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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca^ von Rimim.

Punkt -- wenn man jene Tragödie von Bethuliett, welche es nicht einmal bis
zu den vorschriftsmäßigen fünf Akten brachte, überhaupt als Geschichte bezeichnen
darf -- vielerlei gegen das Bild einwenden, so vergißt man diese antiquarischen
Qncingeleien vollständig gegenüber dem kühnen Schwung der Zeichnung, dem
glänzenden Kolorit und jener Beleuchtung, die sowohl an Reinhardt als an
Correggio erinnert.

Der von der Jury mit der kleinen Medaille ausgezeichnete Künstler heißt
Oswald Hertel, ein noch jugendlicher Schüler Meyendorfs. Ohne uns weiter
mit seiner Persönlichkeit aufzuhalten, sind wir in der glücklichen Lage, den Künstler
unsern Lesern leibhaftig vorstellen zu können, indem wir sie einladen, seinen
Holofernes näher ins Auge zu fassen, denn dieser ist das Porträt des Künstlers
selbst. Judith aber ist die Tochter eines hier bekannten, hochangesehenen Bankiers,
dessen Name an einen Refügi6 der französischen Kolonie erinnert und dessen
geistvolle Frau in der T.........straße im Winter einer ausgesuchten Gesell¬
schaft ihr gastfreies Haus öffnet. Auch der Künstler wurde dort mit Liberalität
und Freundlichkeit aufgenommen, lohnte aber dieselbe mit schnödem Undank,
indem er nach der noch ganz jugendlichen Tochter, dem "reichen Goldfisch," zu
angeln versuchte. Bei der Tochter wie bei den Eltern erfuhr er eine ausreichende
Zurückweisung seiner Bewerbung, und aus -- Verstimmung hierüber malte er
das Bild.

Es ist nur zu leicht begreiflich, daß die Jury von diesem ge--wöhnlichen
Zug keine Ahnung hatte; sie würde sonst nicht das Bild mit dieser Auszeich¬
nung beehrt haben, da sich Moral und Kunst nicht von einander trennen lassen.
sicherem Vernehmen nach soll die Medaille zurückgefordert und das Bild aus
der Ausstellung entfernt werden. In der That ist diese Genugthuung die ge¬
samte Künstlerschaft wie die Jury selbst unserm verehrten Mitbürger G.....
und dessen feinfühliger Gattin schuldig, die nicht bloß durch reiche Ankäufe in
jedem Jahr die Ausstellung unterstützten, sondern auch auf alleil Gebieten der
Humanität und des Edelsinnes als erste Sterne voranleuchten. Es würde uus
um die zahlreichen Künstler, die der in unsrer materiellen Zeit immer selteneren
Mcicene bedürfen, besonders schmerzen, wenn der Vorstand der Akademie diese
geringe Rücksicht für unsern Mitbürger außer Acht lassen und mit seiner
Autorität die öffentliche Beschimpfung einer jungen Dame aus der Gesellschaft
gutheißen sollte. Dr. Sy.es.

Den Schreiber dieses Artikels zu erraten war auch minder Eingeweihten
nicht schwer, wenige aber wußten, wie der Artikel zu stände gekommen war.

Margarethens Erklärung, sobald sie von der Ausstellung nach Hause zurück¬
gekehrt war, daß sie unwohl und der Ruhe bedürftig sei, fand bei ihrer Mutter
warme Unterstützung. Frau Genöve sah ein, daß etwas geschehen müsse, und
wünschte bei allen Verhandlungen von etwaigen Einwürfen ihrer Tochter ver¬
schont zu sein. Es galt zunächst den sogenannten öffentlichen Skandal zu


Grenzboten IV. 1833. 20
Francesca^ von Rimim.

Punkt — wenn man jene Tragödie von Bethuliett, welche es nicht einmal bis
zu den vorschriftsmäßigen fünf Akten brachte, überhaupt als Geschichte bezeichnen
darf — vielerlei gegen das Bild einwenden, so vergißt man diese antiquarischen
Qncingeleien vollständig gegenüber dem kühnen Schwung der Zeichnung, dem
glänzenden Kolorit und jener Beleuchtung, die sowohl an Reinhardt als an
Correggio erinnert.

Der von der Jury mit der kleinen Medaille ausgezeichnete Künstler heißt
Oswald Hertel, ein noch jugendlicher Schüler Meyendorfs. Ohne uns weiter
mit seiner Persönlichkeit aufzuhalten, sind wir in der glücklichen Lage, den Künstler
unsern Lesern leibhaftig vorstellen zu können, indem wir sie einladen, seinen
Holofernes näher ins Auge zu fassen, denn dieser ist das Porträt des Künstlers
selbst. Judith aber ist die Tochter eines hier bekannten, hochangesehenen Bankiers,
dessen Name an einen Refügi6 der französischen Kolonie erinnert und dessen
geistvolle Frau in der T.........straße im Winter einer ausgesuchten Gesell¬
schaft ihr gastfreies Haus öffnet. Auch der Künstler wurde dort mit Liberalität
und Freundlichkeit aufgenommen, lohnte aber dieselbe mit schnödem Undank,
indem er nach der noch ganz jugendlichen Tochter, dem „reichen Goldfisch," zu
angeln versuchte. Bei der Tochter wie bei den Eltern erfuhr er eine ausreichende
Zurückweisung seiner Bewerbung, und aus — Verstimmung hierüber malte er
das Bild.

Es ist nur zu leicht begreiflich, daß die Jury von diesem ge—wöhnlichen
Zug keine Ahnung hatte; sie würde sonst nicht das Bild mit dieser Auszeich¬
nung beehrt haben, da sich Moral und Kunst nicht von einander trennen lassen.
sicherem Vernehmen nach soll die Medaille zurückgefordert und das Bild aus
der Ausstellung entfernt werden. In der That ist diese Genugthuung die ge¬
samte Künstlerschaft wie die Jury selbst unserm verehrten Mitbürger G.....
und dessen feinfühliger Gattin schuldig, die nicht bloß durch reiche Ankäufe in
jedem Jahr die Ausstellung unterstützten, sondern auch auf alleil Gebieten der
Humanität und des Edelsinnes als erste Sterne voranleuchten. Es würde uus
um die zahlreichen Künstler, die der in unsrer materiellen Zeit immer selteneren
Mcicene bedürfen, besonders schmerzen, wenn der Vorstand der Akademie diese
geringe Rücksicht für unsern Mitbürger außer Acht lassen und mit seiner
Autorität die öffentliche Beschimpfung einer jungen Dame aus der Gesellschaft
gutheißen sollte. Dr. Sy.es.

Den Schreiber dieses Artikels zu erraten war auch minder Eingeweihten
nicht schwer, wenige aber wußten, wie der Artikel zu stände gekommen war.

Margarethens Erklärung, sobald sie von der Ausstellung nach Hause zurück¬
gekehrt war, daß sie unwohl und der Ruhe bedürftig sei, fand bei ihrer Mutter
warme Unterstützung. Frau Genöve sah ein, daß etwas geschehen müsse, und
wünschte bei allen Verhandlungen von etwaigen Einwürfen ihrer Tochter ver¬
schont zu sein. Es galt zunächst den sogenannten öffentlichen Skandal zu


Grenzboten IV. 1833. 20
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/163>, abgerufen am 01.09.2024.