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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der verfall des Theaters.

habe manches gesehen, was ganz gut gespielt ward, aber alles war Routine,
Dienst, Reglement, und nirgends konnte ich den Funken eines Talentes, welches
sich auf eigentümliche Weise Luft machen wollte, entdecken. Einiges, wie "Wallen-
stein" und "Kaufmann von Venedig," war so schlecht und geistlos, daß ich mich
schämen würde, es hier snämlich in Düsseldorf, wo Immermann soeben die
Thcatcrleitung, zu übernehmen im Begriffe stand^ so mit meinen Anfängen zu
produziren." Und dennoch nehme das Publikum sogar an der Mittelmäßigkeit
Teil; "es ließe sich also wohl hoffen, daß, wenn die Anstalt die Sache aus
dem Gesichtspunkte der gegenwärtigen deutschen Kultur griffe, für eine Reihe von
Jahren wieder etwas besseres dort entstehen könnte." Aber nach zweijähriger
Btthnenleitung sind auch diese Hoffnungen schon herabgestimmt. Seine eignen
Erfahrungen sprechen aus dem Seufzer: "Streng und hart nennen sie einen,
wenn man darauf hält, daß sie wie Menschen reden, stehen und gehen sollen,
und daß sie den Dichter nicht zu Fetzen zerreißen. Dieses Geschlecht will aber
immer auf dem Seile tanzen, ehe es noch zu ebener Erde sich gerade halte"
kann. Die Elemente der Kunst sind vergessen, das ist das Haupt- und Grund-
übel; die Schüler meinen bei dem beginnen zu können, womit der Meister auf¬
hört." Im Jahre 1840 läßt er sich noch einmal über Berlin vernehmen: "Die
deutsche Bühne fährt fort, zu jedem Tage ihr Scherflein Unsinn beizusteuern."

Ebendaher eine Stimme aus Schauspiclerkreisen. Eduard Devrient
sagt: "Der Beifall der Menge ist freilich ein gefährlich Ding, und ich fühle
zu genau, wie der Schauspieler alltäglich sich die eigentliche Würde nud Höhe
seines Berufes vors Auge halte" muß, um sich nicht der weichen Beifallswogc
zu überlassen, die, wie Sie nur zu richtig sagen, durch so kleine Künste zu erreiche"
ist. So "nähmlich der Künstler dem Prediger sein soll, darin muß er ihm
gleichstehen, daß er den Leuten zeige, was sie erfahren sollen, nicht was sie er¬
fahren wollen. Überhaupt giebt es vielleicht keinen Stand, von dem so sehr
eine Fülle der Tugenden gefordert wird, als der unsrige. Selbstverleugnend
sollen wir sein beim größten Anreiz zur Eitelkeit und Selbstsucht, uns aufgebe"
an das Totale einer Darstellung, wo es so leicht ist, sich abgesonderten Vorteil
und Beifall zu verdienen, das Höchste und Vergeistigte immerfort anbieten, wo
es wenig geschätzt, dagegen das Geringe und Gemeine begierig verlangt wird
und reichlich gelohnt." Von einem Vereine der Schauspieler erwartete Devrient
eine Zeit lang das Beste. Doch bald mußte er enttäuscht bekennen! "Ich
dachte, dieser Verein sollte eine Gesinnung unter uns wecken, vergaß aber, daß
sie für das Bestehen des Vereins schon vorhanden sein müßte. ... Im all¬
gemeine" haben die Schauspieler keinen Respekt vor ihrem Berufe, und daher
mißbrauchen sie ihn. Es scheint, der Mensch achtet nur, was ihm sauer
wird; wenn die jungen Schauspieler arbeiten müßten, bevor sie zur Pro¬
duktion zugelassen würden wie alle andern Künstler, so würden sie mit
mehr Ernst und Achtung daran gehen, sie würden beim Studiren gelernt


Der verfall des Theaters.

