines Preßvergehens vierzehn
Tage Gefängnis zu verbüßen hat, oder mit einem Bischof, der, weil er mehr
dem kanonischen wie dem staatlichen Gesetz Folge leistete, zu drei Monaten Ge¬
fängnis verurteilt wurde? Die Vcrdienstunfähigkeit der Gefangenen wächst also
mit der Abschwächung der zu verbüßenden Strafart und erreicht bei den
Haft- und Untersuchungsgefangenen den Gipfelpunkt. Haftstrafe soll in
einfacher Entziehung der Freiheit ohne jeglichen sonstigen Zwang bestehen.
Man kann Haftgefangene, die nicht arbeiten wollen, obgleich sie es könnten,
aber auch keine Mittel besitzen, sich selbst zu verpflegen, unmöglich sechs
Wochen oder auch nur einen Tag lang hungern und frieren lassen, son¬
dern sie müssen wie alle andern Gefangenen angemessen verpflegt werden.
In Wirklichkeit freilich bitten die meisten Haftgefangenen um Arbeit, schon
um sich die Langeweile zu vertreiben, manchmal auch um etwas zu verdienen.
Letzteres wird allerdings bei aller Koulanz der Verwaltung nur selten möglich
sein, denn was soll ein Haftgefangener für kurze Zeit Lohnendes unternehmen?
Es fehlen ihm alle Hilfsmittel, die Anstalt aber ist nicht imstande, solche auf
ihre Kosten zu beschaffen. Die Untersuchungsgefcmgencn endlich verdienen erst
recht ein kaum nennenswertes Minimum und kosten dem Staate das meiste.


Zur Vereinfachung des gegenwärtigen Strafvollzuges.

der Zahl der Gefangenen auch die Größe und Menge der zu ihrer Unterbringung
erforderlichen Räume wächst; je weitläufiger, je unübersichtlicher eine Strafanstalt
ist, desto mehr braucht sie neben einem zahlreichen Aufsichtspersonal auch Arbeits¬
kräfte, um im Innern Ordnung und Sauberkeit aufrecht zu erhalten, und zwar
nicht in arithmetischer, sondern in geometrischer Progression.

Wir wollen endlich nicht vergessen, daß auch gewisse Professionell aus
naheliegenden sicherheitspolizeilichen Gründen in einer Gefangenanstalt nicht
betrieben werden können. Was nützt z. B. der beste Pyrotechniker oder der
geschickteste Pharmazeut, der vielleicht wegen Giftmordes verurteilt ist?

Immerhin muß man zugestehen, daß die Züchtlinge noch die erheblichsten
Beiträge zu ihrem Unterhalte liefern, zumal da sie nach den Vorschriften des
Strafgesetzbuches zur Arbeit gezwungen werden können, nötigenfalls unter An¬
wendung drastischer Strafen, wovon freilich in neuerer Zeit ein viel zu wenig
ausgiebiger Gebrauch gemacht zu werden scheint, sonst würden die Fälle, wo Ver¬
brechen begangen werden, um im Zuchthause wieder Aufnahme zu finden, nicht
so häufig vorkommen, wie es thatsächlich geschieht. Die Verdienstfähigkeit der
Gefangenen ist schon eine weit geringere. Nach den Vorschriften des
Strafgesetzbuches ist der Arbeitszwang den Gefangenen gegenüber min¬
destens sehr zweifelhafter Natur. Es kommt hinzu, daß Gefangenschaft schon
mit einem Tage beginnen, aber niemals fünf Jahre überschreiten kann. Sie
bewegt sich mithin innerhalb einer nicht allzu langen mittlern Strafdauer,
die es in der größten Mehrzahl der Fälle nicht gestattet, mit Erfolg auf
Erlernung einer lohnenden Beschäftigung hinzuarbeiten. Was soll man
z. B. mit einem Redakteur anfangen, der wegen eines Preßvergehens vierzehn
Tage Gefängnis zu verbüßen hat, oder mit einem Bischof, der, weil er mehr
dem kanonischen wie dem staatlichen Gesetz Folge leistete, zu drei Monaten Ge¬
fängnis verurteilt wurde? Die Vcrdienstunfähigkeit der Gefangenen wächst also
mit der Abschwächung der zu verbüßenden Strafart und erreicht bei den
Haft- und Untersuchungsgefangenen den Gipfelpunkt. Haftstrafe soll in
einfacher Entziehung der Freiheit ohne jeglichen sonstigen Zwang bestehen.
Man kann Haftgefangene, die nicht arbeiten wollen, obgleich sie es könnten,
aber auch keine Mittel besitzen, sich selbst zu verpflegen, unmöglich sechs
Wochen oder auch nur einen Tag lang hungern und frieren lassen, son¬
dern sie müssen wie alle andern Gefangenen angemessen verpflegt werden.
In Wirklichkeit freilich bitten die meisten Haftgefangenen um Arbeit, schon
um sich die Langeweile zu vertreiben, manchmal auch um etwas zu verdienen.
Letzteres wird allerdings bei aller Koulanz der Verwaltung nur selten möglich
sein, denn was soll ein Haftgefangener für kurze Zeit Lohnendes unternehmen?
Es fehlen ihm alle Hilfsmittel, die Anstalt aber ist nicht imstande, solche auf
ihre Kosten zu beschaffen. Die Untersuchungsgefcmgencn endlich verdienen erst
recht ein kaum nennenswertes Minimum und kosten dem Staate das meiste.


