Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Georg Vaitz,

scheinen auch für Waitz als Richtschnur gegolten zu haben, Waitz verschmähte
jede" oratorischen Effekt, sein Vortrag wirkte durch seinen Inhalt. Und doch
war jedes Wort bedacht. Überall tiefes, gründliches Studium der Quellen
und der einschlägigen Literatur, wunderbare logische Klarheit, Zusammenfassen
und Hervorheben der bedeutenden Momente. Das Werden der deutschen Volks¬
entwicklung trat den Hörern in großen, mächtigen Züge" vor Augen. Innerlich
erwärmte sich der anscheinend so ruhige Lehrer doch an den großen Person--
lichkeiten, die die Träger unsres nationalen Lebens waren; vielleicht am schönsten
war die kurze, tiefgefühlte Schilderung Luthers. Vielfach stritten die Studenten,
welche von den Vorlesungen ihnen am meisten gefallen; die Mehrzahl entschied
sich für die allgemeine Verfassungsgeschichte, die augenscheinlich auch dieLieblings-
vorlesung unsres Lehrers war, andre wieder zogen die deutsche Geschichte, uoch
andre das Kolleg über deutsche Altertümer vor. Jede Vorlesung aber regte
zum Selbststudium an; wer sein, bei einiger Übung im Nachschreiben, gut
geführtes Heft mit den Quellen zur Seite durcharbeitete, hatte erst den rechten
Gewinn.

Und soll ich nun noch die größern wissenschaftlichen Arbeiten unsres Lehrers
besprechen, sein Lebenswerk, die deutsche Verfassungsgeschichte, die bis zu den
Anfängen der staufischen Zeit fortgeführt ist, in acht stattlichen Bänden, von
denen die ersten drei nun in dritter und zweiter Auflage vorliegen? seine drei
starken Bände über Jürgen Wullenweber? seine groß angelegte Geschichte von
Schleswig-Holstein? Sie alle werden, so lange die deutsche Geschichtsforschung
blüht, Bestand haben. Namentlich die deutsche Verfassungsgeschichte. Hier ist
zum erstenmal mit dem Wust früherer Darstellungen aufgeräumt, ein positives
Neues aus den Quellen heraus gegeben. Überall in den Waitzschcn Arbeiten
zeigt sich die strengste Objektivität, das Ich des Verfassers tritt ganz und
gar in den Hintergrund. In den neuen Auflagen der Verfassungsgeschichte
bewundern wir immer von neuem die Fülle vou Gelehrsamkeit, die in den
Noten aufgespeichert ist; man darf wohl sagen, daß auch die kleinste Arbeit
neuerer Gelehrten berücksichtigt worden, daß überall, auch da, wo der Widerspruch
sich geltend machte, die Resultate, die andre Forscher gefunden, beachtet worden
sind. In der Vorrede zur dritten Auflage des ersten Bandes finden sich fol¬
gende Worte, die mir am besten das Wesen und den tiefen Ernst der Waitzschen
Forschung zu kennzeichnen scheinen: "Wenn ich . . . viel im einzelnen, aber
wenig in der ganzen Auffassung der altdeutschen Verfassung zu ändern fand,
so mag das verschieden beurteilt werden. Ich bekenne offen, daß ich mit einem
Verfahren, das in neuester Zeit aus dem Gebiete der Rechts- und Verfassungs¬
geschichte beobachtet wird, mich nicht befreunden, in ihm nur eine Gefahr für
die richtige Erkenntnis der Dinge erblicken kann. Es gilt wohl die Bedeutung
und den Zusammenhang der Erscheinungen zu erkennen, aber nicht die Vor¬
stellungen, die wir uns davon macheu, diesen unterzulegen oder gar die Zeug-


Georg Vaitz,

scheinen auch für Waitz als Richtschnur gegolten zu haben, Waitz verschmähte
jede» oratorischen Effekt, sein Vortrag wirkte durch seinen Inhalt. Und doch
war jedes Wort bedacht. Überall tiefes, gründliches Studium der Quellen
und der einschlägigen Literatur, wunderbare logische Klarheit, Zusammenfassen
und Hervorheben der bedeutenden Momente. Das Werden der deutschen Volks¬
entwicklung trat den Hörern in großen, mächtigen Züge» vor Augen. Innerlich
erwärmte sich der anscheinend so ruhige Lehrer doch an den großen Person--
lichkeiten, die die Träger unsres nationalen Lebens waren; vielleicht am schönsten
war die kurze, tiefgefühlte Schilderung Luthers. Vielfach stritten die Studenten,
welche von den Vorlesungen ihnen am meisten gefallen; die Mehrzahl entschied
sich für die allgemeine Verfassungsgeschichte, die augenscheinlich auch dieLieblings-
vorlesung unsres Lehrers war, andre wieder zogen die deutsche Geschichte, uoch
andre das Kolleg über deutsche Altertümer vor. Jede Vorlesung aber regte
zum Selbststudium an; wer sein, bei einiger Übung im Nachschreiben, gut
geführtes Heft mit den Quellen zur Seite durcharbeitete, hatte erst den rechten
Gewinn.

