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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

bewegte sich Herr Christian August Wilhelm Cohnstein, der im allgemeinen ein
Stillleben in den Feuilletons der Berliner Zeitungen führte und die Kunst
besaß, über irgend eine Kleinigkeit, z, B, eine neue Pferdebcchnlinie, gleichzeitig
vier bis fünf geistreiche Artikel zu schreiben, die er im "Barbier" als Na-sans
as ehr, in der "Nymphe" als Omega und in andern ähnlichen Journalen mit
den verschiedensten dem Pariser Figaro entlehnten Kriegsnamen zeichnete. In
Gesellschaften war er ein Liebling der Damen, für die er allerlei Bonmots und
Taschcnspielerkünste hatte, und im übrigen zeichnete er sich bei Tische durch einen
Pyramidalen Appetit und Durst ans. Violinspieler vierter und fünfter Güte,
Klaviervirtuosen, die schon mehrfach Schiffbruch erlitten hatten, sie alle fanden
bei Frau Berthe- Genöve gastfreie Aufnahme. Die Gesellschaft wechselte oft;
nicht selten benutzte Herr Genöve seine literarischen Beziehungen zu irgend einem
Börsenkoup und glaubte sich für diese Unterstützung schon durch die Einladung
zu einem Diner genügend abgefunden zu haben. Wenn dann der betreffende
Schriftsteller, der so finanziell tiefe Anschauungen über die von Herrn Genöve
eingeführten Jdahoe-Aktien entwickelt hatte, seinen der Firma geleisteten Dienst
selbst in eine Anleihe bei dem Hanse Genöve und Comp. konvertircn wollte,
so gab es Differenzen. In der Regel fand der Autor nur ein halbes Entgegen¬
kommen, d. h. er mußte sich mit fünfzig Prozent der geforderten Summe begnügen
und vergaß dann häufig das Wiederkommen oder wurde nicht mehr geladen.
Jenes Darlehn aber verpflichtete ihn doch genügend, um sich seinerseits in seinem
Blatte keine Indiskretion gegen Genöve und Comp. gestatten zu dürfen. Habitus
war nur Dr. Spath, obwohl dieser in Bezug auf Anlehen sich tief in der Kreide-
formation befand; denn er hatte es verstanden, sich bei Frau Genöve unent-
behrlich zu machen. Er war in Petersburg Hauslehrer bei einem russischen
Fürsten gewesen und fortgejagt worden, weil er nicht nur mit der Kammerzofe,
sondern auch mit der noch unerwachsenen Tochter des Hauses die g.rs auiMäi
Praktisch zu dozircn begann. Eine Anzeige bei den Behörden würde ihm auf
mehrere Jahre eine Anweisung für ein Zuchthaus oder für Sibirien verschafft
haben, allein diese Anzeige unterblieb selbstverständlich mit Rücksicht ans das
junge fürstliche Kind. Dr. Spath war nach Berlin zurückgekehrt, wo er als
Märtyrer auftrat, den seine Propaganda für das liberale Deutschtum in Rußland
unmöglich gemacht hätte. Die liberalen Häupter und Zeitungen hatten aber die
Verbindung mit diesem politischen Märtyrer abgelehnt, wie es scheint, weil die
über ihn aus Se. Petersburg eingeholte Auskunft den Grund seines Weggehens
von dort in einen gewissen, dunkel gebliebenen Zweifel stellte. Nachdem die
Politische Entree mißlungen war, führte sich or. Spath in die reichen Bankiers¬
familien ein und verstand es, dort festern Fuß zu fassen. Er besaß die Kunst,
den Menschen schnell ihre Schwächen abzusehen und sich diese nutzbar zu machen.
Er bemerkte schnell, daß Frau Genöve vielfach wegen ihrer mangelhaften Er¬
ziehung und Bildung in Verlegenheit geriet und doch da glänzen wollte, wo


Francesca von Rimini.