habe manches gesehen, was ganz gut gespielt ward, aber alles war Routine,
Dienst, Reglement, und nirgends konnte ich den Funken eines Talentes, welches
sich auf eigentümliche Weise Luft machen wollte, entdecken. Einiges, wie »Wallen-
stein« und »Kaufmann von Venedig,« war so schlecht und geistlos, daß ich mich
schämen würde, es hier snämlich in Düsseldorf, wo Immermann soeben die
Thcatcrleitung, zu übernehmen im Begriffe stand^ so mit meinen Anfängen zu
produziren." Und dennoch nehme das Publikum sogar an der Mittelmäßigkeit
Teil; „es ließe sich also wohl hoffen, daß, wenn die Anstalt die Sache aus
dem Gesichtspunkte der gegenwärtigen deutschen Kultur griffe, für eine Reihe von
Jahren wieder etwas besseres dort entstehen könnte." Aber nach zweijähriger
Btthnenleitung sind auch diese Hoffnungen schon herabgestimmt. Seine eignen
Erfahrungen sprechen aus dem Seufzer: „Streng und hart nennen sie einen,
wenn man darauf hält, daß sie wie Menschen reden, stehen und gehen sollen,
und daß sie den Dichter nicht zu Fetzen zerreißen. Dieses Geschlecht will aber
immer auf dem Seile tanzen, ehe es noch zu ebener Erde sich gerade halte»
kann. Die Elemente der Kunst sind vergessen, das ist das Haupt- und Grund-
übel; die Schüler meinen bei dem beginnen zu können, womit der Meister auf¬
hört." Im Jahre 1840 läßt er sich noch einmal über Berlin vernehmen: „Die
deutsche Bühne fährt fort, zu jedem Tage ihr Scherflein Unsinn beizusteuern."

Ebendaher eine Stimme aus Schauspiclerkreisen. Eduard Devrient
sagt: „Der Beifall der Menge ist freilich ein gefährlich Ding, und ich fühle
zu genau, wie der Schauspieler alltäglich sich die eigentliche Würde nud Höhe
seines Berufes vors Auge halte» muß, um sich nicht der weichen Beifallswogc
zu überlassen, die, wie Sie nur zu richtig sagen, durch so kleine Künste zu erreiche»
ist. So »nähmlich der Künstler dem Prediger sein soll, darin muß er ihm
gleichstehen, daß er den Leuten zeige, was sie erfahren sollen, nicht was sie er¬
fahren wollen. Überhaupt giebt es vielleicht keinen Stand, von dem so sehr
eine Fülle der Tugenden gefordert wird, als der unsrige. Selbstverleugnend
sollen wir sein beim größten Anreiz zur Eitelkeit und Selbstsucht, uns aufgebe»
an das Totale einer Darstellung, wo es so leicht ist, sich abgesonderten Vorteil
und Beifall zu verdienen, das Höchste und Vergeistigte immerfort anbieten, wo
es wenig geschätzt, dagegen das Geringe und Gemeine begierig verlangt wird
und reichlich gelohnt." Von einem Vereine der Schauspieler erwartete Devrient
eine Zeit lang das Beste. Doch bald mußte er enttäuscht bekennen! „Ich
dachte, dieser Verein sollte eine Gesinnung unter uns wecken, vergaß aber, daß
sie für das Bestehen des Vereins schon vorhanden sein müßte. ... Im all¬
gemeine» haben die Schauspieler keinen Respekt vor ihrem Berufe, und daher
mißbrauchen sie ihn. Es scheint, der Mensch achtet nur, was ihm sauer
wird; wenn die jungen Schauspieler arbeiten müßten, bevor sie zur Pro¬
duktion zugelassen würden wie alle andern Künstler, so würden sie mit
mehr Ernst und Achtung daran gehen, sie würden beim Studiren gelernt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/157>, abgerufen am 28.07.2024.