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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Zur Weltlage.

der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung, "das Vorgeben glauben, die französische
Presse sei für den Streit zwischen General Manteuffel und Herrn Antoine
verantwortlich zu machen, und es ist gewiß sonderbar, wenn wenige Monate
nach Graf Moltkes Besichtigung der italienisch-französischen Grenze General
Thibaudin Festungen auf französischem Gebiete nicht inspiziren kann, ohne sich
Rekriminationen von seiten der deutschen Presse auszusetzen. Es wäre gut
für unsern Kriegsminister, wenn man ihm auf seiner politischen Laufbahn nichts
schlimmeres vorzuwerfen hätte. Das Berliner offiziöse Blatt hat gestern zu¬
gestanden, daß die französische Regierung sichs nicht im Traume hat einfallen
lasten, das Parlament um einen Kredit von sieben Millionen Franks zu ver¬
suchsweise vorzunehmender Mobilisirung eines Armeekorps anzugehen. Diese
Behauptung wurde aber vorgebracht, um Frankreich kriegerischer Absichten vor
Europa anzuklagen. Es ist sicherlich zu bedauern, daß eine Zeitung, die so
großen Einfluß auf die politische Lage und den finanziellen Markt des Fest¬
landes ausübt, so übel unterrichtet ist." Das Journal ass Dsbats schließt mit
dem Ausdruck der Hoffnung, daß die Erklärungen der Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung einer internationalen Polemik, die ganz und gar unnütz sei, ein Ende
machen werden, kann sich aber doch nicht enthalten, zu bemerken, daß "das
Berliner Kabinet eine seltsame Art und Weise habe, sein Interesse an der Er¬
haltung des Friedens an den Tag zu legen," und an einer andern Stelle er¬
hebt es die Anklage, die deutsche Politik gehe darauf aus, Frankreich mehr und
mehr zu isoliren.

Dieser Vorwurf entbehrt, wie ihm in einer Entgegnung des halbamtlichen
Berliner Blattes nachgewiesen wurde, vollständig der Begründung. Die Ereig¬
nisse der letzten zwölf Jahre schließen ihn aus, und so hat das Journal ass
Dsbat" nicht einmal den Versuch gemacht, den Beweis für seine Behauptung
unter Anführung von Thatsachen anzutreten. Deutschland hat mit Österreich-
Ungarn ein Bündnis abgeschlossen, aber nicht zum Angriff auf Frankreich oder
irgendwelche andre Macht, sondern lediglich zur Erhaltung des Friedens von
Mitteleuropa. Frankreich sollte damit nicht isolirt werden; denn es steht ihm
jederzeit frei, sich dem Bunde anzuschließen, wie sich ihm Italien angeschlossen
hat, und wie sich ihm kleinere Staaten genähert zu haben scheinen, wobei wir
auf die Besuche hinweisen, welche die Könige von Serbien und Rumänien in
der letzten Zeit in Wien und Berlin machten, und wohin auch wohl die Reise
des Königs von Spanien nach Deutschland zu rechnen sein wird. Hätte der
deutsche Kanzler zur Gründung und Erweiterung einer derartigen großen Frie-
° densliga die Initiative ergriffen, und wäre die Salzburger Zusammenkunft des¬
selben mit dem Grafen Kalnocky zur weitern Entwicklung des Bündnisses von
1879 bestimmt gewesen, wogegen allerdings die kurze Dauer der Unterredung
zu sprechen scheint, so würde sich daraus noch immer nicht auf die Absicht,
Frankreich für die Gegenwart noch mehr zu isoliren, als es als Republik schon
ist, schließen lassen, sondern es wäre immer noch nichts andres als das Be¬
streben, den Frieden der Welt gegen Störung durch ein aggressives Frankreich
so sicher als irgend möglich zu stellen. Es wäre uur die diplomatische Fort¬
setzung des Werkes von 1870, welches, obwohl kriegerischer Natur, doch nur
auf Fernhaltung weiterer Angriffe auf den Bestand und die Unabhängigkeit
Deutschlands von seiten Frankreichs, wie sie zwei Jahrhunderte hindurch sich
wiederholt hatten, gerichtet war. Diese Fortsetzung war notwendig, weil Frank¬
reich oder weil ein Teil der Franzosen, welcher die Oberhand gewinnen und


