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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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als ein horniges, heiteres Element gegolten, wie ja Herr Beyer selbst seine "süßlich
leichte Manier" hervorhebt.

Aber lassen wir ab, die Haltlosigkeit des Verfassers in solch einem einzelnen
Punkte weiter zu zergliedern. Wollten wir nur den Abschnitt vom Gleichklang,
wo doch alles verhältnismäßig ziemlich einfach liegt, einer solchen Prüfung unter¬
werfen, so wäre kein Ende zu finden. Sehen wir vielmehr zu, wie es sich mit
Herrn Beyers Hauptthal, worauf er das meiste Gewicht legt und was auch
uns am meisten interessirt, nämlich mit dem Aufbau der deutsch-nationalen
Prosodie verhält.

Mit Recht geht der Verfasser davon aus, daß unsre Sprache eine accen-
tuirende ist und Länge und Kürze im Sinne der antiken Metrik nicht kennt.
Sehr richtig sagt er: "Eine quantitircnde Prosodik ist eine Versündigung am
deutscheu Sprachgeist." Die Nachahmung antiker Strophen erklärt er für einen
geschichtlich überwundenen Standpunkt, insbesondre verwirft er jene cmtikisirendcn
Strophen, "deren Schema das Ohr nicht mehr festzuhalten vermag, ohne durch
das Auge sich zu unterstützen." Aber stutzig wird mau schon, wenn zugleich
der "verdiente," der "treffliche" Minckwitz gelobt wird. Gerade Minckwitz hat
mit seinen Lehrbüchern bis in die neueste Zeit herein den meisten Schaden ge¬
stiftet, gerade er ist der Hauptrepräsentant jener Dichterlinge, die ihre Impotenz
unter solchen von ihnen für klassisch ausgegebenen antiken Meeren, welche erst
durch Häkchen und Strichelchen als Verse kenntlich gemacht werden müssen, zu
verstecken suchen. Daß Herr Beyer, statt sich mit aller Energie gegen diesen
Poetaster und traurigen Ästhetiker zu wenden, sich zu schwächlichen Lobeser¬
hebungen herbeiläßt, macht uns schon für seine Konsequenz bange. In der That
geht ihm diese auch hier, auf seinem wichtigsten Arbeitsfelde, ab.

Das logische Aecentprinzip der deutschen Sprache ist keine neue Ent¬
deckung, und daß auf ihm allein die naturgemäße und wahrhaft nationale Vers¬
kunst beruht, haben längst andre erkannt und vielfach ausgesprochen. Auch unsre
Dichter haben Gott sei Dank von jeher in überwiegender Mehrzahl ihre Verse
im Einklang mit dem deutschen Sprachgeiste gebaut. Es kam nur darauf an,
dies Sprach- und Versprinzip mit aller Folgerichtigkeit bis ins Einzelne zu
verfolgen und nachzuweisen und die aus ihm sich ergebenden Gesetze mit Be¬
stimmtheit aufzustellen. Diese Folgerichtigkeit vermag der Verfasser nicht zu
entwickeln. Es bleibt bei dem Anlauf, und wie Bleigewichte hängen sich die
Schulreminiscenzen von Länge, Kürze, Spondeus u. s. w. an seine Fersen. Die
Quantität, die er zur Vorderthür hinausgeworfen hatte, führt er zur Hinter¬
pforte eigenhändig wieder herein.

Der Verfasser kann sich von den durch die antiken quantitirenden Verse
hervorgerufenen Anschauungen nicht losringen. Trotz der Hervorhebung der
Verschiedenheit von Accent und Länge statuirt er auch für unsre Sprache "eine
Art Quantität," da der deutsche Accent die Silbe lang mache. Wie herrlich,


Line deutsch-nationale Verslehre.

als ein horniges, heiteres Element gegolten, wie ja Herr Beyer selbst seine „süßlich
leichte Manier" hervorhebt.

Aber lassen wir ab, die Haltlosigkeit des Verfassers in solch einem einzelnen
Punkte weiter zu zergliedern. Wollten wir nur den Abschnitt vom Gleichklang,
wo doch alles verhältnismäßig ziemlich einfach liegt, einer solchen Prüfung unter¬
werfen, so wäre kein Ende zu finden. Sehen wir vielmehr zu, wie es sich mit
Herrn Beyers Hauptthal, worauf er das meiste Gewicht legt und was auch
uns am meisten interessirt, nämlich mit dem Aufbau der deutsch-nationalen
Prosodie verhält.

Mit Recht geht der Verfasser davon aus, daß unsre Sprache eine accen-
tuirende ist und Länge und Kürze im Sinne der antiken Metrik nicht kennt.
Sehr richtig sagt er: „Eine quantitircnde Prosodik ist eine Versündigung am
deutscheu Sprachgeist." Die Nachahmung antiker Strophen erklärt er für einen
geschichtlich überwundenen Standpunkt, insbesondre verwirft er jene cmtikisirendcn
Strophen, „deren Schema das Ohr nicht mehr festzuhalten vermag, ohne durch
das Auge sich zu unterstützen." Aber stutzig wird mau schon, wenn zugleich
der „verdiente," der „treffliche" Minckwitz gelobt wird. Gerade Minckwitz hat
mit seinen Lehrbüchern bis in die neueste Zeit herein den meisten Schaden ge¬
stiftet, gerade er ist der Hauptrepräsentant jener Dichterlinge, die ihre Impotenz
unter solchen von ihnen für klassisch ausgegebenen antiken Meeren, welche erst
durch Häkchen und Strichelchen als Verse kenntlich gemacht werden müssen, zu
verstecken suchen. Daß Herr Beyer, statt sich mit aller Energie gegen diesen
Poetaster und traurigen Ästhetiker zu wenden, sich zu schwächlichen Lobeser¬
hebungen herbeiläßt, macht uns schon für seine Konsequenz bange. In der That
geht ihm diese auch hier, auf seinem wichtigsten Arbeitsfelde, ab.

Das logische Aecentprinzip der deutschen Sprache ist keine neue Ent¬
deckung, und daß auf ihm allein die naturgemäße und wahrhaft nationale Vers¬
kunst beruht, haben längst andre erkannt und vielfach ausgesprochen. Auch unsre
Dichter haben Gott sei Dank von jeher in überwiegender Mehrzahl ihre Verse
im Einklang mit dem deutschen Sprachgeiste gebaut. Es kam nur darauf an,
dies Sprach- und Versprinzip mit aller Folgerichtigkeit bis ins Einzelne zu
verfolgen und nachzuweisen und die aus ihm sich ergebenden Gesetze mit Be¬
stimmtheit aufzustellen. Diese Folgerichtigkeit vermag der Verfasser nicht zu
entwickeln. Es bleibt bei dem Anlauf, und wie Bleigewichte hängen sich die
Schulreminiscenzen von Länge, Kürze, Spondeus u. s. w. an seine Fersen. Die
Quantität, die er zur Vorderthür hinausgeworfen hatte, führt er zur Hinter¬
pforte eigenhändig wieder herein.

Der Verfasser kann sich von den durch die antiken quantitirenden Verse
hervorgerufenen Anschauungen nicht losringen. Trotz der Hervorhebung der
Verschiedenheit von Accent und Länge statuirt er auch für unsre Sprache „eine
Art Quantität," da der deutsche Accent die Silbe lang mache. Wie herrlich,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/140>, abgerufen am 27.07.2024.