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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Der Streit zwischen Frankreich und Lhina.

mung verbittern. Augenscheinlich ist ferner eine solche Maßregel nicht notwendig,
sie würde also als bloße aufregende Demonstration erscheinen, und solche De¬
monstrationen unterläßt man, wenn man nicht zum Kriege treiben will. Nüch¬
tern denkende Franzosen aber werden sich sagen, daß ein Krieg mit China eine
gefährliche Sache ist. Daß ein solcher die englischen Interessen in Ostasien
schädigen und infolge dessen eine Nation verstimmen würde, mit der Frankreich
bisher auf gutem Fuße stand, braucht nicht allen klar zu sein. Wohl aber
müssen andre Betrachtungen sich ihnen aufdrängen, die mit ihrem eignen In¬
teresse in Verbindung stehen. Von allen europäischen Mächten ist Frankreich
diejenige, welche des Friedens am meisten bedarf und am meisten von einem
Kriege zu fürchte" haben würde. In Betreff seiner auswärtigen Beziehungen
ist es mehr als ein andrer Staat isolirt, und in Bezug auf seine innern Ver¬
hältnisse ist es stetem Wechsel ausgesetzt. Man sollte denken, daß schon dieser
Mangel an Freunden jenseits, und dieses Auf- und Abwogen der Parteien
innerhalb seiner Grenzen ihm eine Politik des Friedens und der Herbeiführung
sicherer Zustände im Innern zur Pflicht machen müßten. Aber es giebt noch
ein drittes, wodurch es dringend in diese Richtung verwiesen wird. Der Mangel
an Stabilität, an dem die politischen Einrichtungen Frankreichs leiden, ist groß,
aber keine größere und schwerere Gefahr als die fortwährend sich steigernde
Verlegenheit des Staates in Finanzangelegenheiten. Die Finanzen sind der
Prüfstein aller Regierungen. Finanzielle Kraft und Befähigung, die Möglich¬
keit zu gedeihlicher Verwaltung, ist die einzige Eigenschaft, welche einer Regie¬
rung nicht gestattet, trotz steten Rückganges in ihrer Stärke fortzuexistiren, und
das Schicksal eines Regimes nach dem andern sollte die Gründer der dritten
Republik genügend über diese Thatsache aufgeklärt haben. Wieviel Wert wird
schließlich ihr Anspruch und ihr Recht haben, das Kaisertum zu ersetzen, wenn
die Republik nicht zu zeigen vermag, daß sie befähigt ist, Frankreich in weniger
kostspieliger Weise zu regieren als ihr Vorgänger, die Steuerlast zu erleichtern
und die Wohlfahrt des Volkes zu steigern? Und was ist geschehen, um diesen
Anspruch und dieses Recht zu begründen? Die fundirte Schuld Frankreichs
übersteigt gegenwärtig zwanzigtausend Millionen Mark, wovon allerdings die
größere Hälfte dem Kaisertum zur Last zu schreiben ist, das aber auch erheblich
länger regierte als die Republik, und die schwebende Schuld beträgt weitere
zweitausend Millionen. Die Gesamtausgaben haben sich in den letzten zwölf
Jahren ungefähr verdoppelt, und dieses ungeheure Anwachsen ist hauptsächlich
auf die Vermehrung der Staatsschulden und nur zum kleinern Teile auf die
Reorganisation der Armee zurückzuführen. Die bloße gewöhnliche Zunahme der
Verschuldung des Staates, die Steigerung des Ordinariums im Ausgabeetat
ist schuld an der erschreckenden Thatsache, daß ein Land, welches im letzten
Jahre der Regierung des Kaisers 1380 Millionen Mark ausgab, im elften
Jahre der Republik 1S60 Millionen ausgegeben hat. Zahlen wie diese sollten


Der Streit zwischen Frankreich und Lhina.

