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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die internationale Kunstausstellung in München.

um Europa zur Zeugin ihres rühmlichen und überaus erfolgreichen Strebens
zu machen. Vielleicht ist aber mich mit dieser starken Beteiligung eine Demon¬
stration gegen den übermütigen Nachbar im Norden beabsichtigt, welcher Spanien
in Sachen der Kunst und des künstlerischen Geschmacks immer als eine französische
Provinz betrachtet hat. Die kulturgeschichtliche Nachwirkung des Tages von
Sedan ist noch lange nicht abgeschlossen lind wird in dem Maße kräftiger, als
die grenzenlose Verblendung und Herrschsucht der Franzosen über die kleineren
Völker romanischer Rasse wächst.

In der spanischen Abteilung der Kunstausstellung wird eine Broschüre des
offiziellen Kommissars F. M. Tubino über die "Wiedergeburt der spanischen
Kunst" verkauft, welche der Annahme, daß mit der spanischen Ausstellung eine
Demonstration gegen die Bevormundung von feiten Frankreichs beabsichtigt sei,
reichliche Nahrung giebt. Die Schrift charcckterisirt in kurzen Zügen die frühere
Abhängigkeit Spaniens von Frankreich, bespricht dann die Periode der Um¬
wälzungen von 1368--1874, aus welchen endlich das heutige Spanien hervor¬
gegangen ist, und gipfelt in folgenden bezeichnenden Sätzen: "Die spanische
Malerei neigt zu einem gewissen Naturalismus hin, welcher nicht derjenige
Courbets, sondern derjenige von Velcisquez oder Murillo ist. Wir können hier
das Nämliche beobachten wie in unsrer Literatur. Unser Realismus wird sich
nie zu "Nana" oder "Asfvmmoir" erniedrigen. Und doch neigen wir, wie
gesagt, zum Realismus hin, aber stets innerhalb der Ästhetik, des künstlerisch
Schicklichen und der idealen Schönheit. Wir verteidigen diese Art von
Realismus, nicht einen Realismus, der uns Übelkeiten erzeugen oder unsre
Töchter erröten machen kann. Die Kunst bildet eine allgemeine Domäne,
und ihr Genuß kann keiner menschlichen Kreatur verweigert werden. Welcher
ehrbare Vater könnte aber seinen Kindern die widerliche Bedeutung der vsnnü-
Mllss ä"z 1a Lsinö (eines Bildes von Cvurbet) erklären! Welcher vernünftige
Ehemann wird in seiner Familie die bezeichnendsten Episoden von "Nana" oder
"Assommoir" vorlesen!"

Wir werden im nächsten Artikel zeigen, mit welcher Gewissenhaftigkeit
die spanische Kunst die Grundsätze befolgt, welche Tubino in seiner Abhandlung
formulirt hat.




Die internationale Kunstausstellung in München.

um Europa zur Zeugin ihres rühmlichen und überaus erfolgreichen Strebens
zu machen. Vielleicht ist aber mich mit dieser starken Beteiligung eine Demon¬
stration gegen den übermütigen Nachbar im Norden beabsichtigt, welcher Spanien
in Sachen der Kunst und des künstlerischen Geschmacks immer als eine französische
Provinz betrachtet hat. Die kulturgeschichtliche Nachwirkung des Tages von
Sedan ist noch lange nicht abgeschlossen lind wird in dem Maße kräftiger, als
die grenzenlose Verblendung und Herrschsucht der Franzosen über die kleineren
Völker romanischer Rasse wächst.

