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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

Genöve diese Mehrausgabe nur für ein Jahr übernehmen sollte. Auch hierzu
mußte sich Dr, Spath verstehen. Nach drei Tagen saßen freilich Redakteur
und Verleger wegen eines schamlosen Angriffs gegen die Sittlichkeit hinter
Schloß und Riegel, und der "Coeur-Wenzel" war aus dem Kreise der Ver¬
treter der öffentlichen Meinung verschwunden. Die schwierigste Mission hatte
Syuth bei dem "Berliner Bürgerfreund/' einem wegen seiner Klatschsucht und seiner
Abonnentenzahl, die sich aus dem Kreise der mittlern Bürgerschaft zusammensetzte,
einflußreichen Organ. Hier mußte gleichzeitig der Angriff gegen die Akademie
in Szene gesetzt werden, um das Bild aus der Ausstellung zu entfernen. Der
Chefredakteur witterte in dem ganzen Manöver des Künstlers eine antisemitische
Tendenz, die von dem Akademievorstande und wahrscheinlich auch vom Reichs¬
kanzler selbst begünstigt werde. Das Schwergewicht des Artikels sollte daher
in diese Richtung gelegt werden, und man wollte deshalb, um den Schein der
Unparteilichkeit zu behaupten, umso rückhaltloser in das Lob des Kunstwerks
als solchen einstimmen. Der heikle Punkt der Abfindung wurde mit Still¬
schweigen übergangen, doch erzählte der Redakteur, daß er gestern eine Brieftasche
mit 500 Mark verloren habe, was ihn umsomehr schmerze, als sie zu einem
Geburtstagsgeschenk für seine Frau bestimmt gewesen seien. Er sprach jedoch
die Hoffnung aus, daß sich der Finder zur Rückgabe verstehen werde, noch ehe
der Artikel über Judith und Holofernes erscheine. In der That fand sich der
Redakteur in seiner Hoffnung nicht getäuscht; als er nach Hause kam, fand er
einen Brief mit 500 Mark von Max Gensve vor, in welchem dieser den
Adressaten bat, ihm den Ersatz seines Verlustes als einen Beitrag zu gestatten,
mit welchem ein schlichter Mann aus dem Volke den Heroismus der geistige"
Vorkämpfer für Humanität und Freiheit zu ehren wage.

Wie man sieht, kam diese Korrektur der öffentlichen Meinung dem Hause
Genöve ziemlich teuer; auch ging es nicht ohne einige heftige Szenen ab, da
Syuth nicht über alle seine Liquidationen Belege vorlegen konnte oder wollte.
Es bedürfte einer sehr energischen Dazwischenkunft von Frau Bertha, um eine
Verständigung herbeizuführen.

Die Wirkungen standen aber in dem umgekehrten Verhältnis zu den Kosten.
Es war eben nur erreicht, was der Vogel Strauß zu erlangen glaubt, locum
er seinen Kopf in den Busch steckt. In den Kreisen, in welchen die Angelegenheit
unterdrückt werden sollte, wurde sie doch bekannt und ausgeschmückt. Außerdem
schlug der Augriff gegen die Akademie völlig fehl. Der "Neue Berliner Bürger¬
freund," ein Konknrrenzblatt des andern, wies in einem boshaften Gegeuartikel
nach, daß die Unterstützung der Ausstellung dnrch Herrn Genöve sich auf die
Abnahme von zwei Loosen beschränkte, die sogar noch mit dem Gewinn eines
Aquarells und eines Kupferstichs gezogen wurden. Endlich erschien ein Freund
des Künstlers Harold Stolberg in der Redaktion des "Berliner Bürgerfreundes"
und verlangte Widerruf der die Ehre seines Freundes in dem Artikel angrci-


Francesca von Rimini.

Genöve diese Mehrausgabe nur für ein Jahr übernehmen sollte. Auch hierzu
mußte sich Dr, Spath verstehen. Nach drei Tagen saßen freilich Redakteur
und Verleger wegen eines schamlosen Angriffs gegen die Sittlichkeit hinter
Schloß und Riegel, und der „Coeur-Wenzel" war aus dem Kreise der Ver¬
treter der öffentlichen Meinung verschwunden. Die schwierigste Mission hatte
Syuth bei dem „Berliner Bürgerfreund/' einem wegen seiner Klatschsucht und seiner
Abonnentenzahl, die sich aus dem Kreise der mittlern Bürgerschaft zusammensetzte,
einflußreichen Organ. Hier mußte gleichzeitig der Angriff gegen die Akademie
in Szene gesetzt werden, um das Bild aus der Ausstellung zu entfernen. Der
Chefredakteur witterte in dem ganzen Manöver des Künstlers eine antisemitische
Tendenz, die von dem Akademievorstande und wahrscheinlich auch vom Reichs¬
kanzler selbst begünstigt werde. Das Schwergewicht des Artikels sollte daher
in diese Richtung gelegt werden, und man wollte deshalb, um den Schein der
Unparteilichkeit zu behaupten, umso rückhaltloser in das Lob des Kunstwerks
als solchen einstimmen. Der heikle Punkt der Abfindung wurde mit Still¬
schweigen übergangen, doch erzählte der Redakteur, daß er gestern eine Brieftasche
mit 500 Mark verloren habe, was ihn umsomehr schmerze, als sie zu einem
Geburtstagsgeschenk für seine Frau bestimmt gewesen seien. Er sprach jedoch
die Hoffnung aus, daß sich der Finder zur Rückgabe verstehen werde, noch ehe
der Artikel über Judith und Holofernes erscheine. In der That fand sich der
Redakteur in seiner Hoffnung nicht getäuscht; als er nach Hause kam, fand er
einen Brief mit 500 Mark von Max Gensve vor, in welchem dieser den
Adressaten bat, ihm den Ersatz seines Verlustes als einen Beitrag zu gestatten,
mit welchem ein schlichter Mann aus dem Volke den Heroismus der geistige»
Vorkämpfer für Humanität und Freiheit zu ehren wage.

Wie man sieht, kam diese Korrektur der öffentlichen Meinung dem Hause
Genöve ziemlich teuer; auch ging es nicht ohne einige heftige Szenen ab, da
Syuth nicht über alle seine Liquidationen Belege vorlegen konnte oder wollte.
Es bedürfte einer sehr energischen Dazwischenkunft von Frau Bertha, um eine
Verständigung herbeizuführen.

Die Wirkungen standen aber in dem umgekehrten Verhältnis zu den Kosten.
Es war eben nur erreicht, was der Vogel Strauß zu erlangen glaubt, locum
er seinen Kopf in den Busch steckt. In den Kreisen, in welchen die Angelegenheit
unterdrückt werden sollte, wurde sie doch bekannt und ausgeschmückt. Außerdem
schlug der Augriff gegen die Akademie völlig fehl. Der „Neue Berliner Bürger¬
freund," ein Konknrrenzblatt des andern, wies in einem boshaften Gegeuartikel
nach, daß die Unterstützung der Ausstellung dnrch Herrn Genöve sich auf die
Abnahme von zwei Loosen beschränkte, die sogar noch mit dem Gewinn eines
Aquarells und eines Kupferstichs gezogen wurden. Endlich erschien ein Freund
des Künstlers Harold Stolberg in der Redaktion des „Berliner Bürgerfreundes"
und verlangte Widerruf der die Ehre seines Freundes in dem Artikel angrci-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/165>, abgerufen am 06.10.2024.