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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die internationale Kunstausstellung in München.

Krenz empor, das Zeichen des Sieges über den schwindenden Halbmond, dessen
letzte Vorkämpfer auf dem von der Stadt führenden Wege dem königlichen
Sieger nahen. Voran Boabdil, der letzte König, auf einem schwarzen Berber-
Hengste. Mit der ruhigen Vornehmheit des Orientalen, welcher auch im Un¬
glück seiner Würde nicht vergißt, schickt er sich an, die Schlüssel der Stadt dem
Überwinder darzureichen. Dieser vermag vor Ungeduld, vor Begierde nach dem
Genusse des endlichen Triumphes kaum noch an sich zu halten und die spa¬
nische Grandezza zu bewahren. Seine rechte Hand zuckt förmlich nach dem
Mauren hinüber, und auch aus Jsabellens stolzen Blicken schießt ein Blitz dämonischer
Siegesfreude auf den Gedemütigten. Im Hintergründe die eroberte Stadt, die Al-
hambra und die schneeige Kette der Sierra Nevada. Es war keine Kleinigkeit, in dem
kalten, zerstreuten Licht die zahlreichen Figuren mit plastischer Kraft hercms-
zumodelliren. Vielleicht hat aber gerade die Möglichkeit, überall graue Töne
einschalten zu können, dem Maler die Herstellung einer Harmonie zwischen den
prächtigen Farben erleichtert, welche die Gewänder des christlichen Königspaares
und seines Gefolges, des Maurenkönigs und seiner Begleiter zur Schau stellen.
Trotz dieser dem Auge sich aufdrängende" Kleiderpracht ist der Maler aber nicht
in einer leeren Zeremonie stecken geblieben, sondern er hat es durch die Kraft
seiner Charakteristik dem Beschauer unzweifelhaft gemacht, daß sich hier ein welt¬
geschichtliches Ereignis vollzieht. Wer den erstaunlichen Aufschwung, den die
europäische Historienmalerei während des letzten halben Jahrhunderts genommen
hat, richtig beurteilen will, der mag ein historisches Bild von Delaroche, von
C. F. Lessing oder Gallaits "Abdankung Karls V.," welche ungefähr am An¬
fang der neuen Epoche steht, mit der lebensvollen, durch und durch von der
Natur eingegebenen und doch überaus vornehmen Schöpfung Pradillas ver¬
gleichen. Man sollte nun meinen, daß der Künstler in diesem Bilde den voll¬
kommensten Ausdruck seines Wesens und Könnens gegeben habe. Dem ist aber
nicht so. Wir begegnen demselben Pradilla noch einmal auf drei kleinen, überaus
farbigen Bildchen, Szenen aus den Karneval in Rom darstellend. Sie sind
so skizzenhaft behandelt, wie es neuerdings Menzel liebt, etwa wie des letztem
"Abreise König Wilhelms zur Armee" nach der französischen Kriegserklärung,
ein Bild, welches jetzt wieder in München zu sehen ist und mit einigen meister¬
haften Porträts von Kraus die Ehre der Berliner Malerei rettet. Pradillas
Figuren send aber uoch kleiner als die Menzels, und seine Bilder, von denen
eines die Korsofahrt unter Blumeuregen, ein andres das Wettrennen der wilden
Pferde, it oorso ciel dg-rdari, schildert, sind mit diesen winzigen Figuren voll¬
gepfropft. Wenn man sich die Bilder aus unmittelbarer Nähe ansieht, em¬
pfängt man beinahe den Eindruck, als hätte jemand viele Farbentüben, wie sie
ihm gerade in die Hand kamen, nebeneinander ausgedrückt: lauter schreiend bunte
Farbenkleckse! Sobald man sich aber entfernt, kommt Leben und Artikulation
in diesen Wirrwarr hinein, und aus dem Knäuel von Farbenklecksen gestaltet


Die internationale Kunstausstellung in München.

