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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Das Schwurgericht.

unerläßliche Zahl der Zwölfe übrig bleibt, genügt ein Wort des Staatsanwalts
oder des Verteidigers, um dem Manne, den das Vertrauen des Gesetzes zum
Richteramte berufen hat, die Ausübung dieses Amtes zu untersagen. Freilich
kaun auch der berufsmäßige Richter nach Z 24 der Strafprozeßordnung "wegen
Besorgnis der Befangenheit" abgelehnt werden, "wenn ein Grund vorliegt,
welcher geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen";
aber dann ist ein solcher thatsächlicher Grund anzugeben und glaubhaft zu
machen, und über das Ablehnungsgesuch entscheidet, nach vorgängiger Äußerung
des Beanstandeten, eine richterliche Behörde. So entspricht es der Würde des
Richteramts, die durch eine willkürliche Verwerfung des Richters von seiten der
Parteien geradezu verhöhnt wird. Weshalb nun den Geschwornen gegenüber
die Gestattung einer solchen Parteiwillkür? Sicherlich nicht, weil eine Begrün¬
dung und Prüfung des Ablehnungsgesuches für das schwurgerichtliche Verfahren
zu umständlich sein würde. Da der zur Entscheidung geeignete Gerichtshof be¬
reit sitzt, da wegen der überschießenden Zahl der Geschwornen eine für be¬
gründet erachtete Ablehnung keine Beschlußunfähigkeit herbeiführen würde, da
auch den Parteien wochenlang vorher die Persönlichkeiten der mitwirkenden Ge¬
schwornen bekannt gemacht sind, sie also Zeit haben, ihre Anträge vorzubereiten,
so würde gerade bei den Schwurgerichten ein geordnetes Ablehnungsverfahren
nicht den mindesten Schwierigkeiten begegnen. Zudem bedenke man, daß in den
meisten Fällen, in welchen thatsächliche Gründe zum Mißtrauen gegen einen
Geschwornen vorliegen -- wenn er der Verletzte, oder mit dem Verletzten oder
andrerseits mit dem Angeklagten nahe verwandt ist, und dergleichen --, bereits
das Gesetz ihn von der Mitwirkung ausschließt, eine Ablehnung also nicht nötig
ist. Es würden hiernach Ablehnungsgesuche gegen Geschworne, zumal begründete
Ablehnungsgesuche, ebenso unendlich selten sein wie jetzt gegen Richter. Daß
statt dessen die Ablehnungen durch Belieben der Parteien in jeder Schwur¬
gerichtsverhandlung dutzendweise vorkommen, beweist schlagend, daß es sich hier
um etwas ganz andres handelt als nur um eine vereinfachte Geltendmachung
des im vorerwähnten Z 24 der Strafprozeßordnung bezeichneten Ablehnungs¬
rechtes. Es hat eben seinen guten Grund, wenn das Gesetz bei der Ablehnung
der Geschwornen die Angabe von Gründen nicht nur nicht verlangt, sondern
ausdrücklich verbietet G 233 der Strafprozeßordnung). Die Gründe, aus welche"
regelmäßigerweise Geschworne abgelehnt werden, sind solche, daß ihre Angabe
eine öffentliche Beleidigung der Abgelehnten enthalten würde. Abgesehen davon,
daß das Ablehnungsrecht gelegentlich auf Ansuchen mißbraucht wird, um einem
sitzungsunlustigen Geschwornen einen freien Tag zu verschaffen, geschieht seine
Anwendung durchweg, weil die geistige Beschränktheit des Betreffenden ihm vorn
Gesichte abzulesen oder anderweit bekannt oder zu vermuten ist, oder weil man
ihm schon seinem Stande nach kein unparteiisches Urteil in der Sache zutrauen
kann. Man würde es beispielsweise dein StantSanwalt zum schweren Vorwurfe


Das Schwurgericht.

unerläßliche Zahl der Zwölfe übrig bleibt, genügt ein Wort des Staatsanwalts
oder des Verteidigers, um dem Manne, den das Vertrauen des Gesetzes zum
Richteramte berufen hat, die Ausübung dieses Amtes zu untersagen. Freilich
kaun auch der berufsmäßige Richter nach Z 24 der Strafprozeßordnung „wegen
Besorgnis der Befangenheit" abgelehnt werden, „wenn ein Grund vorliegt,
welcher geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen";
aber dann ist ein solcher thatsächlicher Grund anzugeben und glaubhaft zu
machen, und über das Ablehnungsgesuch entscheidet, nach vorgängiger Äußerung
des Beanstandeten, eine richterliche Behörde. So entspricht es der Würde des
Richteramts, die durch eine willkürliche Verwerfung des Richters von seiten der
Parteien geradezu verhöhnt wird. Weshalb nun den Geschwornen gegenüber
die Gestattung einer solchen Parteiwillkür? Sicherlich nicht, weil eine Begrün¬
dung und Prüfung des Ablehnungsgesuches für das schwurgerichtliche Verfahren
zu umständlich sein würde. Da der zur Entscheidung geeignete Gerichtshof be¬
reit sitzt, da wegen der überschießenden Zahl der Geschwornen eine für be¬
gründet erachtete Ablehnung keine Beschlußunfähigkeit herbeiführen würde, da
auch den Parteien wochenlang vorher die Persönlichkeiten der mitwirkenden Ge¬
schwornen bekannt gemacht sind, sie also Zeit haben, ihre Anträge vorzubereiten,
so würde gerade bei den Schwurgerichten ein geordnetes Ablehnungsverfahren
nicht den mindesten Schwierigkeiten begegnen. Zudem bedenke man, daß in den
meisten Fällen, in welchen thatsächliche Gründe zum Mißtrauen gegen einen
Geschwornen vorliegen — wenn er der Verletzte, oder mit dem Verletzten oder
andrerseits mit dem Angeklagten nahe verwandt ist, und dergleichen —, bereits
das Gesetz ihn von der Mitwirkung ausschließt, eine Ablehnung also nicht nötig
ist. Es würden hiernach Ablehnungsgesuche gegen Geschworne, zumal begründete
Ablehnungsgesuche, ebenso unendlich selten sein wie jetzt gegen Richter. Daß
statt dessen die Ablehnungen durch Belieben der Parteien in jeder Schwur¬
gerichtsverhandlung dutzendweise vorkommen, beweist schlagend, daß es sich hier
um etwas ganz andres handelt als nur um eine vereinfachte Geltendmachung
des im vorerwähnten Z 24 der Strafprozeßordnung bezeichneten Ablehnungs¬
rechtes. Es hat eben seinen guten Grund, wenn das Gesetz bei der Ablehnung
der Geschwornen die Angabe von Gründen nicht nur nicht verlangt, sondern
ausdrücklich verbietet G 233 der Strafprozeßordnung). Die Gründe, aus welche»
regelmäßigerweise Geschworne abgelehnt werden, sind solche, daß ihre Angabe
eine öffentliche Beleidigung der Abgelehnten enthalten würde. Abgesehen davon,
daß das Ablehnungsrecht gelegentlich auf Ansuchen mißbraucht wird, um einem
sitzungsunlustigen Geschwornen einen freien Tag zu verschaffen, geschieht seine
Anwendung durchweg, weil die geistige Beschränktheit des Betreffenden ihm vorn
Gesichte abzulesen oder anderweit bekannt oder zu vermuten ist, oder weil man
ihm schon seinem Stande nach kein unparteiisches Urteil in der Sache zutrauen
kann. Man würde es beispielsweise dein StantSanwalt zum schweren Vorwurfe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/76>, abgerufen am 08.09.2024.