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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini,

sie sich besser im Dunkeln gehalten hätte, 1)r. Spath verstand es, ihr in der
unmerklichsten Weise die nötigen Anleitungen zu gewähren, er gab die Weisungen
in Theatern, Konzerten und Ausstellungen, er besprach und kritisirte das Ge¬
sehene und Gehörte und, da er ein Mann nicht ohne Urteil war, so brauchte
man nur Frau Geusve zu fragen, wenn man wissen wollte, wie geistreich Dr. Spath
über eine Sache dachte. Frau Bertha ihrerseits lohnte diese Bemühungen,
indem der neue Mentor stets bei ihr ein offenes Haus fand, mit ihr und der
Familie alle Vergnügungen mitmachte, ohne dafür zu bezahlen, und öfters ein
Darlehn von Herrn Genvve erhielt. Spath aß fast nie im Wirtshaus, denn
wenn er sonst nicht eingeladen war, ging er zu Genvve und, da er nach
mancher Richtung eine ökonomische Natur war, so gab er auch Trinkgelder nur
alumni im Jahre, nämlich zu Weihnachten, indem er behauptete, daß er dadurch
das Wohlverhalten der Dienstboten fördere und sich ein für allemale abfinde.
Jedoch scheinen diese Abfindungen nicht allzubedeutend gewesen zu sein, da die
Stubenmädchen wenig Sympathie für ihn hatten und ihm schon manches, das
er freundschaftlich in die Wangen kneifen wollte, ziemlich laut den Standpunkt
entwickelte, daß Sparsamkeit in Trinkgeldern und Kreisen in die Wangen doch
eine zu große Unverschämtheit wäre. Dies alles erschütterte aber seine Stellung
bei Genvve nicht; nur einmal hatte er sich stark verrechnet, indem er, als
Margarethe eben sechzehn Jahre alt geworden war, ihr einen Heiratsantrag
machte. Er dachte die junge Dame zu überrumpeln, diese aber verlachte ihn
und erzählte unter großer Heiterkeit die Werbung ihrer Mutter. Frau Genvve
faßte die Sache jedoch nicht von der lustigen Seite auf; sie hatte eine ernste
Unterredung mit ihm, erklärte rundweg, daß ihre Tochter für die diplomatische
oder adliche Karriere bestimmt sei, und daß Dr. Spath sich niemals Hoffnung
machen sollte, in diese Grundsätze Bresche zu legen. Würde er sich dergleichen
unerreichbare Ziele aus dem Kopfe schlagen, so soll er auch serner in ihrem
Kreise willkommen sein und alle Vorrechte eines bewährten Hausfreundes ge¬
nießen. Entgegengesetzten Falles müsse er suchen, wo Baurat Hitzig -- Frau
Genvve übersah keine Gelegenheit, den berühmten Erbauer ihres Hauses zu
nennen -- den Ausgang aus demselben konstruirt habe. Diese entschiedene
Sprache verfehlte ihre Wirkung nicht; I)r. Spath lenkte mit Jammer und
Seufzen ein und begnügte sich als Abfindung seiner heiligsten Gefühle mit der
Aufnahme eines größern Darlehns bei Papa Genvve. Letzterer mußte sich hierzu
umsomehr verstehen, als dadurch seiner Frau ein nützlicher Freund erhalten
blieb. Dr. Spath aber ließ die Erfahrung nicht ungenutzt; er hatte die Grenzen
seines Einflusses erkannt und hütete sich für die Zukunft, dieselben zu über¬
schreiten, sondern blieb nach wie vor Freund des Hauses, nahm ab und zu ein
Darlehn auf, machte dagegen zur großen Genugthuung von Frau Bertha auf
andre "unerreichbare Ziele" keinen Anspruch mehr.

Dies war die Physiognomie, das Entstehen und Wachsen des Hauses


Francesca von Rimini,

sie sich besser im Dunkeln gehalten hätte, 1)r. Spath verstand es, ihr in der
unmerklichsten Weise die nötigen Anleitungen zu gewähren, er gab die Weisungen
in Theatern, Konzerten und Ausstellungen, er besprach und kritisirte das Ge¬
sehene und Gehörte und, da er ein Mann nicht ohne Urteil war, so brauchte
man nur Frau Geusve zu fragen, wenn man wissen wollte, wie geistreich Dr. Spath
über eine Sache dachte. Frau Bertha ihrerseits lohnte diese Bemühungen,
indem der neue Mentor stets bei ihr ein offenes Haus fand, mit ihr und der
Familie alle Vergnügungen mitmachte, ohne dafür zu bezahlen, und öfters ein
Darlehn von Herrn Genvve erhielt. Spath aß fast nie im Wirtshaus, denn
wenn er sonst nicht eingeladen war, ging er zu Genvve und, da er nach
mancher Richtung eine ökonomische Natur war, so gab er auch Trinkgelder nur
alumni im Jahre, nämlich zu Weihnachten, indem er behauptete, daß er dadurch
das Wohlverhalten der Dienstboten fördere und sich ein für allemale abfinde.
Jedoch scheinen diese Abfindungen nicht allzubedeutend gewesen zu sein, da die
Stubenmädchen wenig Sympathie für ihn hatten und ihm schon manches, das
er freundschaftlich in die Wangen kneifen wollte, ziemlich laut den Standpunkt
entwickelte, daß Sparsamkeit in Trinkgeldern und Kreisen in die Wangen doch
eine zu große Unverschämtheit wäre. Dies alles erschütterte aber seine Stellung
bei Genvve nicht; nur einmal hatte er sich stark verrechnet, indem er, als
Margarethe eben sechzehn Jahre alt geworden war, ihr einen Heiratsantrag
machte. Er dachte die junge Dame zu überrumpeln, diese aber verlachte ihn
und erzählte unter großer Heiterkeit die Werbung ihrer Mutter. Frau Genvve
faßte die Sache jedoch nicht von der lustigen Seite auf; sie hatte eine ernste
Unterredung mit ihm, erklärte rundweg, daß ihre Tochter für die diplomatische
oder adliche Karriere bestimmt sei, und daß Dr. Spath sich niemals Hoffnung
machen sollte, in diese Grundsätze Bresche zu legen. Würde er sich dergleichen
unerreichbare Ziele aus dem Kopfe schlagen, so soll er auch serner in ihrem
Kreise willkommen sein und alle Vorrechte eines bewährten Hausfreundes ge¬
nießen. Entgegengesetzten Falles müsse er suchen, wo Baurat Hitzig — Frau
Genvve übersah keine Gelegenheit, den berühmten Erbauer ihres Hauses zu
nennen — den Ausgang aus demselben konstruirt habe. Diese entschiedene
Sprache verfehlte ihre Wirkung nicht; I)r. Spath lenkte mit Jammer und
Seufzen ein und begnügte sich als Abfindung seiner heiligsten Gefühle mit der
Aufnahme eines größern Darlehns bei Papa Genvve. Letzterer mußte sich hierzu
umsomehr verstehen, als dadurch seiner Frau ein nützlicher Freund erhalten
blieb. Dr. Spath aber ließ die Erfahrung nicht ungenutzt; er hatte die Grenzen
seines Einflusses erkannt und hütete sich für die Zukunft, dieselben zu über¬
schreiten, sondern blieb nach wie vor Freund des Hauses, nahm ab und zu ein
Darlehn auf, machte dagegen zur großen Genugthuung von Frau Bertha auf
andre „unerreichbare Ziele" keinen Anspruch mehr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/120>, abgerufen am 27.07.2024.