Krenz empor, das Zeichen des Sieges über den schwindenden Halbmond, dessen
letzte Vorkämpfer auf dem von der Stadt führenden Wege dem königlichen
Sieger nahen. Voran Boabdil, der letzte König, auf einem schwarzen Berber-
Hengste. Mit der ruhigen Vornehmheit des Orientalen, welcher auch im Un¬
glück seiner Würde nicht vergißt, schickt er sich an, die Schlüssel der Stadt dem
Überwinder darzureichen. Dieser vermag vor Ungeduld, vor Begierde nach dem
Genusse des endlichen Triumphes kaum noch an sich zu halten und die spa¬
nische Grandezza zu bewahren. Seine rechte Hand zuckt förmlich nach dem
Mauren hinüber, und auch aus Jsabellens stolzen Blicken schießt ein Blitz dämonischer
Siegesfreude auf den Gedemütigten. Im Hintergründe die eroberte Stadt, die Al-
hambra und die schneeige Kette der Sierra Nevada. Es war keine Kleinigkeit, in dem
kalten, zerstreuten Licht die zahlreichen Figuren mit plastischer Kraft hercms-
zumodelliren. Vielleicht hat aber gerade die Möglichkeit, überall graue Töne
einschalten zu können, dem Maler die Herstellung einer Harmonie zwischen den
prächtigen Farben erleichtert, welche die Gewänder des christlichen Königspaares
und seines Gefolges, des Maurenkönigs und seiner Begleiter zur Schau stellen.
Trotz dieser dem Auge sich aufdrängende» Kleiderpracht ist der Maler aber nicht
in einer leeren Zeremonie stecken geblieben, sondern er hat es durch die Kraft
seiner Charakteristik dem Beschauer unzweifelhaft gemacht, daß sich hier ein welt¬
geschichtliches Ereignis vollzieht. Wer den erstaunlichen Aufschwung, den die
europäische Historienmalerei während des letzten halben Jahrhunderts genommen
hat, richtig beurteilen will, der mag ein historisches Bild von Delaroche, von
C. F. Lessing oder Gallaits „Abdankung Karls V.," welche ungefähr am An¬
fang der neuen Epoche steht, mit der lebensvollen, durch und durch von der
Natur eingegebenen und doch überaus vornehmen Schöpfung Pradillas ver¬
gleichen. Man sollte nun meinen, daß der Künstler in diesem Bilde den voll¬
kommensten Ausdruck seines Wesens und Könnens gegeben habe. Dem ist aber
nicht so. Wir begegnen demselben Pradilla noch einmal auf drei kleinen, überaus
farbigen Bildchen, Szenen aus den Karneval in Rom darstellend. Sie sind
so skizzenhaft behandelt, wie es neuerdings Menzel liebt, etwa wie des letztem
„Abreise König Wilhelms zur Armee" nach der französischen Kriegserklärung,
ein Bild, welches jetzt wieder in München zu sehen ist und mit einigen meister¬
haften Porträts von Kraus die Ehre der Berliner Malerei rettet. Pradillas
Figuren send aber uoch kleiner als die Menzels, und seine Bilder, von denen
eines die Korsofahrt unter Blumeuregen, ein andres das Wettrennen der wilden
Pferde, it oorso ciel dg-rdari, schildert, sind mit diesen winzigen Figuren voll¬
gepfropft. Wenn man sich die Bilder aus unmittelbarer Nähe ansieht, em¬
pfängt man beinahe den Eindruck, als hätte jemand viele Farbentüben, wie sie
ihm gerade in die Hand kamen, nebeneinander ausgedrückt: lauter schreiend bunte
Farbenkleckse! Sobald man sich aber entfernt, kommt Leben und Artikulation
in diesen Wirrwarr hinein, und aus dem Knäuel von Farbenklecksen gestaltet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/104>, abgerufen am 27.07.2024.