Und soll ich nun noch die größern wissenschaftlichen Arbeiten unsres Lehrers
besprechen, sein Lebenswerk, die deutsche Verfassungsgeschichte, die bis zu den
Anfängen der staufischen Zeit fortgeführt ist, in acht stattlichen Bänden, von
denen die ersten drei nun in dritter und zweiter Auflage vorliegen? seine drei
starken Bände über Jürgen Wullenweber? seine groß angelegte Geschichte von
Schleswig-Holstein? Sie alle werden, so lange die deutsche Geschichtsforschung
blüht, Bestand haben. Namentlich die deutsche Verfassungsgeschichte. Hier ist
zum erstenmal mit dem Wust früherer Darstellungen aufgeräumt, ein positives
Neues aus den Quellen heraus gegeben. Überall in den Waitzschcn Arbeiten
zeigt sich die strengste Objektivität, das Ich des Verfassers tritt ganz und
gar in den Hintergrund. In den neuen Auflagen der Verfassungsgeschichte
bewundern wir immer von neuem die Fülle vou Gelehrsamkeit, die in den
Noten aufgespeichert ist; man darf wohl sagen, daß auch die kleinste Arbeit
neuerer Gelehrten berücksichtigt worden, daß überall, auch da, wo der Widerspruch
sich geltend machte, die Resultate, die andre Forscher gefunden, beachtet worden
sind. In der Vorrede zur dritten Auflage des ersten Bandes finden sich fol¬
gende Worte, die mir am besten das Wesen und den tiefen Ernst der Waitzschen
Forschung zu kennzeichnen scheinen: „Wenn ich . . . viel im einzelnen, aber
wenig in der ganzen Auffassung der altdeutschen Verfassung zu ändern fand,
so mag das verschieden beurteilt werden. Ich bekenne offen, daß ich mit einem
Verfahren, das in neuester Zeit aus dem Gebiete der Rechts- und Verfassungs¬
geschichte beobachtet wird, mich nicht befreunden, in ihm nur eine Gefahr für
die richtige Erkenntnis der Dinge erblicken kann. Es gilt wohl die Bedeutung
und den Zusammenhang der Erscheinungen zu erkennen, aber nicht die Vor¬
stellungen, die wir uns davon macheu, diesen unterzulegen oder gar die Zeug-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154299"/>
          <fw type="header" place="top"> Georg Vaitz,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_343" prev="#ID_342"> scheinen auch für Waitz als Richtschnur gegolten zu haben, Waitz verschmähte<lb/>
jede» oratorischen Effekt, sein Vortrag wirkte durch seinen Inhalt. Und doch<lb/>
war jedes Wort bedacht. Überall tiefes, gründliches Studium der Quellen<lb/>
und der einschlägigen Literatur, wunderbare logische Klarheit, Zusammenfassen<lb/>
und Hervorheben der bedeutenden Momente. Das Werden der deutschen Volks¬<lb/>
entwicklung trat den Hörern in großen, mächtigen Züge» vor Augen. Innerlich<lb/>
erwärmte sich der anscheinend so ruhige Lehrer doch an den großen Person--<lb/>
lichkeiten, die die Träger unsres nationalen Lebens waren; vielleicht am schönsten<lb/>
war die kurze, tiefgefühlte Schilderung Luthers. Vielfach stritten die Studenten,<lb/>
welche von den Vorlesungen ihnen am meisten gefallen; die Mehrzahl entschied<lb/>
sich für die allgemeine Verfassungsgeschichte, die augenscheinlich auch dieLieblings-<lb/>
vorlesung unsres Lehrers war, andre wieder zogen die deutsche Geschichte, uoch<lb/>
andre das Kolleg über deutsche Altertümer vor. Jede Vorlesung aber regte<lb/>
zum Selbststudium an; wer sein, bei einiger Übung im Nachschreiben, gut<lb/>
geführtes Heft mit den Quellen zur Seite durcharbeitete, hatte erst den rechten<lb/>
Gewinn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_344" next="#ID_345"> Und soll ich nun noch die größern wissenschaftlichen Arbeiten unsres Lehrers<lb/>
besprechen, sein Lebenswerk, die deutsche Verfassungsgeschichte, die bis zu den<lb/>
Anfängen der staufischen Zeit fortgeführt ist, in acht stattlichen Bänden, von<lb/>
denen die ersten drei nun in dritter und zweiter Auflage vorliegen? seine drei<lb/>
starken Bände über Jürgen Wullenweber? seine groß angelegte Geschichte von<lb/>
Schleswig-Holstein? Sie alle werden, so lange die deutsche Geschichtsforschung<lb/>
blüht, Bestand haben. Namentlich die deutsche Verfassungsgeschichte. Hier ist<lb/>
zum erstenmal mit dem Wust früherer Darstellungen aufgeräumt, ein positives<lb/>
Neues aus den Quellen heraus gegeben. Überall in den Waitzschcn Arbeiten<lb/>
zeigt sich die strengste Objektivität, das Ich des Verfassers tritt ganz und<lb/>
gar in den Hintergrund. In den neuen Auflagen der Verfassungsgeschichte<lb/>
bewundern wir immer von neuem die Fülle vou Gelehrsamkeit, die in den<lb/>
