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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die internationale Aunstansstellnng in München.

Man merkt es seinen entsetzten Blicken, dem vor Angst verzerrten Antlitz, den ge¬
sträubten Haaren an, daß es sich hier nicht bloß um ein Rettungswerk ans allgemeiner
Menschenliebe handelt, sondern daß ihn noch ein stärkeres Band an die Verunglückte
fesselt, welche die leiseste Bewegung immer noch in die Tiefe stürzen kann, obwohl ihr
der Retter so nahe ist. Wir lesen hier ein Kapitel, vielleicht das letzte einer span¬
nenden Dorfgeschichte, die hier zwischen Himmel und Erde ihren Abschluß findet.
Was Defregger an technischen Vorzügen vermissen läßt, bietet uns Schmid in
reichen! Maße: ein fein gestimmtes Kolorit, eine meisterliche Modellirung und
eine elegante Zeichnung. Man könnte vielleicht nur den einen Einwand erheben,
daß die Figur der besinnungslos Daliegenden zu absichtlich, zu "malerisch"
arrangirt ist. Alois Geldt, der dritte Bauernmaler aus der Schule Pilotys,
ist noch mehr Kolorist im engern Sinne als jene beiden. Seine "Bräuschcnke
in München," wo sich die Mägde zur Mittagszeit im Flur vor den "Gassen-
schcmk" drängen, ist schon seit Jahren bekannt, ein Bild voll derben, ausge¬
lassenen Humors und von jener ausgesprochen malerischen Tendenz, welche
die Schule von Diez kennzeichnet. In noch höherm Grade ist dies bei seinen
"Heiligen drei Königen" der Fall, welche ihr Lied in einem Bauernhause singen,
während die Familie bei der Mahlzeit sitzt. In Gabe steckt schon ein Stück
von einem niederländischen Genremaler, welcher mit kerniger Charakteristik das
Streben nach pikanten koloristischen Effekten paart. Vollends aus der Piloty-
schule heraus führt uns Wilhelm Leiht, der allerdings nichts neues ausgestellt
hat, sondern wieder mit seinen "Bäuerinnen in der Kirche" aufgezogen ist, welche
bereits in Paris und Wien ihre Schuldigkeit gethan haben. Man kann sich
allerdings denken, daß der Künstler nicht häufig eine so überaus subtile und
minutiöse Malerei aus dem Amiet schütteln kann. Es ist ein staunenswertes
Meisterwerk in der verschmolzenen und vertriebenen Malerei, in der feinen
Modellirung im vollen Licht, in der subtilen Abstufung der Töne und in der
Detaillirung der Köpfe. Zwei runzliche Mütterchen und eine junge Dirne in
bairischer Landtracht sitzen auf einer Bank: die eine der beiden Alten blickt mit
gefalteten Händen, welche den Rosenkranz halten, empor, die beiden andern haben
sich -in ihre Gebetbücher vertieft. Viel Intelligenz ist in den Köpfen nicht aus¬
geprägt. Die junge hat ein glattes Gesicht, welches noch keine Denkzettel aus
den Wirrnissen des Lebens davongetragen hat, und aus den verschrumpften
Gesichtern der beiden andern spricht auch nichts, was uns neugierig machen
könnte. Es ist die absolute Trivialität einer niedrigen Existenz. Dieselbe ist
aber mit einer so großartigen Objektivität, mit einer so erstaunlichen Entäußerung
der künstlerischen Eigenart zum Ausdruck gebracht, daß man dieser skrupulös
treuen Abschrift einer gewöhnlichen Natur unbedingte Hochachtung zollen
muß. Das ist denn auch allerorten geschehen, wo dies Bild sich sehen ließ,
und überall hat man die "Ehrlichkeit," die siueMtH des Künstlers gepriesen.
Er ist ein Holbein reclivivus, dem nur etwas von der ruhigen Noblesse seines


Grenzboten Hi. 1833. 79
Die internationale Aunstansstellnng in München.