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[0186] Zur Vereinfachung des gegenwärtigen Strafvollzuges. der Zahl der Gefangenen auch die Größe und Menge der zu ihrer Unterbringung erforderlichen Räume wächst; je weitläufiger, je unübersichtlicher eine Strafanstalt ist, desto mehr braucht sie neben einem zahlreichen Aufsichtspersonal auch Arbeits¬ kräfte, um im Innern Ordnung und Sauberkeit aufrecht zu erhalten, und zwar nicht in arithmetischer, sondern in geometrischer Progression. Wir wollen endlich nicht vergessen, daß auch gewisse Professionell aus naheliegenden sicherheitspolizeilichen Gründen in einer Gefangenanstalt nicht betrieben werden können. Was nützt z. B. der beste Pyrotechniker oder der geschickteste Pharmazeut, der vielleicht wegen Giftmordes verurteilt ist? Immerhin muß man zugestehen, daß die Züchtlinge noch die erheblichsten Beiträge zu ihrem Unterhalte liefern, zumal da sie nach den Vorschriften des Strafgesetzbuches zur Arbeit gezwungen werden können, nötigenfalls unter An¬ wendung drastischer Strafen, wovon freilich in neuerer Zeit ein viel zu wenig ausgiebiger Gebrauch gemacht zu werden scheint, sonst würden die Fälle, wo Ver¬ brechen begangen werden, um im Zuchthause wieder Aufnahme zu finden, nicht so häufig vorkommen, wie es thatsächlich geschieht. Die Verdienstfähigkeit der Gefangenen ist schon eine weit geringere. Nach den Vorschriften des Strafgesetzbuches ist der Arbeitszwang den Gefangenen gegenüber min¬ destens sehr zweifelhafter Natur. Es kommt hinzu, daß Gefangenschaft schon mit einem Tage beginnen, aber niemals fünf Jahre überschreiten kann. Sie bewegt sich mithin innerhalb einer nicht allzu langen mittlern Strafdauer, die es in der größten Mehrzahl der Fälle nicht gestattet, mit Erfolg auf Erlernung einer lohnenden Beschäftigung hinzuarbeiten. Was soll man z. B. mit einem Redakteur anfangen, der wegen eines Preßvergehens vierzehn Tage Gefängnis zu verbüßen hat, oder mit einem Bischof, der, weil er mehr dem kanonischen wie dem staatlichen Gesetz Folge leistete, zu drei Monaten Ge¬ fängnis verurteilt wurde? Die Vcrdienstunfähigkeit der Gefangenen wächst also mit der Abschwächung der zu verbüßenden Strafart und erreicht bei den Haft- und Untersuchungsgefangenen den Gipfelpunkt. Haftstrafe soll in einfacher Entziehung der Freiheit ohne jeglichen sonstigen Zwang bestehen. Man kann Haftgefangene, die nicht arbeiten wollen, obgleich sie es könnten, aber auch keine Mittel besitzen, sich selbst zu verpflegen, unmöglich sechs Wochen oder auch nur einen Tag lang hungern und frieren lassen, son¬ dern sie müssen wie alle andern Gefangenen angemessen verpflegt werden. In Wirklichkeit freilich bitten die meisten Haftgefangenen um Arbeit, schon um sich die Langeweile zu vertreiben, manchmal auch um etwas zu verdienen. Letzteres wird allerdings bei aller Koulanz der Verwaltung nur selten möglich sein, denn was soll ein Haftgefangener für kurze Zeit Lohnendes unternehmen? Es fehlen ihm alle Hilfsmittel, die Anstalt aber ist nicht imstande, solche auf ihre Kosten zu beschaffen. Die Untersuchungsgefcmgencn endlich verdienen erst recht ein kaum nennenswertes Minimum und kosten dem Staate das meiste.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/186>, abgerufen am 01.09.2024.