mung verbittern. Augenscheinlich ist ferner eine solche Maßregel nicht notwendig,
sie würde also als bloße aufregende Demonstration erscheinen, und solche De¬
monstrationen unterläßt man, wenn man nicht zum Kriege treiben will. Nüch¬
tern denkende Franzosen aber werden sich sagen, daß ein Krieg mit China eine
gefährliche Sache ist. Daß ein solcher die englischen Interessen in Ostasien
schädigen und infolge dessen eine Nation verstimmen würde, mit der Frankreich
bisher auf gutem Fuße stand, braucht nicht allen klar zu sein. Wohl aber
müssen andre Betrachtungen sich ihnen aufdrängen, die mit ihrem eignen In¬
teresse in Verbindung stehen. Von allen europäischen Mächten ist Frankreich
diejenige, welche des Friedens am meisten bedarf und am meisten von einem
Kriege zu fürchte» haben würde. In Betreff seiner auswärtigen Beziehungen
ist es mehr als ein andrer Staat isolirt, und in Bezug auf seine innern Ver¬
hältnisse ist es stetem Wechsel ausgesetzt. Man sollte denken, daß schon dieser
Mangel an Freunden jenseits, und dieses Auf- und Abwogen der Parteien
innerhalb seiner Grenzen ihm eine Politik des Friedens und der Herbeiführung
sicherer Zustände im Innern zur Pflicht machen müßten. Aber es giebt noch
ein drittes, wodurch es dringend in diese Richtung verwiesen wird. Der Mangel
an Stabilität, an dem die politischen Einrichtungen Frankreichs leiden, ist groß,
aber keine größere und schwerere Gefahr als die fortwährend sich steigernde
Verlegenheit des Staates in Finanzangelegenheiten. Die Finanzen sind der
Prüfstein aller Regierungen. Finanzielle Kraft und Befähigung, die Möglich¬
keit zu gedeihlicher Verwaltung, ist die einzige Eigenschaft, welche einer Regie¬
rung nicht gestattet, trotz steten Rückganges in ihrer Stärke fortzuexistiren, und
das Schicksal eines Regimes nach dem andern sollte die Gründer der dritten
Republik genügend über diese Thatsache aufgeklärt haben. Wieviel Wert wird
schließlich ihr Anspruch und ihr Recht haben, das Kaisertum zu ersetzen, wenn
die Republik nicht zu zeigen vermag, daß sie befähigt ist, Frankreich in weniger
kostspieliger Weise zu regieren als ihr Vorgänger, die Steuerlast zu erleichtern
und die Wohlfahrt des Volkes zu steigern? Und was ist geschehen, um diesen
Anspruch und dieses Recht zu begründen? Die fundirte Schuld Frankreichs
übersteigt gegenwärtig zwanzigtausend Millionen Mark, wovon allerdings die
größere Hälfte dem Kaisertum zur Last zu schreiben ist, das aber auch erheblich
länger regierte als die Republik, und die schwebende Schuld beträgt weitere
zweitausend Millionen. Die Gesamtausgaben haben sich in den letzten zwölf
Jahren ungefähr verdoppelt, und dieses ungeheure Anwachsen ist hauptsächlich
auf die Vermehrung der Staatsschulden und nur zum kleinern Teile auf die
Reorganisation der Armee zurückzuführen. Die bloße gewöhnliche Zunahme der
Verschuldung des Staates, die Steigerung des Ordinariums im Ausgabeetat
ist schuld an der erschreckenden Thatsache, daß ein Land, welches im letzten
Jahre der Regierung des Kaisers 1380 Millionen Mark ausgab, im elften
Jahre der Republik 1S60 Millionen ausgegeben hat. Zahlen wie diese sollten


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[0659] Der Streit zwischen Frankreich und Lhina. mung verbittern. Augenscheinlich ist ferner eine solche Maßregel nicht notwendig, sie würde also als bloße aufregende Demonstration erscheinen, und solche De¬ monstrationen unterläßt man, wenn man nicht zum Kriege treiben will. Nüch¬ tern denkende Franzosen aber werden sich sagen, daß ein Krieg mit China eine gefährliche Sache ist. Daß ein solcher die englischen Interessen in Ostasien schädigen und infolge dessen eine Nation verstimmen würde, mit der Frankreich bisher auf gutem Fuße stand, braucht nicht allen klar zu sein. Wohl aber müssen andre Betrachtungen sich ihnen aufdrängen, die mit ihrem eignen In¬ teresse in Verbindung stehen. Von allen europäischen Mächten ist Frankreich diejenige, welche des Friedens am meisten bedarf und am meisten von einem Kriege zu fürchte» haben würde. In Betreff seiner auswärtigen Beziehungen ist es mehr als ein andrer Staat isolirt, und in Bezug auf seine innern Ver¬ hältnisse ist es stetem Wechsel ausgesetzt. Man sollte denken, daß schon dieser Mangel an Freunden jenseits, und dieses Auf- und Abwogen der Parteien innerhalb seiner Grenzen ihm eine Politik des Friedens und der Herbeiführung sicherer Zustände im Innern zur Pflicht machen müßten. Aber es giebt noch ein drittes, wodurch es dringend in diese Richtung verwiesen wird. Der Mangel an Stabilität, an dem die politischen Einrichtungen Frankreichs leiden, ist groß, aber keine größere und schwerere Gefahr als die fortwährend sich steigernde Verlegenheit des Staates in Finanzangelegenheiten. Die Finanzen sind der Prüfstein aller Regierungen. Finanzielle Kraft und Befähigung, die Möglich¬ keit zu gedeihlicher Verwaltung, ist die einzige Eigenschaft, welche einer Regie¬ rung nicht gestattet, trotz steten Rückganges in ihrer Stärke fortzuexistiren, und das Schicksal eines Regimes nach dem andern sollte die Gründer der dritten Republik genügend über diese Thatsache aufgeklärt haben. Wieviel Wert wird schließlich ihr Anspruch und ihr Recht haben, das Kaisertum zu ersetzen, wenn die Republik nicht zu zeigen vermag, daß sie befähigt ist, Frankreich in weniger kostspieliger Weise zu regieren als ihr Vorgänger, die Steuerlast zu erleichtern und die Wohlfahrt des Volkes zu steigern? Und was ist geschehen, um diesen Anspruch und dieses Recht zu begründen? Die fundirte Schuld Frankreichs übersteigt gegenwärtig zwanzigtausend Millionen Mark, wovon allerdings die größere Hälfte dem Kaisertum zur Last zu schreiben ist, das aber auch erheblich länger regierte als die Republik, und die schwebende Schuld beträgt weitere zweitausend Millionen. Die Gesamtausgaben haben sich in den letzten zwölf Jahren ungefähr verdoppelt, und dieses ungeheure Anwachsen ist hauptsächlich auf die Vermehrung der Staatsschulden und nur zum kleinern Teile auf die Reorganisation der Armee zurückzuführen. Die bloße gewöhnliche Zunahme der Verschuldung des Staates, die Steigerung des Ordinariums im Ausgabeetat ist schuld an der erschreckenden Thatsache, daß ein Land, welches im letzten Jahre der Regierung des Kaisers 1380 Millionen Mark ausgab, im elften Jahre der Republik 1S60 Millionen ausgegeben hat. Zahlen wie diese sollten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/659>, abgerufen am 08.09.2024.