bewegte sich Herr Christian August Wilhelm Cohnstein, der im allgemeinen ein
Stillleben in den Feuilletons der Berliner Zeitungen führte und die Kunst
besaß, über irgend eine Kleinigkeit, z, B, eine neue Pferdebcchnlinie, gleichzeitig
vier bis fünf geistreiche Artikel zu schreiben, die er im „Barbier" als Na-sans
as ehr, in der „Nymphe" als Omega und in andern ähnlichen Journalen mit
den verschiedensten dem Pariser Figaro entlehnten Kriegsnamen zeichnete. In
Gesellschaften war er ein Liebling der Damen, für die er allerlei Bonmots und
Taschcnspielerkünste hatte, und im übrigen zeichnete er sich bei Tische durch einen
Pyramidalen Appetit und Durst ans. Violinspieler vierter und fünfter Güte,
Klaviervirtuosen, die schon mehrfach Schiffbruch erlitten hatten, sie alle fanden
bei Frau Berthe- Genöve gastfreie Aufnahme. Die Gesellschaft wechselte oft;
nicht selten benutzte Herr Genöve seine literarischen Beziehungen zu irgend einem
Börsenkoup und glaubte sich für diese Unterstützung schon durch die Einladung
zu einem Diner genügend abgefunden zu haben. Wenn dann der betreffende
Schriftsteller, der so finanziell tiefe Anschauungen über die von Herrn Genöve
eingeführten Jdahoe-Aktien entwickelt hatte, seinen der Firma geleisteten Dienst
selbst in eine Anleihe bei dem Hanse Genöve und Comp. konvertircn wollte,
so gab es Differenzen. In der Regel fand der Autor nur ein halbes Entgegen¬
kommen, d. h. er mußte sich mit fünfzig Prozent der geforderten Summe begnügen
und vergaß dann häufig das Wiederkommen oder wurde nicht mehr geladen.
Jenes Darlehn aber verpflichtete ihn doch genügend, um sich seinerseits in seinem
Blatte keine Indiskretion gegen Genöve und Comp. gestatten zu dürfen. Habitus
war nur Dr. Spath, obwohl dieser in Bezug auf Anlehen sich tief in der Kreide-
formation befand; denn er hatte es verstanden, sich bei Frau Genöve unent-
behrlich zu machen. Er war in Petersburg Hauslehrer bei einem russischen
Fürsten gewesen und fortgejagt worden, weil er nicht nur mit der Kammerzofe,
sondern auch mit der noch unerwachsenen Tochter des Hauses die g.rs auiMäi
Praktisch zu dozircn begann. Eine Anzeige bei den Behörden würde ihm auf
mehrere Jahre eine Anweisung für ein Zuchthaus oder für Sibirien verschafft
haben, allein diese Anzeige unterblieb selbstverständlich mit Rücksicht ans das
junge fürstliche Kind. Dr. Spath war nach Berlin zurückgekehrt, wo er als
Märtyrer auftrat, den seine Propaganda für das liberale Deutschtum in Rußland
unmöglich gemacht hätte. Die liberalen Häupter und Zeitungen hatten aber die
Verbindung mit diesem politischen Märtyrer abgelehnt, wie es scheint, weil die
über ihn aus Se. Petersburg eingeholte Auskunft den Grund seines Weggehens
von dort in einen gewissen, dunkel gebliebenen Zweifel stellte. Nachdem die
Politische Entree mißlungen war, führte sich or. Spath in die reichen Bankiers¬
familien ein und verstand es, dort festern Fuß zu fassen. Er besaß die Kunst,
den Menschen schnell ihre Schwächen abzusehen und sich diese nutzbar zu machen.
Er bemerkte schnell, daß Frau Genöve vielfach wegen ihrer mangelhaften Er¬
ziehung und Bildung in Verlegenheit geriet und doch da glänzen wollte, wo


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/119>, abgerufen am 27.07.2024.