Zur Weltlage.

der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung, „das Vorgeben glauben, die französische
Presse sei für den Streit zwischen General Manteuffel und Herrn Antoine
verantwortlich zu machen, und es ist gewiß sonderbar, wenn wenige Monate
nach Graf Moltkes Besichtigung der italienisch-französischen Grenze General
Thibaudin Festungen auf französischem Gebiete nicht inspiziren kann, ohne sich
Rekriminationen von seiten der deutschen Presse auszusetzen. Es wäre gut
für unsern Kriegsminister, wenn man ihm auf seiner politischen Laufbahn nichts
schlimmeres vorzuwerfen hätte. Das Berliner offiziöse Blatt hat gestern zu¬
gestanden, daß die französische Regierung sichs nicht im Traume hat einfallen
lasten, das Parlament um einen Kredit von sieben Millionen Franks zu ver¬
suchsweise vorzunehmender Mobilisirung eines Armeekorps anzugehen. Diese
Behauptung wurde aber vorgebracht, um Frankreich kriegerischer Absichten vor
Europa anzuklagen. Es ist sicherlich zu bedauern, daß eine Zeitung, die so
großen Einfluß auf die politische Lage und den finanziellen Markt des Fest¬
landes ausübt, so übel unterrichtet ist." Das Journal ass Dsbats schließt mit
dem Ausdruck der Hoffnung, daß die Erklärungen der Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung einer internationalen Polemik, die ganz und gar unnütz sei, ein Ende
machen werden, kann sich aber doch nicht enthalten, zu bemerken, daß „das
Berliner Kabinet eine seltsame Art und Weise habe, sein Interesse an der Er¬
haltung des Friedens an den Tag zu legen," und an einer andern Stelle er¬
hebt es die Anklage, die deutsche Politik gehe darauf aus, Frankreich mehr und
mehr zu isoliren.

Dieser Vorwurf entbehrt, wie ihm in einer Entgegnung des halbamtlichen
Berliner Blattes nachgewiesen wurde, vollständig der Begründung. Die Ereig¬
nisse der letzten zwölf Jahre schließen ihn aus, und so hat das Journal ass
Dsbat« nicht einmal den Versuch gemacht, den Beweis für seine Behauptung
unter Anführung von Thatsachen anzutreten. Deutschland hat mit Österreich-
Ungarn ein Bündnis abgeschlossen, aber nicht zum Angriff auf Frankreich oder
irgendwelche andre Macht, sondern lediglich zur Erhaltung des Friedens von
Mitteleuropa. Frankreich sollte damit nicht isolirt werden; denn es steht ihm
jederzeit frei, sich dem Bunde anzuschließen, wie sich ihm Italien angeschlossen
hat, und wie sich ihm kleinere Staaten genähert zu haben scheinen, wobei wir
auf die Besuche hinweisen, welche die Könige von Serbien und Rumänien in
der letzten Zeit in Wien und Berlin machten, und wohin auch wohl die Reise
des Königs von Spanien nach Deutschland zu rechnen sein wird. Hätte der
deutsche Kanzler zur Gründung und Erweiterung einer derartigen großen Frie-
° densliga die Initiative ergriffen, und wäre die Salzburger Zusammenkunft des¬
selben mit dem Grafen Kalnocky zur weitern Entwicklung des Bündnisses von
1879 bestimmt gewesen, wogegen allerdings die kurze Dauer der Unterredung
zu sprechen scheint, so würde sich daraus noch immer nicht auf die Absicht,
Frankreich für die Gegenwart noch mehr zu isoliren, als es als Republik schon
ist, schließen lassen, sondern es wäre immer noch nichts andres als das Be¬
streben, den Frieden der Welt gegen Störung durch ein aggressives Frankreich
so sicher als irgend möglich zu stellen. Es wäre uur die diplomatische Fort¬
setzung des Werkes von 1870, welches, obwohl kriegerischer Natur, doch nur
auf Fernhaltung weiterer Angriffe auf den Bestand und die Unabhängigkeit
Deutschlands von seiten Frankreichs, wie sie zwei Jahrhunderte hindurch sich
wiederholt hatten, gerichtet war. Diese Fortsetzung war notwendig, weil Frank¬
reich oder weil ein Teil der Franzosen, welcher die Oberhand gewinnen und


