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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Aus dem Tchuldbuche der Fortschrittspartei.

von Bismarck am Steuer in den gührenden Ozean der europäischen Händel sich
hinauswagen soll. Dafür mag stimmen, wer will, ich vermag es nicht, und ich
hoffe, Sie alle werden es nicht vermögen."

Schöne Bilder, schönes Pathos! Wir sehen den Redner im Schwung seiner
Überzeugung, von der Glut seines Schmerzes erröten, aber von welchem Gefühl
würde er wohl jetzt erröten, wenn er das Echo seiner damaligen Tiraden hörte?

Als im Frühjahr 1863 die Schleswig-holsteinische Frage wieder mehr in
Fluß kam, indem die Kopenhagens Regierung mit dem Erlaß vom 30. März
die Stellung Holsteins zur dänischen Monarchie in einer die Vereinbarungen
von 1852 verletzenden Weise ordnen wollte und Bismarck dagegen (beiläufig
im Einklange mit Österreich) energisch Verwahrung einlegte, erklärte der Abge¬
ordnete Tochter, sonst keiner von den schlimmsten, im Landtage: "Die Dänen
würden schwerlich in diesem Augenblicke den flagranten Vertragsbruch gewagt
haben, dasjenige Provisorium, gegen welches die deutschen Mächte von jeher als
vertragswidrig protestirt haben, in ein Definitionen zu verwandeln, wenn sie
nicht glaubten, daß Preußen außer Stande sei, jetzt seine eignen Rechte aus
den Verhandlungen von 1851 und 1852 und die Rechte der Herzogtümer geltend
zu machen. Die Dänen wissen allerdings, daß unter den gegenwärtigen Um¬
ständen eine preußische Regierung, welche mit dem eignen Lande im härtesten
Widerspruche steht, welche eine kaum nennenswerte Partei in der Vertretung
des eignen Volkes hinter sich hat, daß eine Regierung, welche infolge der
innern Zustände auch im übrigen Deutschland vollständig ohne Einfluß und
ohne jede Möglichkeit ist, eine kräftige Initiative zu ergreifen, daß eine Regierung,
welche daneben Preußen auch nach außenhin gänzlich isolirt hat, welche durch
ihre Politik in der polnischen Angelegenheit den preußischen Staat in die äußerste
Spannung zu den Westmächten gebracht hat, daß die völlig außer Stande ist,
einen Krieg mit Dänemark zu führen, und wenn die preußische Negierung unter
den jetzigen Umständen dazu geneigt sein sollte, so werden wir einer solchen
Neigung entschieden entgegentreten müssen, weil wir die jetzigen Zustünde nicht
als solche betrachten können, unter denen unter irgend welchen Umständen ein
glückliches Resultat des Krieges und eine glückliche definitive Lösung dieses Streites
zu erwarten wäre."

Man sieht, immer dieselbe Verblendung, die alte Verranntheit, die ewige
Überschätzung der Bedeutung des Konflikts nach außenhin, der Wichtigkeit der
öffentlichen Meinung und vor allem der Herren Volksboden selber.

Bismarck erwiederte auf die Illusionen und Drohungen des Wortführers
der Opposition in der Hauptsache kühl und gelassen: "Der Herr Vorredner hat
Dänemark darüber zu beruhigen gesucht, daß es einen Krieg in diesem Augen¬
blicke von Preußen unter unsern nach innen und außen zerrütteten Verhältnissen
nicht zu erwarten habe. Meine Herren, zum Glück ist man im Auslande nicht
so leichtgläubig, und ich kann Sie versichern und das Ausland versichern, wenn


Aus dem Tchuldbuche der Fortschrittspartei.

von Bismarck am Steuer in den gührenden Ozean der europäischen Händel sich
hinauswagen soll. Dafür mag stimmen, wer will, ich vermag es nicht, und ich
hoffe, Sie alle werden es nicht vermögen."

Schöne Bilder, schönes Pathos! Wir sehen den Redner im Schwung seiner
Überzeugung, von der Glut seines Schmerzes erröten, aber von welchem Gefühl
würde er wohl jetzt erröten, wenn er das Echo seiner damaligen Tiraden hörte?

Als im Frühjahr 1863 die Schleswig-holsteinische Frage wieder mehr in
Fluß kam, indem die Kopenhagens Regierung mit dem Erlaß vom 30. März
die Stellung Holsteins zur dänischen Monarchie in einer die Vereinbarungen
von 1852 verletzenden Weise ordnen wollte und Bismarck dagegen (beiläufig
im Einklange mit Österreich) energisch Verwahrung einlegte, erklärte der Abge¬
ordnete Tochter, sonst keiner von den schlimmsten, im Landtage: „Die Dänen
würden schwerlich in diesem Augenblicke den flagranten Vertragsbruch gewagt
haben, dasjenige Provisorium, gegen welches die deutschen Mächte von jeher als
vertragswidrig protestirt haben, in ein Definitionen zu verwandeln, wenn sie
nicht glaubten, daß Preußen außer Stande sei, jetzt seine eignen Rechte aus
den Verhandlungen von 1851 und 1852 und die Rechte der Herzogtümer geltend
zu machen. Die Dänen wissen allerdings, daß unter den gegenwärtigen Um¬
ständen eine preußische Regierung, welche mit dem eignen Lande im härtesten
Widerspruche steht, welche eine kaum nennenswerte Partei in der Vertretung
des eignen Volkes hinter sich hat, daß eine Regierung, welche infolge der
innern Zustände auch im übrigen Deutschland vollständig ohne Einfluß und
ohne jede Möglichkeit ist, eine kräftige Initiative zu ergreifen, daß eine Regierung,
welche daneben Preußen auch nach außenhin gänzlich isolirt hat, welche durch
ihre Politik in der polnischen Angelegenheit den preußischen Staat in die äußerste
Spannung zu den Westmächten gebracht hat, daß die völlig außer Stande ist,
einen Krieg mit Dänemark zu führen, und wenn die preußische Negierung unter
den jetzigen Umständen dazu geneigt sein sollte, so werden wir einer solchen
Neigung entschieden entgegentreten müssen, weil wir die jetzigen Zustünde nicht
als solche betrachten können, unter denen unter irgend welchen Umständen ein
glückliches Resultat des Krieges und eine glückliche definitive Lösung dieses Streites
zu erwarten wäre."

Man sieht, immer dieselbe Verblendung, die alte Verranntheit, die ewige
Überschätzung der Bedeutung des Konflikts nach außenhin, der Wichtigkeit der
öffentlichen Meinung und vor allem der Herren Volksboden selber.

Bismarck erwiederte auf die Illusionen und Drohungen des Wortführers
der Opposition in der Hauptsache kühl und gelassen: „Der Herr Vorredner hat
Dänemark darüber zu beruhigen gesucht, daß es einen Krieg in diesem Augen¬
blicke von Preußen unter unsern nach innen und außen zerrütteten Verhältnissen
nicht zu erwarten habe. Meine Herren, zum Glück ist man im Auslande nicht
so leichtgläubig, und ich kann Sie versichern und das Ausland versichern, wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/71>, abgerufen am 08.09.2024.