Noten aufgespeichert ist; man darf wohl sagen, daß auch die kleinste Arbeit<lb/>
neuerer Gelehrten berücksichtigt worden, daß überall, auch da, wo der Widerspruch<lb/>
sich geltend machte, die Resultate, die andre Forscher gefunden, beachtet worden<lb/>
sind. In der Vorrede zur dritten Auflage des ersten Bandes finden sich fol¬<lb/>
gende Worte, die mir am besten das Wesen und den tiefen Ernst der Waitzschen<lb/>
Forschung zu kennzeichnen scheinen: &#x201E;Wenn ich . . . viel im einzelnen, aber<lb/>
wenig in der ganzen Auffassung der altdeutschen Verfassung zu ändern fand,<lb/>
so mag das verschieden beurteilt werden. Ich bekenne offen, daß ich mit einem<lb/>
Verfahren, das in neuester Zeit aus dem Gebiete der Rechts- und Verfassungs¬<lb/>
geschichte beobachtet wird, mich nicht befreunden, in ihm nur eine Gefahr für<lb/>
die richtige Erkenntnis der Dinge erblicken kann. Es gilt wohl die Bedeutung<lb/>
und den Zusammenhang der Erscheinungen zu erkennen, aber nicht die Vor¬<lb/>
stellungen, die wir uns davon macheu, diesen unterzulegen oder gar die Zeug-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0134] Georg Vaitz, scheinen auch für Waitz als Richtschnur gegolten zu haben, Waitz verschmähte jede» oratorischen Effekt, sein Vortrag wirkte durch seinen Inhalt. Und doch war jedes Wort bedacht. Überall tiefes, gründliches Studium der Quellen und der einschlägigen Literatur, wunderbare logische Klarheit, Zusammenfassen und Hervorheben der bedeutenden Momente. Das Werden der deutschen Volks¬ entwicklung trat den Hörern in großen, mächtigen Züge» vor Augen. Innerlich erwärmte sich der anscheinend so ruhige Lehrer doch an den großen Person-- lichkeiten, die die Träger unsres nationalen Lebens waren; vielleicht am schönsten war die kurze, tiefgefühlte Schilderung Luthers. Vielfach stritten die Studenten, welche von den Vorlesungen ihnen am meisten gefallen; die Mehrzahl entschied sich für die allgemeine Verfassungsgeschichte, die augenscheinlich auch dieLieblings- vorlesung unsres Lehrers war, andre wieder zogen die deutsche Geschichte, uoch andre das Kolleg über deutsche Altertümer vor. Jede Vorlesung aber regte zum Selbststudium an; wer sein, bei einiger Übung im Nachschreiben, gut geführtes Heft mit den Quellen zur Seite durcharbeitete, hatte erst den rechten Gewinn. Und soll ich nun noch die größern wissenschaftlichen Arbeiten unsres Lehrers besprechen, sein Lebenswerk, die deutsche Verfassungsgeschichte, die bis zu den Anfängen der staufischen Zeit fortgeführt ist, in acht stattlichen Bänden, von denen die ersten drei nun in dritter und zweiter Auflage vorliegen? seine drei starken Bände über Jürgen Wullenweber? seine groß angelegte Geschichte von Schleswig-Holstein? Sie alle werden, so lange die deutsche Geschichtsforschung blüht, Bestand haben. Namentlich die deutsche Verfassungsgeschichte. Hier ist zum erstenmal mit dem Wust früherer Darstellungen aufgeräumt, ein positives Neues aus den Quellen heraus gegeben. Überall in den Waitzschcn Arbeiten zeigt sich die strengste Objektivität, das Ich des Verfassers tritt ganz und gar in den Hintergrund. In den neuen Auflagen der Verfassungsgeschichte bewundern wir immer von neuem die Fülle vou Gelehrsamkeit, die in den Noten aufgespeichert ist; man darf wohl sagen, daß auch die kleinste Arbeit neuerer Gelehrten berücksichtigt worden, daß überall, auch da, wo der Widerspruch sich geltend machte, die Resultate, die andre Forscher gefunden, beachtet worden sind. In der Vorrede zur dritten Auflage des ersten Bandes finden sich fol¬ gende Worte, die mir am besten das Wesen und den tiefen Ernst der Waitzschen Forschung zu kennzeichnen scheinen: „Wenn ich . . . viel im einzelnen, aber wenig in der ganzen Auffassung der altdeutschen Verfassung zu ändern fand, so mag das verschieden beurteilt werden. Ich bekenne offen, daß ich mit einem Verfahren, das in neuester Zeit aus dem Gebiete der Rechts- und Verfassungs¬ geschichte beobachtet wird, mich nicht befreunden, in ihm nur eine Gefahr für die richtige Erkenntnis der Dinge erblicken kann. Es gilt wohl die Bedeutung und den Zusammenhang der Erscheinungen zu erkennen, aber nicht die Vor¬ stellungen, die wir uns davon macheu, diesen unterzulegen oder gar die Zeug-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/134
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/134>, abgerufen am 27.07.2024.