In der spanischen Abteilung der Kunstausstellung wird eine Broschüre des
offiziellen Kommissars F. M. Tubino über die „Wiedergeburt der spanischen
Kunst" verkauft, welche der Annahme, daß mit der spanischen Ausstellung eine
Demonstration gegen die Bevormundung von feiten Frankreichs beabsichtigt sei,
reichliche Nahrung giebt. Die Schrift charcckterisirt in kurzen Zügen die frühere
Abhängigkeit Spaniens von Frankreich, bespricht dann die Periode der Um¬
wälzungen von 1368—1874, aus welchen endlich das heutige Spanien hervor¬
gegangen ist, und gipfelt in folgenden bezeichnenden Sätzen: „Die spanische
Malerei neigt zu einem gewissen Naturalismus hin, welcher nicht derjenige
Courbets, sondern derjenige von Velcisquez oder Murillo ist. Wir können hier
das Nämliche beobachten wie in unsrer Literatur. Unser Realismus wird sich
nie zu »Nana« oder »Asfvmmoir« erniedrigen. Und doch neigen wir, wie
gesagt, zum Realismus hin, aber stets innerhalb der Ästhetik, des künstlerisch
Schicklichen und der idealen Schönheit. Wir verteidigen diese Art von
Realismus, nicht einen Realismus, der uns Übelkeiten erzeugen oder unsre
Töchter erröten machen kann. Die Kunst bildet eine allgemeine Domäne,
und ihr Genuß kann keiner menschlichen Kreatur verweigert werden. Welcher
ehrbare Vater könnte aber seinen Kindern die widerliche Bedeutung der vsnnü-
Mllss ä«z 1a Lsinö (eines Bildes von Cvurbet) erklären! Welcher vernünftige
Ehemann wird in seiner Familie die bezeichnendsten Episoden von »Nana« oder
»Assommoir« vorlesen!"

Wir werden im nächsten Artikel zeigen, mit welcher Gewissenhaftigkeit
die spanische Kunst die Grundsätze befolgt, welche Tubino in seiner Abhandlung
formulirt hat.




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[0701] Die internationale Kunstausstellung in München. um Europa zur Zeugin ihres rühmlichen und überaus erfolgreichen Strebens zu machen. Vielleicht ist aber mich mit dieser starken Beteiligung eine Demon¬ stration gegen den übermütigen Nachbar im Norden beabsichtigt, welcher Spanien in Sachen der Kunst und des künstlerischen Geschmacks immer als eine französische Provinz betrachtet hat. Die kulturgeschichtliche Nachwirkung des Tages von Sedan ist noch lange nicht abgeschlossen lind wird in dem Maße kräftiger, als die grenzenlose Verblendung und Herrschsucht der Franzosen über die kleineren Völker romanischer Rasse wächst. In der spanischen Abteilung der Kunstausstellung wird eine Broschüre des offiziellen Kommissars F. M. Tubino über die „Wiedergeburt der spanischen Kunst" verkauft, welche der Annahme, daß mit der spanischen Ausstellung eine Demonstration gegen die Bevormundung von feiten Frankreichs beabsichtigt sei, reichliche Nahrung giebt. Die Schrift charcckterisirt in kurzen Zügen die frühere Abhängigkeit Spaniens von Frankreich, bespricht dann die Periode der Um¬ wälzungen von 1368—1874, aus welchen endlich das heutige Spanien hervor¬ gegangen ist, und gipfelt in folgenden bezeichnenden Sätzen: „Die spanische Malerei neigt zu einem gewissen Naturalismus hin, welcher nicht derjenige Courbets, sondern derjenige von Velcisquez oder Murillo ist. Wir können hier das Nämliche beobachten wie in unsrer Literatur. Unser Realismus wird sich nie zu »Nana« oder »Asfvmmoir« erniedrigen. Und doch neigen wir, wie gesagt, zum Realismus hin, aber stets innerhalb der Ästhetik, des künstlerisch Schicklichen und der idealen Schönheit. Wir verteidigen diese Art von Realismus, nicht einen Realismus, der uns Übelkeiten erzeugen oder unsre Töchter erröten machen kann. Die Kunst bildet eine allgemeine Domäne, und ihr Genuß kann keiner menschlichen Kreatur verweigert werden. Welcher ehrbare Vater könnte aber seinen Kindern die widerliche Bedeutung der vsnnü- Mllss ä«z 1a Lsinö (eines Bildes von Cvurbet) erklären! Welcher vernünftige Ehemann wird in seiner Familie die bezeichnendsten Episoden von »Nana« oder »Assommoir« vorlesen!" Wir werden im nächsten Artikel zeigen, mit welcher Gewissenhaftigkeit die spanische Kunst die Grundsätze befolgt, welche Tubino in seiner Abhandlung formulirt hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/701>, abgerufen am 08.09.2024.