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[0636] Zur Weltlage. der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung, „das Vorgeben glauben, die französische Presse sei für den Streit zwischen General Manteuffel und Herrn Antoine verantwortlich zu machen, und es ist gewiß sonderbar, wenn wenige Monate nach Graf Moltkes Besichtigung der italienisch-französischen Grenze General Thibaudin Festungen auf französischem Gebiete nicht inspiziren kann, ohne sich Rekriminationen von seiten der deutschen Presse auszusetzen. Es wäre gut für unsern Kriegsminister, wenn man ihm auf seiner politischen Laufbahn nichts schlimmeres vorzuwerfen hätte. Das Berliner offiziöse Blatt hat gestern zu¬ gestanden, daß die französische Regierung sichs nicht im Traume hat einfallen lasten, das Parlament um einen Kredit von sieben Millionen Franks zu ver¬ suchsweise vorzunehmender Mobilisirung eines Armeekorps anzugehen. Diese Behauptung wurde aber vorgebracht, um Frankreich kriegerischer Absichten vor Europa anzuklagen. Es ist sicherlich zu bedauern, daß eine Zeitung, die so großen Einfluß auf die politische Lage und den finanziellen Markt des Fest¬ landes ausübt, so übel unterrichtet ist." Das Journal ass Dsbats schließt mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß die Erklärungen der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung einer internationalen Polemik, die ganz und gar unnütz sei, ein Ende machen werden, kann sich aber doch nicht enthalten, zu bemerken, daß „das Berliner Kabinet eine seltsame Art und Weise habe, sein Interesse an der Er¬ haltung des Friedens an den Tag zu legen," und an einer andern Stelle er¬ hebt es die Anklage, die deutsche Politik gehe darauf aus, Frankreich mehr und mehr zu isoliren. Dieser Vorwurf entbehrt, wie ihm in einer Entgegnung des halbamtlichen Berliner Blattes nachgewiesen wurde, vollständig der Begründung. Die Ereig¬ nisse der letzten zwölf Jahre schließen ihn aus, und so hat das Journal ass Dsbat« nicht einmal den Versuch gemacht, den Beweis für seine Behauptung unter Anführung von Thatsachen anzutreten. Deutschland hat mit Österreich- Ungarn ein Bündnis abgeschlossen, aber nicht zum Angriff auf Frankreich oder irgendwelche andre Macht, sondern lediglich zur Erhaltung des Friedens von Mitteleuropa. Frankreich sollte damit nicht isolirt werden; denn es steht ihm jederzeit frei, sich dem Bunde anzuschließen, wie sich ihm Italien angeschlossen hat, und wie sich ihm kleinere Staaten genähert zu haben scheinen, wobei wir auf die Besuche hinweisen, welche die Könige von Serbien und Rumänien in der letzten Zeit in Wien und Berlin machten, und wohin auch wohl die Reise des Königs von Spanien nach Deutschland zu rechnen sein wird. Hätte der deutsche Kanzler zur Gründung und Erweiterung einer derartigen großen Frie- ° densliga die Initiative ergriffen, und wäre die Salzburger Zusammenkunft des¬ selben mit dem Grafen Kalnocky zur weitern Entwicklung des Bündnisses von 1879 bestimmt gewesen, wogegen allerdings die kurze Dauer der Unterredung zu sprechen scheint, so würde sich daraus noch immer nicht auf die Absicht, Frankreich für die Gegenwart noch mehr zu isoliren, als es als Republik schon ist, schließen lassen, sondern es wäre immer noch nichts andres als das Be¬ streben, den Frieden der Welt gegen Störung durch ein aggressives Frankreich so sicher als irgend möglich zu stellen. Es wäre uur die diplomatische Fort¬ setzung des Werkes von 1870, welches, obwohl kriegerischer Natur, doch nur auf Fernhaltung weiterer Angriffe auf den Bestand und die Unabhängigkeit Deutschlands von seiten Frankreichs, wie sie zwei Jahrhunderte hindurch sich wiederholt hatten, gerichtet war. Diese Fortsetzung war notwendig, weil Frank¬ reich oder weil ein Teil der Franzosen, welcher die Oberhand gewinnen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/636>, abgerufen am 05.12.2024.