Man merkt es seinen entsetzten Blicken, dem vor Angst verzerrten Antlitz, den ge¬
sträubten Haaren an, daß es sich hier nicht bloß um ein Rettungswerk ans allgemeiner
Menschenliebe handelt, sondern daß ihn noch ein stärkeres Band an die Verunglückte
fesselt, welche die leiseste Bewegung immer noch in die Tiefe stürzen kann, obwohl ihr
der Retter so nahe ist. Wir lesen hier ein Kapitel, vielleicht das letzte einer span¬
nenden Dorfgeschichte, die hier zwischen Himmel und Erde ihren Abschluß findet.
Was Defregger an technischen Vorzügen vermissen läßt, bietet uns Schmid in
reichen! Maße: ein fein gestimmtes Kolorit, eine meisterliche Modellirung und
eine elegante Zeichnung. Man könnte vielleicht nur den einen Einwand erheben,
daß die Figur der besinnungslos Daliegenden zu absichtlich, zu „malerisch"
arrangirt ist. Alois Geldt, der dritte Bauernmaler aus der Schule Pilotys,
ist noch mehr Kolorist im engern Sinne als jene beiden. Seine „Bräuschcnke
in München," wo sich die Mägde zur Mittagszeit im Flur vor den „Gassen-
schcmk" drängen, ist schon seit Jahren bekannt, ein Bild voll derben, ausge¬
lassenen Humors und von jener ausgesprochen malerischen Tendenz, welche
die Schule von Diez kennzeichnet. In noch höherm Grade ist dies bei seinen
„Heiligen drei Königen" der Fall, welche ihr Lied in einem Bauernhause singen,
während die Familie bei der Mahlzeit sitzt. In Gabe steckt schon ein Stück
von einem niederländischen Genremaler, welcher mit kerniger Charakteristik das
Streben nach pikanten koloristischen Effekten paart. Vollends aus der Piloty-
schule heraus führt uns Wilhelm Leiht, der allerdings nichts neues ausgestellt
hat, sondern wieder mit seinen „Bäuerinnen in der Kirche" aufgezogen ist, welche
bereits in Paris und Wien ihre Schuldigkeit gethan haben. Man kann sich
allerdings denken, daß der Künstler nicht häufig eine so überaus subtile und
minutiöse Malerei aus dem Amiet schütteln kann. Es ist ein staunenswertes
Meisterwerk in der verschmolzenen und vertriebenen Malerei, in der feinen
Modellirung im vollen Licht, in der subtilen Abstufung der Töne und in der
Detaillirung der Köpfe. Zwei runzliche Mütterchen und eine junge Dirne in
bairischer Landtracht sitzen auf einer Bank: die eine der beiden Alten blickt mit
gefalteten Händen, welche den Rosenkranz halten, empor, die beiden andern haben
sich -in ihre Gebetbücher vertieft. Viel Intelligenz ist in den Köpfen nicht aus¬
geprägt. Die junge hat ein glattes Gesicht, welches noch keine Denkzettel aus
den Wirrnissen des Lebens davongetragen hat, und aus den verschrumpften
Gesichtern der beiden andern spricht auch nichts, was uns neugierig machen
könnte. Es ist die absolute Trivialität einer niedrigen Existenz. Dieselbe ist
aber mit einer so großartigen Objektivität, mit einer so erstaunlichen Entäußerung
der künstlerischen Eigenart zum Ausdruck gebracht, daß man dieser skrupulös
treuen Abschrift einer gewöhnlichen Natur unbedingte Hochachtung zollen
muß. Das ist denn auch allerorten geschehen, wo dies Bild sich sehen ließ,
und überall hat man die „Ehrlichkeit," die siueMtH des Künstlers gepriesen.
Er ist ein Holbein reclivivus, dem nur etwas von der ruhigen Noblesse seines


Grenzboten Hi. 1833. 79
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[0633] Die internationale Aunstansstellnng in München. Man merkt es seinen entsetzten Blicken, dem vor Angst verzerrten Antlitz, den ge¬ sträubten Haaren an, daß es sich hier nicht bloß um ein Rettungswerk ans allgemeiner Menschenliebe handelt, sondern daß ihn noch ein stärkeres Band an die Verunglückte fesselt, welche die leiseste Bewegung immer noch in die Tiefe stürzen kann, obwohl ihr der Retter so nahe ist. Wir lesen hier ein Kapitel, vielleicht das letzte einer span¬ nenden Dorfgeschichte, die hier zwischen Himmel und Erde ihren Abschluß findet. Was Defregger an technischen Vorzügen vermissen läßt, bietet uns Schmid in reichen! Maße: ein fein gestimmtes Kolorit, eine meisterliche Modellirung und eine elegante Zeichnung. Man könnte vielleicht nur den einen Einwand erheben, daß die Figur der besinnungslos Daliegenden zu absichtlich, zu „malerisch" arrangirt ist. Alois Geldt, der dritte Bauernmaler aus der Schule Pilotys, ist noch mehr Kolorist im engern Sinne als jene beiden. Seine „Bräuschcnke in München," wo sich die Mägde zur Mittagszeit im Flur vor den „Gassen- schcmk" drängen, ist schon seit Jahren bekannt, ein Bild voll derben, ausge¬ lassenen Humors und von jener ausgesprochen malerischen Tendenz, welche die Schule von Diez kennzeichnet. In noch höherm Grade ist dies bei seinen „Heiligen drei Königen" der Fall, welche ihr Lied in einem Bauernhause singen, während die Familie bei der Mahlzeit sitzt. In Gabe steckt schon ein Stück von einem niederländischen Genremaler, welcher mit kerniger Charakteristik das Streben nach pikanten koloristischen Effekten paart. Vollends aus der Piloty- schule heraus führt uns Wilhelm Leiht, der allerdings nichts neues ausgestellt hat, sondern wieder mit seinen „Bäuerinnen in der Kirche" aufgezogen ist, welche bereits in Paris und Wien ihre Schuldigkeit gethan haben. Man kann sich allerdings denken, daß der Künstler nicht häufig eine so überaus subtile und minutiöse Malerei aus dem Amiet schütteln kann. Es ist ein staunenswertes Meisterwerk in der verschmolzenen und vertriebenen Malerei, in der feinen Modellirung im vollen Licht, in der subtilen Abstufung der Töne und in der Detaillirung der Köpfe. Zwei runzliche Mütterchen und eine junge Dirne in bairischer Landtracht sitzen auf einer Bank: die eine der beiden Alten blickt mit gefalteten Händen, welche den Rosenkranz halten, empor, die beiden andern haben sich -in ihre Gebetbücher vertieft. Viel Intelligenz ist in den Köpfen nicht aus¬ geprägt. Die junge hat ein glattes Gesicht, welches noch keine Denkzettel aus den Wirrnissen des Lebens davongetragen hat, und aus den verschrumpften Gesichtern der beiden andern spricht auch nichts, was uns neugierig machen könnte. Es ist die absolute Trivialität einer niedrigen Existenz. Dieselbe ist aber mit einer so großartigen Objektivität, mit einer so erstaunlichen Entäußerung der künstlerischen Eigenart zum Ausdruck gebracht, daß man dieser skrupulös treuen Abschrift einer gewöhnlichen Natur unbedingte Hochachtung zollen muß. Das ist denn auch allerorten geschehen, wo dies Bild sich sehen ließ, und überall hat man die „Ehrlichkeit," die siueMtH des Künstlers gepriesen. Er ist ein Holbein reclivivus, dem nur etwas von der ruhigen Noblesse seines Grenzboten Hi. 1833. 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/633>, abgerufen am 08.09.2024.